Die Schweizer Delegation im Livestream des synodalen Prozesses: Bischof Felix Gmür, Tatjana Disteli und Helena Jeppesen.
Theologie konkret

Bischof Felix Gmür: «Die Frage der Frau ist eine Top-Frage für unsere Kultur»

«Unsere Wahrnehmung verändert sich über Begegnungen», sagt der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, Felix Gmür, über den synodalen Prozess in Prag. Ein Gespräch über Synodalität und Hierarchie, die deutsche Delegation – und die anstehende Bischofsweihe von Josef Stübi.

Raphael Rauch

Sie haben sich diese Woche in Prag zunächst mit Bischöfen, Laiinnen und Laien ausgetauscht – und in den letzten zwei Tagen mit den Präsidenten der Bischofskonferenzen. Wie war die Atmosphäre?

Bischof Felix Gmür*: Die Atmosphäre war beides Mal gut. Die hat sich nicht verändert.

Bischof Felix Gmür in Prag.
Bischof Felix Gmür in Prag.

Wie würden Sie den Geist von Prag beschreiben?

Gmür: Wir sind eine vielstimmige Kirche, die in Europa sehr unterschiedlich ist, zugleich eine Einheit bildet und diese Einheit bewahren will. Das wollen wirklich alle.

Es gibt durchaus Spannungen, etwa in der Frauenfrage oder im Umgang mit queeren Menschen. Konnten Sie Brücken bauen?

Gmür: Ja, indem man zuhört und einander zu verstehen versucht.

Sie meinten am Donnerstag, das Abschlussdokument sei zu vage. Es solle Spannungen und Konflikte stärker benennen.

Gmür: Ich habe nicht gesagt, der Bericht sei zu vage, sondern die Konklusion. Mir ging es um die letzten beiden Seiten. Und die wurden präzisiert. Die verschiedenen Tendenzen kommen nun stärker zum Ausdruck.

Malika Schaeffer trägt aus Wislikofen AG ihr Statement vor.
Malika Schaeffer trägt aus Wislikofen AG ihr Statement vor.

Warum waren die zwei Teile des Treffens überhaupt notwendig? Warum hat das gemischte Treffen von Bischöfen, Laiinnen und Laien nicht gereicht?

Gmür: Wir Bischöfe haben in der Kirche eine besondere Verantwortung. Deswegen müssen wir uns auch im Bischofskollegium die Frage stellen: Was bedeutet das für unser Bischofsamt, wenn die Kirche zugleich synodal und hierarchisch ist? Wie artikuliert sich das? Wir haben über diese Frage diskutiert. Wir haben jetzt nicht gesagt: synodal bedeutet das und hierarchisch jenes. Wir haben einfach das Feld aufgemacht und gemerkt: Wir müssen Synodalität und Hierarchie zusammendenken.

Brennstab und Kühlelement? Bischof Felix Gmür und Monika Schmid in Freiburg.
Brennstab und Kühlelement? Bischof Felix Gmür und Monika Schmid in Freiburg.

Ist das nicht ein Widerspruch, gar die Quadratur des Kreises?

Gmür: Synodalität und Hierarchie sind kein Widerspruch, sondern ergänzen einander. Das leben die meisten Bischöfe schon jetzt.

Haben Sie das Gefühl, aktuell eine neue Form des Kirche-Seins zu erleben – anders als unter Papst Benedikt, als Sie Generalsekretär der Schweizer Bischofskonferenz waren?

Gmür: Ich habe schon immer eine offene Kirche gespürt. Der Austausch unter den Generalsekretären war schon immer sehr offen.

Erzbischof Franz Lackner (Salzburg) und Bischof Felix Gmür (Basel) in Prag.
Erzbischof Franz Lackner (Salzburg) und Bischof Felix Gmür (Basel) in Prag.

Welchen Punkt haben Sie in Prag im Austausch mit den Bischöfen stark gemacht?

Gmür: Wenn das Evangelium von der Kirche verkündet werden soll, dürfen wir nicht nur an die Professionellen denken – sondern an das ganze Volk Gottes. Das Zusammengehen von Hierarchie und Synodalität bedeutet, dass nicht nur Seelsorgerinnen und Priester verkünden, sondern alle Menschen. 

