Eric de Moulins-Beaufort, Erzbischof von Reims und Vorsitzender der Französischen Bischofskonferenz (CEF).
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Erzbischof Moulin-Beaufort: Die Frauenordination ist nicht die Lösung

Eric de Moulins-Beaufort (61) ist Erzbischof von Reims und Präsident der französischen Bischofskonferenz. Ein Gespräch über den Missbrauchstäter Marie-Dominique Philippe, die Debatte über Ministrantinnen in Genf – und das Treffen mit seinen Mitbrüdern Felix Gmür und Georg Bätzing in Lugano.

Annalena Müller

Monseigneur, aktuell führt Frankreich eine erneute Missbrauchs-Debatte. Involviert ist Jean-Marie Philippe, der früher an der Universität Freiburg i.Ü. lehrte. Passiert in Frankreich gerade das, was mit Blick auf die Aufarbeitung in Irland bereits passiert ist?

Eric de Moulin-Beaufort*: Vor zehn Jahren war ich der Überzeugung, dass es in Frankreich weniger Missbrauchsfälle gibt als in den angelsächsischen Ländern. Ich war überzeugt: Wegen des Protestantismus glich die katholische Kirche in den angelsächsischen Ländern einer Festung. Das hat Missbrauch begünstigt. Ich dachte, bei uns sieht es anders aus – auch aufgrund der Laizität.

Eric de Moulins Beaufort, Bischof von Reims.
Eric de Moulins Beaufort, Bischof von Reims.

Leider habe ich mich gewaltig geirrt. Auch in Frankreich ist es den Tätern gelungen, von der Spaltungen innerhalb der französischen Gesellschaft und innerhalb der Kirche zu profitieren. Sie haben sich als Hüter von Orten inszeniert, an denen allein die Wahrheit des Lebens im Geist und die Wahrheit des Lebens in Christus gelebt wurde. Und das hat es ihnen ermöglicht, viele Abweichungen zu verschleiern.

Wie bewerten Sie den Fall der Brüder Philippe?

Moulin-Beaufort: Der Fall der Brüder Philippe ist besonders bemerkenswert, weil beide ja Dominikaner waren, also einem Orden angehörten. Aber in Wirklichkeit lebten sie ausserhalb des Ordens. Die Brüder schienen für eine gewisse thomistische Orthodoxie zu stehen. Aber in Wirklichkeit untergruben sie die religiöse Lehre völlig, nicht nur die thomistische, sondern auch die christliche im Allgemeinen.

«Es gelang ihnen, als Hüter einer christlichen Wahrheit zu erschienen.»

Wie konnten sie ein halbes Jahrhundert lang Missbrauch begehen, ohne dass es jemand bemerkt haben will?

Moulin-Beaufort: Es gelang ihnen, als Hüter einer christlichen Wahrheit zu erschienen. Jeder, der sie kritisieren oder angreifen wollte, wurde beschuldigt, Christus nicht zu lieben, nicht an den Heiligen Geist zu glauben und so weiter. Das machte Angst und führte dazu, dass man sie nicht hinterfragte.

Der Dominikaner Marie-Dominique Philippe mit Papst Johannes Paul II.
Der Dominikaner Marie-Dominique Philippe mit Papst Johannes Paul II.

Was muss sich in Zukunft ändern?

Moulin-Beaufort: Wir brauchen eine wirkliche Einheit der Kirche. Damit meine ich die gegenseitige Wertschätzung und die Fähigkeit aller, am Leben der Kirche teilzunehmen. Es müssen deren Regeln akzeptieret werden. Aber diese institutionellen Regeln müssen offener werden, als sie es heute sind. Sie müssen alle Lebensumstände einbeziehen und dürfen nicht nur für einen Teil der Kirche gelten, sondern für alle. Wir müssen unsere Macht- und Autoritätsbeziehungen so umgestalten, dass sie keinen Raum mehr für Missbrauch geben.

«In der Vergangenheit haben wir als Kirche die Schwere von Missbrauchsvorwürfen heruntergespielt.»

In der Vergangenheit ist es immer wieder vorgekommen, dass Missbrauchstäter aus der Romandie nach Frankreich transferiert wurden – und umgekehrt. Aus den Augen, aus dem Sinn… So konnte der Missbrauch anderen Orts weitergehen.

