Kardinäle unter sich: Rainer Maria Woelki (rechts) im Gespräch mit Kurt Koch im August 2022.
Vatikan

Polemik und Politik: Wie Kardinal Koch in die Falle des NS-Vergleichs tappt

Nazi-Vergleiche führen meist in die Irre und schaden dem, der sie als rhetorisches Mittel bemüht. Das muss jetzt der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch lernen, der eine drastische Kritik am deutschen Synodalen Weg formulierte.

Ludwig Ring-Eifel

Als Chef der Ökumene-Abteilung ist Kardinal Kurt Koch (72) der letzte deutschsprachige Kardinal, der unter Franziskus ein hochrangiges Leitungsamt innehat.

Trittsicher auf dem Parkett der Ökumene

Wenn es um Kontakte zu anderen Kirchen, Konfessionen und Gemeinschaften geht, ist Koch international eines der Gesichter der katholischen Kirche. Doch während er sich auf dem Parkett der Ökumene trittsicher bewegt und die Regeln der inter-konfessionellen Höflichkeiten stets beherzigt, hat er nun mit einer Äusserung im innerkatholischen Richtungsstreit heftige Reaktionen ausgelöst.

Bischof Georg Bätzing (links) und Kardinal Kurt Koch bei der Ökumenischen Vollversammlung in Karlsruhe.
Bischof Georg Bätzing (links) und Kardinal Kurt Koch bei der Ökumenischen Vollversammlung in Karlsruhe.

Wo Koch theologisch und kirchenpolitisch steht, ist seit langem bekannt. Immer wieder tritt er vor konservativen Publizisten oder Theologen als Redner auf – so zuletzt beim Treffen der Ratzinger-Schüler in Rom am 24. September. Bei dieser Gelegenheit wurde auch das Interview mit dem katholischen Publizisten Martin Lohmann eingefädelt, das dann fünf Tage später genau passend zur Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda in der Wochenzeitung «Tagespost» erschien.

Bibel und Tradition als Quellen der Offenbarung

Koch liess weder bei der Tagung in Rom noch beim Interview der Tagespost Zweifel daran, dass er dem Reformansatz des Synodalen Wegs skeptisch gegenübersteht.

Ein Ölbild in Solothurn erinnert an den früheren Bischof von Basel, Kurt Koch (1996–2010).
Ein Ölbild in Solothurn erinnert an den früheren Bischof von Basel, Kurt Koch (1996–2010).

Seine Kritik machte er in dem Interview daran fest, dass im theologischen «Orientierungstext» des Synodalen Wegs versucht wird, die nur schwer veränderbaren Quellen der Offenbarung – nämlich die Bibel und die kirchliche Tradition – um zusätzliche «theologische Orte» zu ergänzen, die eine Modernisierung der kirchlichen Lehre erleichtern sollen.

Eine erneuerte oder eine andere Kirche?

Dazu werden im Synodalen Weg die «Zeichen der Zeit» beschworen, die es zu berücksichtigen gelte. Und zu diesen gehören auch neuere «Erkenntnisse der Humanwissenschaften» (etwa zu Themen wie sexuelle Orientierung und Geschlechter-Identitäten) sowie der «Glaubenssinn des Gottesvolks». Wenn Gottes Wille auch über diese Quellen erkennbar ist, dann fällt es leichter, scheinbarunverrückbare, uralte Dogmen im Licht neuester Erkenntnisse zu verändern.

Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen.
Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen.

Kardinal Koch treibt offenbar die Sorge um, dass durch diese Ausweitung der theologischen Erkenntnisquellen die Fundamente der kirchlichen Lehre ins Rutschen geraten. Am Ende könnte dann eine vom Zeitgeist inspirierte synodale Mehrheit zentrale Aussagen der katholischen Dogmatik und Morallehre über Bord werfen und dann, wie Papst Franziskus es einmal warnend formulierte, nicht eine erneuerte, sondern eine andere Kirche schaffen.

Verweis auf die NS-Diktatur

An dieser Stelle kommt der NS-Vergleich ins Spiel. Um zu illustrieren, wie riskant eine zeitgemässe Ausweitung der theologisch-dogmatischen Grundlagen der Kirche sein kann, erinnerte Koch in dem Interview an die «Deutschen Christen». Diese Strömung im Protestantismus sah in den 1930er-Jahren den Aufstieg desNationalsozialismus und seines Führers wie eine neue Offenbarung an und versuchte, die christliche Lehre so umzubauen, dass sie mit den damals weithin akzeptierten «Erkenntnissen» der Rassenlehre und desvölkischen Denkens vereinbar werden sollte.

Dietrich Bonhoeffer ist das Gesicht der Bekennenden Kirche. Er widersprach den "Deutschen Christen".
Dietrich Bonhoeffer ist das Gesicht der Bekennenden Kirche. Er widersprach den "Deutschen Christen".

Hierzu sagt Kardinal Koch: «Es irritiert mich, dass neben den Offenbarungsquellen von Schrift und Tradition noch neue Quellen angenommen werden; und es erschreckt mich, dass dies – wieder – in Deutschland geschieht. Denn diese Erscheinung hat es bereits während der NS-Diktatur gegeben, als die so genannten ‘Deutschen Christen’ Gottes neue Offenbarung in Blut und Boden und im Aufstieg Hitlers gesehen haben.»

Koch bekräftigt «kritische Anfrage an den Synodalen Weg»

Die reformfreudige Mehrheit des Synodalen Wegs in Deutschland, und damit auch die Mehrheit der deutschen Bischöfe auf einem ähnlich gefährlichen Kurs wie damals Hitlers theologische Bewunderer? DerBischofskonferenz-Vorsitzende Georg Bätzing reagierte umgehend auf diesen Vergleich und bezeichnete ihn vor den Medien als «inakzeptabel». Er forderte eine Entschuldigung Kochs und drohte, andernfalls werde er «eine offizielle Beschwerde beim Heiligen Vater einreichen».

