Peter Henrici
Schweiz

«Ein Bischof muss in erster Linie führen können»

Zürich, 11.4.17 (kath.ch) Führungsqualität ist nur eine der Eigenschaften, die ein Bischof haben muss, sagt Peter Henrici, ehemaliger Weihbischof im Bistum Chur. Anlässlich des bevorstehenden Rücktritts von Bischof Huonder blickt der Jesuit auf die bewegte Zeit des Bistums Chur unter Huonder und Haas zurück.  

Georges Scherrer

Zur Zeit von Bischof Wolfgang Haas, erinnert sich Peter Henrici im Gespräch mit kath.ch, hat es im Bistum Chur nicht «gebrannt». Es gab eine Führungslücke, weil ein Grossteil der Priester und des Volkes den Bischof nicht als Bischof anerkannte. Als Wolfgang Haas Weihbischof werden sollte, hat das Domkapitel dazu Ja gesagt; denn diese Aufgabe hätte er erfüllen können. Als man ihn aber zum Nachfolger von Bischof Vonderach machen wollte, regte sich der Widerstand; die Priester, die ihn kannten, wussten, dass er dazu nicht fähig wäre, sagt Henrici.

Daraus ergab sich der Widerstand schon bei seiner Bischofsweihe, der sich später, auf Grund einiger unglücklicher Entscheidungen, mehr und mehr verstärkte, so Henrici. Dem Bischof wurden die Bistumsbeiträge gestrichen und seinem neuen Generalvikar, Christoph Casetti, die Amtsräume in Zürich verweigert. In den Medien machte man glauben, dass es mehr um Personalfragen als um die konservative Haltung des Bischofs ginge. «Es gelang Bischof Haas leider nie, diesen wachsenden Widerstand zu überwinden», betont Henrici.

Beruhigung ohne Versöhnung

Rom stellte 1993 dem in Führungsaufgaben wenig erfahrenen Bischof Haas mit dem Marianisten Paul Vollmar und Henrici selbst «zwei ältere Ordenspriester», so Henrici, zur Seite, die ihm als Generalvikare bei der Leitung des Bistums beistehen und eine Versöhnung herbeiführen sollten.

Der Bischof liess diese Generalvikare weitgehend selbständig gewähren, wie er sich auch aus den Entscheidungen der Bischofskonferenz heraushielt. Das führte, wie Henrici betont, «zu einer Beruhigung der Situation, aber nicht zu einer Versöhnung mit dem Bischof». Das Bistum blieb praktisch führungslos bis zur Wahl von Bischof Amédée Grab.

Das Beispiel Priesterseminar

Der heikelste Punkt in der Auseinandersetzung war gemäss Henrici «wohl das Priesterseminar in Chur, über das die eingesetzten Generalvikare keine Kompetenz hatten». Bischof Haas liess Kandidaten zu, die für Seelsorgeaufgaben ungeeignet schienen, und «weihte sie sogar», erinnert sich Henrici.

Als Bischof Huonder 2007 Bischof von Chur wurde, habe sich gerade in diesem Punkt wenig geändert. Er setzte nacheinander drei neue Regenten ein, die jeweils nach kurzer Zeit das Amt wieder verliessen. Jetzt ist, so Henrici, «wohl auf römischen Wunsch», nicht mehr der Bischof für das Seminar zuständig, sondern Domherr Christoph Casetti.

«Zerschlagenes Geschirr»

Unter Bischof Huonder kamen so die alten Spannungen wieder auf. Sie machen vielleicht weniger Lärm, aber sie gehen gemäss Henrici «tiefer, weil sich Bischof Huonder im Gegensatz zu Bischof Haas mit seiner Entourage aktiver gibt und das Bistum in einem sehr konservativen Sinn verändern möchte». Deshalb gebe es heute auch inhaltlich «zerschlagenes Geschirr».

Der Grund für diese Spannungen liegt nach Henrici «in wenig Führungserfahrung und mangelnden Führungsqualitäten der beiden Bischöfe». Beides wäre eine unerlässliche Vorbedingung für die wichtige Aufgabe des Bischofsamtes. «Auch in der Politik und in der Wirtschaft sind Führungsqualitäten eine Grundbedingung.» Ein künftiger Bischof müsste den Beweis erbracht haben, dass er in den ihm anvertrauten Aufgaben die Leute zusammenführen und sie überzeugen konnte. «Ein Bischof muss regieren können.»

Keine «einigende Mitte im Bistum»

Für Henrici ist Führungsqualität eine grundlegende Anforderung für das Bischofsamt. Dazu gehöre Autorität, eine überzeugende Persönlichkeit, was mit der Priester- und Bischofsweihe nicht automatisch gegeben sei. Ein Bischof müsse, wenn nötig, Überzeugungsarbeit leisten können, «damit die Gläubigen ihm gerne folgen». Seine Entscheide dürfen nicht überstürzt gefasst werden; sie müssen durch Rücksprachen breit abgestützt sein und dürfen auch nicht einfach durch einen Befehl eingeführt werden.

Darüber hinaus müsse ein Bischof ausgleichend wirken können, die unvermeidlich auseinanderstrebenden Meinungen miteinander zur Versöhnung bringen und so «die einigende Mitte seines Bistums» sein. Unerlässlich sei heute auch ein gutes Verhältnis zu den Medien durch einen qualifizierten, ausgeglichenen und ausgleichenden Mediensprecher. Priester, die über die oben genannten Eigenschaften verfügten, gebe es heute durchaus in der Schweiz und im Bistum.

«Negativen Erfahrungen» Rechnung tragen

Bei der Wahl eines Bischofs kommt dem Domkapitel in Chur gemäss Henrici eine wichtige Aufgabe zu. Wie in manchen deutschen Bistümern darf es aus einer von Rom vorgelegten Dreierliste den ihm am besten geeignet scheinenden Kandidaten auswählen. Diese Liste «ist oder sollte aus einer breit angelegten Konsultation hervorgegangen sein».

Das Domkapitel müsse sich bei seiner Auswahl genügend Zeit nehmen und dürfe sich nicht unter Druck setzen lassen; es müsste gegebenenfalls um weitere Auskünfte über zu wenig bekannte Kandidaten bitten. Auch vorgängigen negativen Erfahrungen mit einzelnen Kandidaten sei Rechnung zu tragen.

Domkapitel muss mutig agieren

Vor allem aber müsse sich das Domkapitel «vom Heiligen Geist leiten lassen». Es dürfe sich nicht in Ränkespiele einbinden lassen, sondern müsse jenen Kandidaten wählen, der «in jeder Hinsicht» als der am besten Geeignete erscheint. Ein negatives Prinzip, das auf Papst Gregor den Grossen zurückgeht, hat in den Augen des ehemaligen Professors für neuere Philosophiegeschichte an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom immer noch Geltung: Wer das Bischofsamt anstrebt, sollte nicht Bischof werden. Im Jesuitenorden beispielsweise müssten Streber nach einem Obern-Amt angezeigt werden und kämen für das Amt nicht mehr in Frage.

Wenn sich das Domkapitel ausserstande sehe, eine gute Wahl zu treffen, müsse es den Mut haben, die Wahl zurückzustellen, um weitere Informationen über die Kandidaten einzuholen oder gar, um den Papst um eine neue Dreierliste zu bitten.

 

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Peter Henrici | © Georges Scherrer
11. April 2017 | 07:41
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