Judith Wipfler
Porträt

Judith Wipfler: Eine Liebe fürs Radio und den interreligiösen Dialog

Judith Wipfler (48) ist eine Art Madame Weltethos. Wie nur wenige in der Schweiz engagiert sich die SRF-Religionsjournalistin für den interreligiösen Dialog. Die Uni Bern hat sie dafür mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet. Von Kurt Kochs NS-Vergleich ist sie entsetzt.

Raphael Rauch

«Schalom, ma schlomech? – Hallo, wie geht’s?» Jetzt ist eine Stunde lang Ivrit angesagt. Einmal die Woche skypt Judith Wipfler mit ihrer Hebräisch-Lehrerin in Israel. Auf dem Programm stehen Grammatik, Vokabeln, Landeskunde – und ganz viel Humor.

Von Tel Aviv fasziniert

Judith Wipfler ist von der jüdischen Kultur fasziniert. So stark, dass ihr das Bibel-Hebräisch nicht reichte. Auch wenn in Israel alle Englisch können, möchte sie das moderne Hebräisch sprechen und verstehen. Und das funktioniert mittlerweile ganz gut.

Lächeln ist gut für die Stimme: Judith Wipfler spricht einen Radiobeitrag ein.
Lächeln ist gut für die Stimme: Judith Wipfler spricht einen Radiobeitrag ein.

Die Vielfalt Israels, wie Judith Wipfler sie gerne im Radio erklärt, kommt etwa im zweitgrössten Busbahnhof der Welt zur Geltung. Der steht in Tel Aviv und ist ein eigener Mikrokosmos: Hier frequentieren ultraorthodoxe Juden ebenso wie philippinische Gastarbeiterinnen. «Der Weisse Elefant – Ein Lebensbild vom Busbahnhof Tel Aviv» heisst ein Feature, das auch fünf Jahre später noch hörenswert ist. 

Der Name Judith als Zeichen christlich-jüdischer Aussöhnung

Als Theologie- und Judaistik-Studentin hat sich Judith Wipfler intensiv mit antijudaistischen und antisemitischen Klischees beschäftigt. Als gebürtige Deutsche reagiert sie sensibel auf Wörter wie «Lager» und «Führerausweis». Oder wenn im alten Radiostudio in Basel «SS» am Türschild hing – «SS» stand für «Sendestudio».

Archivbild von 2018: Judith Wipfler (rechts) im Gespräch mit ihrer damaligen Kollegin Maya Brändli.
Archivbild von 2018: Judith Wipfler (rechts) im Gespräch mit ihrer damaligen Kollegin Maya Brändli.

«Nomen est omen»: Auf Judith Wipflers Interesse an jüdischen Themen trifft diese Weisheit zu. «Meine Mutter war Religionslehrerin. Sie hat mich auf den Namen Judith getauft als Bekenntnis für die christlich-jüdische Aussöhnung. Und sie hat mich ganz in diesem Sinne erzogen.»

Rauchen ist gut für die Radiostimme

Judith Wipfler ist alarmiert über den Antisemitismus in der Schweiz. Immer wieder erhält sie Briefe unter der Gürtellinie, wenn sie etwa die Knabenbeschneidung im Judentum verteidigt. Sie hofft, dass es in der Schweiz nicht zu einer Beschneidungsdebatte wie in Deutschland kommt.

Judith Wipfler schneidet einen Radiobeitrag.
Judith Wipfler schneidet einen Radiobeitrag.

Dabei ist Judith Wipfler durch und durch Protestantin – und eine grosse Freundin der Ökumene. Bach liebt sie ebenso wie Kurt Marti. Preussische Disziplin ist ihr nicht fremd – zu ihren wenigen Lastern gehört das Rauchen, wobei das für die Radiostimme einen angenehmen Nebeneffekt hat.

Von Kardinal Kurt Koch entsetzt

Ihr Fazit zur Ökumenischen Vollversammlung in Karlsruhe fällt ambivalent aus. «Gut, dass wir geredet haben», sagt Judith Wipfler und lacht. Es sei wenig Konkretes rausgekommen. Immerhin sei ein Israel-Bashing verhindert worden. «Und ich fand’s gut, dass die russisch-orthodoxe Kirche anwesend war. Die Kirchen sollten jede Möglichkeit des Dialogs nutzen.»

Georg Bätzing und Kurt Koch bei der Ökumenischen Vollversammlung in Karlsruhe.
Georg Bätzing und Kurt Koch bei der Ökumenischen Vollversammlung in Karlsruhe.