Moulin-Beaufort: Solche Fälle sind mir nicht bekannt. Aber auf jeden Fall müssen wir wachsam sein, wenn wir jemanden transferieren. Die Dokumentation und Kommunikation muss genauer werden. In der Vergangenheit haben wir als Kirche die Schwere von Missbrauchsvorwürfen heruntergespielt. Man dachte lange, es sei eine einmalige Schwäche und dass an einem anderen Ort alles anders laufen würde. Heute wissen wir, dass es etwas Strukturelles und Perverses gibt, im Sinne einer inneren Veranlagung, die für andere und für die Person selbst gefährlich ist. Ich denke also, dass man heute schon sehr viel weniger naiv in dieser Sache ist als früher.

Am 28. Januar haben Sie in Frankfurt am Main das diesjährige Karlsamt geleitet. Das wichtige Pontifikalamt wird jährlich zu Ehren Karl des Grossen, des «ersten Europäers», zelebriert. Die Schweiz befindet sich im Zentrum Europas, ohne Teil der Europäischen Union zu sein. Wie sehen Sie die Rolle der Schweiz in Europa?

Moulin-Beaufort: Für einen Europäer wie mich, für einen Franzosen, ist die Schweiz Teil von Europa. Sie ist unser Nachbarland. Viele Franzosen und viele Deutsche arbeiten in der Schweiz. Die Schweiz ist auch ein integraler Teil der europäischen Geschichte und im heutigen Europa ist sie oftmals ein ausgleichender Faktor. Politische Konstrukte wie die EU sind eine Sache. Die geistige und kulturelle Realität, die Europa darstellt, ist aber umfassender als die EU.

Kathedrale von Lugano.
Kathedrale von Lugano.

Sie haben sich im Januar mit Ihrem deutschen Kollegen Georg Bätzing und Ihrem Schweizer Kollegen Felix Gmür in Lugano getroffen. Worüber haben Sie gesprochen?

Moulin-Beaufort: Es gibt ein jährliches Treffen. Niemand weiss so genau, wann diese Tradition begonnen hat, aber auf jeden Fall treffen sich die Vorsitzenden der deutschen, französischen und Schweizer Bischofskonferenz jedes Jahr abwechselnd in der Schweiz, Frankreich oder Deutschland. Dieses Jahr haben wir über den synodalen Prozess gesprochen. Auch haben wir über die Kurienreform und die Auswirkungen auf die Kirche gesprochen. Wir sprachen auch über Fragen das Lebensende und den assistierten Suizid. Welche Gesetze gibt es in unseren Ländern – und welche sind geplant? Wir haben auch über den Weltjugendtag gesprochen, die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zum Moskauer Patriarchat.

«Ich war immer beeindruckt, dass der deutsche Katholizismus so anders ist als der französische.»

Wie nehmen Sie die katholische Kirche in der Schweiz wahr?

Moulin-Beaufort: Ich weiss wenig über den Schweizer Katholizismus. Ich kenne Deutschland etwas besser und ich war immer beeindruckt, dass der deutsche Katholizismus so anders ist als der französische. Wir leben unsere gleiche Religion auf sehr, sehr unterschiedliche Weise. Den gleichen Glauben, die gleiche kirchliche Realität, aber trotzdem sehr, sehr unterschiedlich. Es ist interessant und es zwingt einen, die Frage zu stellen: Warum leben wir den Glauben so und nicht so.

Welche Unterschiede fallen Ihnen ein?

Moulin-Beaufort: Das Verhältnis von Priestern zur Messe ist in Frankreich anders als in Deutschland und in der Schweiz. In Frankreich ist es selbstverständlich, dass alle konzelebrieren, wenn Priester zusammenkommen. In Deutschland gibt es auch Priester, die darauf verzichten. Es zeigt, dass der katholische Glaube auf ziemlich unterschiedliche Weise gelebt werden kann. Auch ist die Einbettung der Kirche in die Gesellschaft in Deutschland ganz anders als in Frankreich. Und in der Schweiz gibt es da ja sogar Unterschiede je nach Kanton.