«Niemand weiss so genau, was die synodale Kultur bedeutet.»

Worauf kommt es in den nächsten Monaten an?

Gmür: Wir sprechen viel über den synodalen Prozess, die synodale Kultur. Doch niemand weiss so genau, was das bedeutet. Das heisst, man muss die Begriffe füllen – und das geht nicht von heute auf morgen.

Tatjana Disteli an der Synode in Prag.
Tatjana Disteli an der Synode in Prag.

Was werden Sie im März bei der Vollversammlung der Schweizer Bischofskonferenz über Prag berichten?

Gmür: Ich werde das nicht alleine machen. Geplant ist, dass aus allen drei Schweizer Sprachregionen Delegierte nach Lugano kommen. Für die Deutschschweiz Tatjana Disteli, die in Prag vor Ort war. Und für die Romandie und fürs Tessin zwei Delegierte aus Wislikofen.

Schwester Luiza Milani und Mentari Baumann in Wislikofen
Schwester Luiza Milani und Mentari Baumann in Wislikofen

Bei den Schweizer Online-Delegierten in Wislikofen hat die albanische Ordensschwester Luiza Milani gesagt, Mentari Baumann sei die erste queere Person, die sie jemals getroffen habe. Berührt Sie das?

Gmür: Ja, man sieht hier gut die Kraft der Erfahrung. Wir müssen miteinander sprechen, nicht übereinander. Unsere Wahrnehmung verändert sich über Begegnungen – mehr, als wenn wir etwas nur in einem Buch lesen.

«Der Krieg in der Ukraine verändert die Realität der Kirche.»

Was nehmen Sie persönlich aus Prag mit – als Präsident der Schweizer Bischofskonferenz und als Bischof von Basel?

Gmür: Europa hat eine Kirche, die sich in sehr vielen verschiedenen Formen ausdrückt. Und das hat verschiedene Gründe. Ein Grund sind die verschiedenen Kulturen und die unterschiedliche Geschichte – denken Sie an die Verfolgung der Kirche in der Zeit des Eisernen Vorhangs. Und wir haben auch heute verschiedene Realitäten. Der Krieg in der Ukraine verändert die Realität der Kirche nicht nur in der Ukraine und in Russland, sondern in allen angrenzenden Ländern. Und auch bei uns. Auch in der Schweiz leben Geflüchtete aus der Ukraine.

Kardinal Jean-Claude Hollerich, Generalrelator der Synode
Kardinal Jean-Claude Hollerich, Generalrelator der Synode

Im Vorfeld sagte der Luxemburger Kardinal Hollerich, der synodale Prozess sei keine Synode über «Homosexualität oder Polygamie». Was sagen Sie den Gläubigen in der Schweiz, die sich Priesterinnen und eine Reform der Sexualmoral wünschen?

Gmür: Synode über Synodalität heisst, Synodalität als Kultur in der Kirche neu zu implementieren.

«Es geht um ‘decision making’ und um ‘decision taking’.»

Was meinen Sie damit?

Gmür: Es geht um die Art und Weise, was Kirche ist und wie wir als Kirche gemeinsam unterwegs sind. Es geht um «decision making» und um «decision taking». Und da geht es nicht um einzelne Fragen, sondern um das Ganze. Hier gibt es in Europa verschiedene Geschwindigkeiten. Wir haben darüber gesprochen, dass der Papst für die Diözese Rom einen pastoralen Rat in den Pfarreien will. In der Schweiz haben wir das schon längst. Das ist ja schon länger eine Option im Kirchenrecht – aber die wurde in Rom bislang nicht umgesetzt. Die Geschwindigkeiten sind unterschiedlich – und deswegen sind auch die Antworten und die Erwartungen unterschiedlich.

Gemeindeleiterin Dorothee Becker leitet die Kommunionfeier in der Kirche St. Franziskus in Riehen BS, Juli 2021
Gemeindeleiterin Dorothee Becker leitet die Kommunionfeier in der Kirche St. Franziskus in Riehen BS, Juli 2021

Vor allem in Deutschland sieht man die Schweiz als Trendsetter. Es gibt in der Deutschschweiz ein spezielles Bischofswahlrecht. Es gibt das duale System. In Ihrem Bistum Basel können auch Laiinnen und Laien das Sakrament der Taufe spenden und einer Eheschliessung assistieren. Konnten Sie diese Erfahrungen in Prag einbringen?