In Karlsruhe war auch Kurienkardinal Kurt Koch dabei. Judith Wipfler hat Kochs Aufstieg vom Bischof von Basel zum Ökumene-Minister im Vatikan verfolgt. Eigentlich schätzt sie den Kardinal. Doch mit dem Nazi-Vergleich zum Synodalen Weg habe sich «Kurt Koch disqualifiziert und nachhaltig beschädigt». Judith Wipfler rechnet nicht damit, dass Kurt Koch auf dem deutschsprachigen ökumenischen Parkett noch wesentliche Impulse setzen werde.

Beliebte Religionssendungen wurden gestrichen

Auch nach 22 Berufsjahren in der SRF-Religionsredaktion sprüht Judith Wipfler vor Ideen. Vor zwei Jahren musste sie schlucken, als die SRF-Chefetage die Religionssendungen praktisch halbierte. Und das, obwohl die Sendungen «Blickpunkt Religion», «Zwischenhalt» und die Radiopredigten vergleichsweise Traumquoten erreichten und wenig kosteten.

Nach aussen hin trägt Judith Wipfler die Entscheidung des Senders loyal mit. Es ist aber kein Geheimnis, dass sie sich über die grosse Solidaritätswelle der Petition «Pro SRF Religion» gefreut hat. 

Mainstream statt «Religionsecke»

Immerhin: Die Zusage von SRF-Kulturchefin Susanne Wille, wonach Religionsthemen auch weiterhin einen festen Platz haben, sei eingetreten, sagt Judith Wipfler. Egal ob im «Echo der Zeit», in den SRF-Regionaljournalen oder online: «Wir sind auf allen Wellen ständig präsent. Also nicht nur in der Religionsecke, sondern auch in erfolgreichen Mainstream-Sendungen. Das hat auch was.»

Podium zu SRF-Sparplänen in der Paulus-Akademie. Von links Susanne Wille, Raphael Rauch, Lukas Bärfuss, Priscilla Schwendimann.
Podium zu SRF-Sparplänen in der Paulus-Akademie. Von links Susanne Wille, Raphael Rauch, Lukas Bärfuss, Priscilla Schwendimann.

Regelmässig ist Judith Wipfler auch auf Mundart zu hören – zum Beispiel am Sonntag im «Stichwort Religion» zum Reformationstag. Anders als viele Deutsche hat sie sich im Laufe ihrer Radioarbeit entschieden, Schweizerdeutsch zu lernen. 

Ehrenpromotion mitten im Omikron-Winter

Judith Wipfler hat ein exzellentes Netzwerk. Tina Turner hat sie zwar nicht persönlich kennengelernt, als sie letzten Dezember die Ehrendoktorwürde der Uni Bern erhielt. Das war mitten im Omikron-Winter – die grosse Party musste ausfallen. Und ob Tina Turner, die ebenfalls Ehrendoktorin wurde, zur Verleihung der Urkunde überhaupt gekommen wäre, war ohnehin fraglich.

Judith Wipfler
Judith Wipfler

Dafür haben Hunderte andere gratuliert. Etwa die vielen Radiopredigerinnen und Radioprediger, die sie seit Jahren betreut und die sie «Satelliten» nennt. «Das sind oft meine besten Informantinnen und Informanten», sagt Judith Wipfler und lacht. Wer regelmässig mit Seelsorgenden von der Ostschweiz bis ins Wallis zusammenarbeitet, bekommt ein gutes Gefühl für die pastorale Realität in der Schweiz.

Auf das Wort «Pharisäer» verzichten

Auch bei den Radiopredigten geht es immer wieder um das Verhältnis zum Judentum. Judith Wipfler sensibilisiert etwa für das Wort «Pharisäer». Das Wort «Pharisäer» an sich sei kein antijüdischer Begriff. «Doch die Art, wie der Begriff oft benutzt und verstanden wird, ist klassisch antijüdisch. Um diese Assoziationen zu vermeiden, rate ich manchmal, ihn ganz wegzulassen.»

Jesus, die Ehebrecherin und Pharisäer auf einem Gemälde von Pieter Bruegel d. Ä.
Jesus, die Ehebrecherin und Pharisäer auf einem Gemälde von Pieter Bruegel d. Ä.

Es wäre falsch, Judith Wipfler auf ihre Liebe zum Judentum zu reduzieren. Gewissermassen ist sie eine Art Madame Weltethos. Wie nur wenige in der Schweiz engagiert sie sich für den interreligiösen Dialog.

Ausbildung zur Konfliktberaterin

Sie hat auch einen CAS zur Konfliktberaterin absolviert. Die Weiterbildung in praktischer Friedensethik wurde vom Institut Compax, einer mennonitischen Bildungsstelle auf dem Bienenberg BL, zusammen mit der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg angeboten. «Mariano Delgado hat meine Urkunde unterschrieben und mir überreicht. Seitdem gestalte ich jedes Jahr ein Modul als Referentin oder Moderatorin mit», sagt Judith Wipfler.