Zwei Ministrantinnen folgen Kardinal Pietro Parolin in Einsiedeln.
Zwei Ministrantinnen folgen Kardinal Pietro Parolin in Einsiedeln.

In Genf haben aus Frankreich stammende Katholiken eine Diskussion angestossen, ob es auch weiterhin Ministrantinnen geben soll. Was denken Sie darüber?

Moulin-Beaufort: Auch in Frankreich sind Ministrantinnen normal. Besonders auf dem Land. In den Städten ist es mitunter anders. Es gibt keine theologische Begründung, warum Frauen nicht Ministrantinnen sein dürften. Es sind dann auch eher pädagogische Gründe, die gegen Ministrantinnen vorgebracht werden.

«Ich glaube, man würde auch kein theologisches Argument gegen Ministrantinnen finden.»

Nämlich?

Moulin-Beaufort: So nach dem Motto: Wenn Mädchen mit dabei sind, dann machen Jungs es nicht mehr. Darüber kann man natürlich streiten. Sicherlich ist dies kein theologisch fundiertes Argument. Und ich glaube, man würde auch kein theologisches Argument gegen Ministrantinnen finden. Und wenn man eines anbringen würde, dann wäre es falsch.

Bleiben wir bei den Frauen: Frauenordination ja oder nein? Welche Position nimmt die französische Kirche ein?

Moulin-Beaufort: Die synodale Konsultation in Frankreich hat deutlich gezeigt, dass sich die Frage der Frauen stellt – nach ihrem Platz in der Kirche, aber auch in der Gesellschaft. Auch dort ist es noch ein weiter Weg – dessen muss man sich bewusst sein.

Lektorin Monika Vollmer bei einem Gottesdienst in Solothurn.
Lektorin Monika Vollmer bei einem Gottesdienst in Solothurn.

Was meinen Sie genau?

Moulin-Beaufort: In den letzten fünf Jahren haben wir immer wieder erlebt, dass Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft angegriffen und belästigt werden. Ich habe den Eindruck, dass sich viele Frauen erst jetzt trauen, ihre Erfahrungen zu teilen. Wir müssen erkennen, dass Frauen nicht so sicher sind, wie es uns lange schien – und dass es noch viel zu tun gibt.

«Ob die Frauenordination die Lösung ist? Ich für meinen Teil glaube das nicht.»

Was muss konkret innerhalb der Kirche passieren?

Moulin-Beaufort: Frauen sind in der Kirche sehr präsent. Im Alltag der Pfarreien, aber auch auf den Verwaltungsebenen. Sie sind heute in bischöflichen Räten und in all unseren Gremien präsent. Obwohl wir hier sicherlich noch Fortschritte machen können. Dennoch muss man abwägen zwischen denjenigen Frauen, die an der Kirche leiden, und den vielen, die nicht leiden. Ob die Frauenordination die Lösung ist? Ich für meinen Teil glaube das nicht.

Warum nicht?

Moulin-Beaufort: Man muss zunächst die Frage stellen, was genau das priesterliche Amt und der priesterliche Dienst sind. Wenn man einfach Frauen hinzufügt, hat man diese Frage dann beantwortet? Nein. Denn es sind zwei verschiedene Fragen. Es ist jetzt dringlich, dass die Präsenz von ordinierten Amtsträgern in der Kirche und der Welt wieder als schön, als stark, als freudig wahrgenommen wird.

Im Bistum Basel dürfen Lainnen und Laien auch trauen und taufen. Ist das eine Möglichkeit für die französische Kirche?

Moulin-Beaufort: Das wird in Frankreich nicht wirklich in Betracht gezogen. Es gibt ja geweihte Amtsträger für diese Aufgaben – ob es nun Priester oder Diakone sind. Es sind eher andere Themen, die in Frankreich diskutiert werden.

«Dringlicher als die Frage der Ordination zu beantworten, ist es, Frauen mitentscheiden zu lassen.»

Welche?

Moulin-Beaufort: Man fordert weniger Sakramente –aber man diskutiert nicht darüber, wer diese spenden darf. Mir liegt die Frage der Priesternennungen am Herzen. Ein weiblicher Blick würde helfen, die tradierte, männliche, priesterliche Perspektive ein wenig zu verschieben. Dringlicher als die Frage der Ordination zu beantworten, ist es, Frauen mitentscheiden zu lassen.

