Schweizer Franken.
Schweiz

Gemeinsame Missbrauchsstudie scheitert am katholischen Geld

Hinter den Kulissen wurde monatelang über eine gemeinsame Studie verhandelt. Nun gehen die Reformierten alleine voran. Der Grund: Wegen des Anstiegs der Missbrauchsmeldungen und Genugtuungsleistungen fehlte den Katholiken das Geld.

Annalena Müller

Am Sonntag liess Rita Famos die Bombe platzen. Im Interview mit der NZZ informierte die oberste Reformierte, dass die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) eine eigene Missbrauchsstudie plane. Unerwähnt blieb: Bis vor wenigen Wochen arbeiteten die katholische und reformierte Kirche zusammen an dem Projekt.

Dunkelfeldstudie

Die EKS-Studie basiert auf Umfragen und soll das so genannte Dunkelfeld beleuchten; also solche Fälle erfassen, die nicht aktenkundig geworden sind, weil Betroffene keine Meldung gemacht haben. Experten gehen davon aus, dass der Grossteil der Missbrauchsfälle im Dunklen bleibt.

EKS-Präsidentin Rita Famos gilt als Befürworterin einer Schweizer Missbrauchsstudie
EKS-Präsidentin Rita Famos gilt als Befürworterin einer Schweizer Missbrauchsstudie

Eine solche quantitative Studie hat das Team um Monika Dommann und Marietta Meier von der Universität Zürich in ihrem Bericht zum Pilotprojekt im September 2023 gefordert. «Neben historischen Forschungsprojekten sollte auch eine soziologisch angelegte, quantitative Untersuchung in Auftrag gegeben werden, um – vergleichbar mit der CIASE-Studie in Frankreich – das Ausmass des sexuellen Missbrauchs im Umfeld der katholischen Kirche in der Schweiz präziser abschätzen zu können.»

Ökumene sinnvoll

In einer Stellungnahme schreiben die Historikerinnen nun: «Im Anschluss an die Medienkonferenz haben wir klargestellt, dass es vergleichende Forschung braucht, um die katholischen Spezifika von sexuellem Missbrauch herauszuarbeiten.»

Projektleiterinnen der Pilotstudie: Marietta Meier (l.) und Monika Dommann.
Projektleiterinnen der Pilotstudie: Marietta Meier (l.) und Monika Dommann.

Weiter heisst es: «Während es bei qualitativen Studien wie der unseren sinnvoll ist, sich zunächst auf einen Bereich – hier die katholische Kirche der Schweiz – zu konzentrieren, drängt sich bei Dunkelfeldstudien ein vergleichendes Vorgehen von Beginn weg auf. Aus wissenschaftlicher und finanzieller Perspektive empfiehlt es sich, bei einer Umfrage gleich verschiedene Religionszugehörigkeiten zu berücksichtigen.»

In anderen Worten: Eine ökumenische Trägerschaft der Studie wäre sinnvoll. Dies sehen nicht nur die Forschenden so, sondern auch weite Teile der Kirchenspitzen. Entsprechend gab es in den vergangenen Monaten Gespräche zwischen Vertretern der SBK, RKZ und der EKS. Dass das gemeinsame Projekt nicht zustande kommt, trifft auf Bedauern.

Geldmangel und Zeitdruck

On the Record will sich kaum jemand äussern. Auch aus Sorge, den Weg für eine künftige Zusammenarbeit zu verbauen. Gefragt nach den Gründen des Scheiterns verweisen RKZ-Generalsekretär Urs Brosi und Stephan Jütte, Leiter der Kommunikation der EKS, auf die unterschiedlichen Ausgangslagen.

Urs Brosi ist Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ)
Urs Brosi ist Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ)

Das Hauptproblem auf katholischer Seite: das Geld. Wegen der laufenden Studie und der seit September 2023 angestiegenen Genugtuungsleistungen würde die RKZ mehr Zeit brauchen, um bei den Landeskirchen zusätzliches Geld für die Finanzierung einzuwerben, so Urs Brosi.

Zeit aber hat die EKS nicht. «Wir wünschen uns möglichst bald Ergebnisse und wollen nicht bis zur Herbstsynode im November warten, um die Studie vorzulegen», sagt Stephan Jütte gegenüber kath.ch.

Angespannte Stimmung

Beide Seiten betonen: Die Gespräche auf Leitungsebene EKS mit SBK, RKZ und KOVOS seien ausgesprochen konstruktiv und positiv verlaufen. Aber unterhalb der höchsten Gremien ist die Stimmung angespannt.

Dunkelfeldstudien beleuchten Fälle, die nicht aktenkundig geworden sind. Das betrifft den Grossteil aller Missbrauchsfälle
Dunkelfeldstudien beleuchten Fälle, die nicht aktenkundig geworden sind. Das betrifft den Grossteil aller Missbrauchsfälle

Die Austrittswelle nach dem 12. September hat auch die Reformierten getroffen. Im Herbst gab es Forderungen nach einer klaren Abgrenzung zur katholischen Kirche. Spätestens mit der Veröffentlichung der EKD-Studie im Januar zeigte sich, dass Missbrauch kein rein katholisches Problem ist. Unmittelbar nach der Veröffentlichung forderte Famos eine Missbrauchs-Aufarbeitung auch in den protestantischen Kirchen. Dieser Schritt traf nicht überall auf Gegenliebe. Auch das nun vorliegende Studienkonzept ist nicht bei allen willkommen. Die Zustimmung der EKS-Synode im Juni ist nicht sicher.

Enge Zusammenarbeit

Die katholischen Gremien haben in den letzten Monaten ihr Wissen im Studien-Design mit der EKS geteilt. Das bestätigt auch Stephan Jütte. Er fügt an: «Die erhobenen Daten werden Open Access und damit natürlich auch für die katholische Kirche auswertbar sein.» Wem die Trägerschaft der Studie obliege, sei daher zweitrangig.

Stephan Jütte ist Kommunikationsverantwortlicher der EKS
Stephan Jütte ist Kommunikationsverantwortlicher der EKS

Trotzdem hinterlässt der Alleingang der EKS bei einigen einen faden Beigeschmack. Eine gemeinsame Trägerschaft hätte es SBK und RKZ erlaubt, zu zeigen, wie ernst ihnen eine umfassende Aufarbeitung ist. Auch medial wäre dieser Coup für die katholische Kirche nicht zu verachten gewesen.

Auswertung der Daten

Ganz abgefahren ist der Zug allerdings noch nicht. SBK, RKZ und Landeskirchen müssen sich nun überlegen, ob sie auch ohne Co-Trägerschaft an der Studie interessiert sind. Denn Trägerschaft und Datenauswertung sind zwei unterschiedliche Dinge.

Die Daten werden vom Sozial- und Marktforschungsinstitut «DemoSCOPE» erhoben. Mit deren Auswertung sollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Luzern beauftragt werden. Auch SBK und RKZ könnten eine solche Auswertung in Auftrag geben. Laut Budget im Synodenantrag der reformierten Kirchen liegt der finanzielle Aufwand bei ungefähr 800’000 Franken – und damit im durchaus stemmbaren Bereich.

Schweizer Franken. | © pixabay.com
30. April 2024 | 17:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!