Judith Wipfler im Gespräch mit Raphael Rauch.
Judith Wipfler im Gespräch mit Raphael Rauch.

Auch ist sie Vorstandmitglied im Schweizerischen Verein für Täufergeschichte. Hier hat sie an den Hörstationen der Dauerausstellung «Wege zur Freiheit» auf dem Berner Schloss Trachselwald mitgewirkt. 

Dialog zwischen Kirche und Kunst im «Café Theo»

Warum die Täufer? «Im Umgang mit Minderheiten zeigt sich, welche Werte eine Gesellschaft vertritt», sagt Judith Wipfler. «Minderheiten sind ein Seismograph dafür, wie ernst es eine Demokratie mit den Menschenrechten meint.» Das gelte für religiöse Minderheiten ebenso wie für ethnische oder sexuelle.

Anette Lippeck gehört zu den Organisatorinnen der "Woche der Religionen" in Nidwalden.
Anette Lippeck gehört zu den Organisatorinnen der "Woche der Religionen" in Nidwalden.

Am 9. November, an diesem geschichtsträchtigen Datum, moderiert Judith Wipfler einen Abend bei der «Woche der Religionen» in Nidwalden zum Thema: «Du bist schuld! Wer glaubt schon an Versöhnung und Vergebung.» Und im Frühjahr startet sie mit einem Team das «Café Theo» im Hotel Kreuz in Herzogenbuchsee. «Das ist ein ökumenisches Projekt, das den Dialog zwischen Kirche und Kunst fördern soll.» 

«Der Podcast-Trend macht uns Mut»

Ein Herzensanliegen ist Judith Wipfler auch der Weltgebetstag der Frauen. «Da bin ich schon zeitlebens dabei.» Und wenn’s irgendwie geht, besucht sie auch das jeweilige Gastland. Judith Wipfler reist gern – wenngleich nicht mehr so viel wie vor der Corona-Pandemie.

Andrea Meier (v.r.) und Moni Egger sind römisch-katholische Radiopredigerinnen.
Andrea Meier (v.r.) und Moni Egger sind römisch-katholische Radiopredigerinnen.

Und die Zukunft des Radios? Judith Wipflers Augen blitzen auf. Sie ist Radiomacherin aus Leidenschaft. «Der Podcast-Trend macht uns Mut», sagt Judith Wipfler. «Die Podcasts belegen, dass die Menschen gerne zuhören und Radio eine Zukunft hat.» 

Wenn’s schmutzig wird, übernimmt die «Rundschau»

Auch im Digital-Bereich sei die Religionsredaktion zunehmend gefragt. «Wir sind bei der Neuentwicklung diverser Online-Formate beteiligt. Bald starten wir Erklärvideos zu religiösen Feiertagen. Das läuft gut und macht auch richtig Spass.» Ein Leben lang SRF-Religionsredaktion – geht das? «Warum nicht?», fragt Judith Wipfler und lacht erneut. 

Rita Famos und Gottfried Locher 2018 in Schaffhausen.
Rita Famos und Gottfried Locher 2018 in Schaffhausen.

Krawallthemen sind nicht unbedingt ihre Sache. Wenn es schmutzig wird wie beim Skandal der Reformierten rund um Gottfried Lochers MeToo-Affäre, überlässt sie die Investigativ-Recherchen den Kolleginnen und Kollegen der «Rundschau». Judith Wipfler fühlt sich einem Kulturradio verpflichtet, das auf Verständigung hin angelegt ist.

Querflöte und «Cat Content»

Auch deswegen hat sie die Ehrendoktorwürde der Uni Bern erhalten. Als eine der jüngsten Frauen überhaupt. Konkrete Verpflichtungen gehe sie mit der Ehrendoktorwürde nicht ein. Sie solle aber anständig bleiben und der Uni keine Schande bereiten. Das Gegenteil dürfte der Fall sein.

Judith Wipfler bei der Aufnahme der Radiopredigt von SRF
Judith Wipfler bei der Aufnahme der Radiopredigt von SRF

Und da ist noch die Begeisterung für die Querflöte – und für Katzen. Bei «Radio SRF2 Kultur» hat sich rumgesprochen, dass Judith Wipfler Katzen liebt – und so erhält sie immer wieder «Cat Content» aufs Smartphone geliefert. Zum Dank verschickt die Ehrendoktorin dann Herz-Smileys.

Transparenz-Hinweis: Raphael Rauch hat von 2017 bis 2018 in der SRF-Religionsredaktion gearbeitet.


Judith Wipfler | © SRF/Oscar Alessio
25. Oktober 2022 | 05:00
Lesezeit: ca. 6 Min.
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