Bei der Taufe zeichnet der Priester mit Wasser ein Kreuz auf die Stirn des Kindes.
Bei der Taufe zeichnet der Priester mit Wasser ein Kreuz auf die Stirn des Kindes.

Haben Sie bereits konkrete Erfahrungen sammeln können?

Moulin-Beaufort: Als ich Weihbischof von Paris war, haben wir eine Frau in den Ordensrat berufen. Ich bin jetzt natürlich nicht mehr in Paris, aber soweit ich weiss, läuft es nach wie vor ohne Probleme.

«Immer mehr Erwachsene lassen sich taufen.»

Was sind die Hauptthemen, die die französische Delegation in Prag thematisieren möchte?

Moulin-Beaufort: Uns geht es um eine Kirche, die gleichzeitig missionarisch und integrativ ist. Das heisst: Wie kann die Kirche als zu Christus führend erscheinen und nicht als eine Institution, die immer nur Grenzsteine setzt? In Frankreich können wir hier einige Erfolge vorweisen. Immer mehr Erwachsene lassen sich taufen. Es sind nicht tausende, aber es werden jedes Jahr ein paar mehr. Das ist ermutigend. Wie man die Mission begleiten kann, ist also ein grosses Thema. Dann stellt sich natürlich auch die Frage der Frauen, über die wir gerade gesprochen haben.

Welche Fragen stellen sich noch?

Moulin-Beaufort: Ein weiteres Thema, das wir Franzosen ziemlich stark vorantreiben, ist die Frage, wie man Menschen in prekären Verhältnissen und Menschen mit Behinderungen besser einbinden kann. Deshalb wurde in unserer Zusammenfassung das Wort einer Person mit Behinderung zitiert, die sagte: «Man kann nicht allein zu Christus gehen, denn wenn man es allein tut, wird er fragen, wo die anderen sind.»

Sie sind Erzbischof von Reims. Das international bekannteste Buch aus Ihrer Stadt ist «Rückkehr nach Reims» von Didier Eribon…

Moulin-Beaufort: …ja, ein sehr schönes, aber auch sehr trauriges Buch.

Didier Eribon, französischer Philosoph und Autor
Didier Eribon, französischer Philosoph und Autor

Was sagen Sie einem Mann wie Herrn Eribon, der aufgrund seiner sozialen Herkunft und seiner Homosexualität diskriminiert wurde?

Moulin-Beaufort: Das ist kompliziert, ich kenne Herrn Eribon nicht persönlich…

Es dürfte viele Leute wie ihn geben…

Moulin-Beaufort: Das Buch spiegelt menschlichen Beziehungen, die mich sehr traurig machen. Aber es ist auch ein sehr ehrliches Buch, weil es den grossen Irrtum Eribons in Bezug auf seine Eltern thematisiert. Eribon dachte lange, dass seine Eltern ihn wegen seiner Homosexualität ablehnten. Erst viel später verstand er, dass sein sozialer Aufstieg der eigentliche Grund ihrer Ablehnung war. Eribon entstammte ja einer bildungsfernen Arbeiterfamilie. Später wurde er Professor für Soziologie in Paris. Es wäre mein Wunsch und meine Hoffnung, dass in jeder Situation – auch in einer solchen, in der man mit Diskriminierung konfrontiert ist –, man Liebe, Nächstenliebe, Gegenseitigkeit und Hoffnung in seinen Beziehungen findet. Das sozial Trennende muss man bekämpfen, Schranken überwinden, damit man echte, tiefe und freudige menschliche Beziehungen leben kann.

Auch homosexuelle Beziehungen?

Moulin-Beaufort: Homosexuelle eingeschlossen.

* Eric de Moulins-Beaufort (61) ist Erzbischof von Reims und Präsident der französischen Bischofskonferenz. Er wurde in Landau geboren, weil sein Vater damals als französischer Offizier stationiert war.


Eric de Moulins-Beaufort, Erzbischof von Reims und Vorsitzender der Französischen Bischofskonferenz (CEF). | © KNA
7. Februar 2023 | 16:41
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