Kurt Koch beim Benedikt-Schülerkreis.
Kurt Koch beim Benedikt-Schülerkreis.

Darauf reagierte Koch mit einer teilweisen Entschuldigung und teilte mit, er habe niemanden verletzen wollen. «Ich bin einfach davon ausgegangen, dass wir auch heute aus der Geschichte lernen können. Wie die heftige Reaktion von Bischof Bätzing und andere zeigen, muss ich feststellen, dass dieser Versuch mir misslungen ist. Und ich muss wahrnehmen, dass Erinnerungen an Erscheinungen und Phänomene in der nationalsozialistischen Zeit in Deutschland offensichtlich tabu sind.» Seine kritische Anfrage an den Synodalen Weg könne er allerdings nicht zurücknehmen.

Koch vermutet ein deutsches Tabu

Bätzing reagierte prompt. Kochs Antwort «kann ich nicht als zufriedenstellend akzeptieren», erklärte er am Freitag in Bonn, «da Kardinal Koch sich im Kern nicht für die unhaltbaren Äusserungen entschuldigt, sondern sie – im Gegenteil – noch verschlimmert». Er erwarte «nach wie vor von Kardinal Koch eine eindeutige Distanzierung zu diesen Aussagen».

Kurt Koch (rechts) 2009 in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.
Kurt Koch (rechts) 2009 in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.

Teile der Antwort des Kardinals empfinde er als weitere Verletzung, so Bätzing. So suggeriere Koch etwa mit der Aussage, «dass Erinnerungen an Erscheinungen und Phänomene in der nationalsozialistischen Zeit in Deutschland offensichtlich tabu» seien, dass sich die Bundesrepublik nicht «dem schrecklichen Erbe des Nationalsozialismus stellen» würde.

Massive Kritik an Kurt Koch

Der Bischof ergänzte: «Nicht wir errichten ein Tabu, vielmehr ist es angesichts der Opfer des Nationalsozialismus ein Tabu, Vergleiche mit nationalsozialistischem Denken, das zu eben diesen Opfern geführt hat, mit irgendeinem heutigen Denken anzustellen.»

Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK).
Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK).

Die Art und Weise, wie Koch von den «Deutschen Christen» spreche, lasse «keine andere Lesart zu», als dass er die Synodalversammlung und ihren theologischen Orientierungstext «den ‘Deutschen Christen’gleichstellt». Damit stelle Koch die Synodalen «in den Horizont des Regimes, das unvorstellbares Leid, insbesondere über das Jüdische Volk, gebracht hat».

«Fingerzeige Gottes» in der Gegenwart

Kochs Formulierungen muteten «in ihrer Arglosigkeit für einen international anerkannten und tätigen Kardinal der Weltkirche mit vielfältigen dienstlichen und persönlichen Kontakten nach Deutschland befremdlich an».

Kardinal Kurt Koch (rechts) kritisiert den Synodalen Weg in Deutschland – und damit auch Bischof Georg Bätzing (links).
Kardinal Kurt Koch (rechts) kritisiert den Synodalen Weg in Deutschland – und damit auch Bischof Georg Bätzing (links).

Bätzing ging auch auf die theologischen Argumente Kochs ein und erklärte: «Menschen leben und reflektieren ihren Glauben immer auch als ‘Kinder ihrer Zeit’. Das allein macht die jeweilige Zeit noch nicht zu einem eigenen theologischen Ort. Der Orientierungstext geht davon aus, dass Gott, der Schöpfer und Erhalter der Welt, sich auch in dieser Welt und in der Geschichte der Menschen immer wieder offenbart, dass sein Wirken und sein Wesen also an Ereignissen der Geschichte verdichtet erkennbar wird. Selbstverständlich eignen sichnicht alle geschichtlichen Ereignisse und Entwicklungen in gleicher Weise als solche ‘Fingerzeige Gottes’. Hier kam es in der Geschichte der Kirche immer wieder auch zu erschreckenden Fehlurteilen.»

Wie reagiert Rom?

Unterdessen wird in Rom spekuliert, ob Bätzing bei seinem unmittelbar anstehenden Rom-Besuch, den er zur Vorbereitung des im November geplanten Ad-limina-Besuchs der deutschen Bischöfe absolviert, auchKardinal Koch treffen wird. Eigentlich sei ein solches Gespräch nicht geplant gewesen, ist aus dem Vatikan zu hören.

Mit Spannung wird erwartet, ob sich das Staatssekretariat in den Konflikt einschaltet. Denn mittlerweile hat die Koch-Kontroverse auch die deutsche Bundesregierung alarmiert.

Bundesregierung zeigt sich alarmiert

«Dass der Vergleich mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte herhalten muss, um zu einem innerkirchlichen Konflikt Stellung zu beziehen, ist irritierend», sagte Felix Klein zu kath.ch. Er ist Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. 

Felix Klein ist Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus.
Felix Klein ist Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus.

Für Felix Klein steht fest: «Die so genannten ›Deutschen Christen’ dienten sich sehenden Auges dem mörderischen nationalsozialistischen Regime an und unterstützten dessen Antisemitismus.» Kardinal Koch belasse es nicht «bei der Kritik am Zeitgeist, wenn er insinuiert, dass in Deutschland ›wieder’ etwas geschehe.» (cic)


Kardinäle unter sich: Rainer Maria Woelki (rechts) im Gespräch mit Kurt Koch im August 2022. | © Keystone
1. Oktober 2022 | 08:42
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