Gmür: Es ging in Prag nicht um konkrete Einzelbeispiele. In unserem Statement haben wir betont: Es gibt in der Schweiz verschiedene Mittel, um zu Entscheidungen zu kommen. Das wurde in Prag schon wahrgenommen. Auch ist in den Voten der anderen Länder klargeworden: Die Frage der Frau ist wirklich eine Top-Frage für unsere Kultur, unsere Gesellschaft – und damit auch für unsere Kirche.

«Jung heisst für mich 20 Jahre, nicht 40 Jahre.»

Kardinal Hollerich hat angekündigt, auch Laiinnen und Laien werden zur Bischofsynode im Oktober nach Rom eingeladen. Was würden Sie sich wünschen?

Gmür: Ich fände es gut, wenn auch junge Menschen dabei wären. Jung heisst für mich 20 Jahre, nicht 40 Jahre. Und Frauen sollten dabei sein. Wenn man über Frauen redet, müssen Frauen mitreden. Wenn man über Junge redet, müssen Junge mit dabei sein. Ob Laien nur als Zuschauerinnen und Zuschauer mitdiskutieren dürfen oder ob sie Stimmrecht erhalten, das kann ich nicht sagen. Ich fände es gut, wenn sie ein Stimmrecht bekämen.

Cristina Vonzun
Cristina Vonzun

Die Tessiner Delegierte Cristina Vonzun musste krankheitsbedingt absagen. Warum haben Sie nicht kurzfristig jemanden nach Prag geschickt?

Gmür: Es wäre nicht synodal, wenn ich als Präsident alleine entscheide. Die Delegierten wurden durch breit abgestützte Prozesse ausgewählt. Und ich glaube, Tatjana Disteli, Helena Jeppesen und ich waren in Prag ein gutes Trio. 

«Mir hat die Jugend gefehlt.»

Die Jugend war in Prag nicht vertreten. War es ein Fehler, keine junge Person nach Prag zu schicken?

Gmür: Auch mir hat die Jugend gefehlt. Das Problem ist, dass die meisten Jugendlichen in die Schule müssen oder studieren – und nicht einfach so eine Woche frei bekommen.

Barbara Kückelmann ist Teil der Basler Bistumsleitung.
Barbara Kückelmann ist Teil der Basler Bistumsleitung.

Laut Ihrer Pastoralverantwortlichen Barbara Kückelmann können queere Menschen im Bistum Basel in der Regel keine Missio bekommen. Wenn in Deutschland das möglich ist: Warum geht das nicht im Bistum Basel?

Gmür: Wir sind an dem Thema dran im Rahmen der Deutschschweizer Bistümer. Das wurde letzte Woche diskutiert. Ich war nicht dabei und weiss nicht, was rausgekommen ist.

Eric de Moulins-Beaufort, Erzbischof von Reims und Vorsitzender der Französischen Bischofskonferenz (CEF).
Eric de Moulins-Beaufort, Erzbischof von Reims und Vorsitzender der Französischen Bischofskonferenz (CEF).

Sie haben kürzlich in Lugano Ihre Mitbrüder aus Deutschland und Frankreich getroffen, Bischof Georg Bätzing und Erzbischof Eric de Moulins-Beaufort. Was war Thema?

Gmür: Wir haben jedes Jahr im Januar ein informelles Treffen. Es war sehr brüderlich. Wir hatten eine offene Diskussion – vor allem über das, was uns hier erwartet.

Mit diesen Gegenständen wird die Krankensalbung durch einen Priester gestaltet.
Mit diesen Gegenständen wird die Krankensalbung durch einen Priester gestaltet.

Haben Sie über die Frage der Sakramentalität gesprochen? Etwa wer das Sakrament der Krankensalbung spenden darf?

Gmür: Nein. Das war in Lugano kein Thema und auch nicht in Prag. 

«Wir haben gelernt, einander zuzuhören und auch wirklich Fremdes wahrzunehmen.»

Was hat Sie in Prag besonders berührt?

Gmür: Berührt hat mich, wie die Bischöfe geübt und gelernt haben, einander zuzuhören und auch wirklich Fremdes wahrzunehmen. Und das dann ins eigene Nachdenken zu integrieren.

Dominique-Marie David ist Erzbischof von Monaco.
Dominique-Marie David ist Erzbischof von Monaco.

Der Erzbischof von Monaco findet, es sei eine ungewohnte, aber gute Erfahrung, dass die Bischöfe sich anfangs zurückgenommen haben und die Delegierten sprechen liessen. Wie haben Sie das empfunden? 

Gmür: Ähnlich. Auch ich habe mich zurückgenommen. Für die Schweiz haben Tatjana Disteli und Helena Jeppesen gesprochen. Es wäre ein Witz, wenn so viele Leute nach Prag kämen und nur die Bischöfe sprächen.

Bischof Felix Gmür (links) beim Gottesdienst am Montagmorgen in Prag.
Bischof Felix Gmür (links) beim Gottesdienst am Montagmorgen in Prag.

Der Sprecher der katholischen Kirche im Kanton Zürich, Simon Spengler, schreibt in seinem Newsletter «Grüss Gott Zürich», der deutsche Bischof Georg Bätzing habe sich dem «klerikal-liturgischen Maskenball» verweigert und «in dunklem Anzug hinten beim Volk» gesessen. Er «trat gemeinsam mit diesem zur Kommunion, wodurch die Zuschauer sehen konnten, dass es auch anders gehen würde. Er blieb eine einsame Ausnahme.» Auch der Salzburger Erzbischof Franz Lackner kam am Montag im Anzug. Warum haben Sie sich fürs Messgewand entschieden?

Gmür: Ich habe im Saal zweimal konzelebriert und einmal nicht. Ich hatte Menschen versprochen, für sie und ihr Anliegen eine Messe zu feiern. Und dann feiert man halt die Messe und konzelebriert. Mitfeiern als Konzelebrant oder nicht: Das ist kein Problem und daraus sollte man jetzt keine Geschichte machen. 

Irme Stetter-Karp und Bischof Georg Bätzing.
Irme Stetter-Karp und Bischof Georg Bätzing.

Die deutsche Delegierte Irme Stetter-Karp ist Co-Präsidentin des Synodalen Wegs. Sie hat sich teilweise unwohl gefühltAls vom Teufel die Rede war, seien in dem Moment die Blicke zu ihr gewandertWie haben Sie die deutsche Delegation wahrgenommen?

Gmür: Ich bedauere diese Erfahrung. Ich habe nicht mitbekommen, dass jemand komisch angeschaut wurde. Auch unter uns Bischöfen hat niemand Bischof Georg Bätzing komisch angeschaut. Ich finde, dass die Deutschen bei allen einen guten Eindruck hinterlassen haben.

Josef Stübi
Josef Stübi

In zwei Wochen feiern Sie ein grosses Fest: Sie weihen Josef Stübi zum Weihbischof des Bistums Basel. Wer wird ihn mitkonsekrieren?

Gmür: Der Bischof von St. Gallen, Markus Büchel, als amtsältester Bischof in der Schweiz und als Bischof eines Nachbarbistums. Und der Weihbischof des Erzbistums Freiburg, Peter Birkhofer.

Wie läuft bislang das Teamplay mit Josef Stübi?

Gmür: Das werden wir sehen, wann er dann im Amt ist. Noch ist er Pfarrer und er kann ja nicht alles gleichzeitig machen.

Der künftige Weihbischof Josef Stübi (links) während einer Medienkonferenz.
Der künftige Weihbischof Josef Stübi (links) während einer Medienkonferenz.

Freuen Sie sich auf die Entlastung?

Gmür: Ja, Gott sei Dank! Er ist ja nicht nur eine Entlastung für mich, sondern für alle. Er ist ja nicht für mich Weihbischof, sondern für das ganze Bistum.

* Felix Gmür (56) ist Bischof von Basel und Präsident der Schweizer Bischofskonferenz.


Die Schweizer Delegation im Livestream des synodalen Prozesses: Bischof Felix Gmür, Tatjana Disteli und Helena Jeppesen. | © Christian Merz
12. Februar 2023 | 05:00
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