Die ukrainische Schauspielerin Iryna Bardakova am Filmfestival Fribourg.
Schweiz

Ukrainische Schauspielerin: «Es ist wichtig, den Glauben nicht zu verlieren»

Am Sonntag ging das 38. Internationale Filmfestival in Fribourg zu Ende. Als Mitglied der Internationalen Jury war die ukrainische Schauspielerin Iryna Bardakova zu Gast. Sie flüchtete 2022 in die Schweiz und kehrte dann in die Ukraine zurück, um ihr Volk «zu unterstützen und Stärke zu zeigen». Die Situation in ihrem Heimatland sei verrückt. «Die Emotionen überwältigen mich oft», sagt sie.

Sarah Stutte

Kommt es Ihnen nicht wie eine andere Welt vor, von einem Land im Krieg in die sichere Schweiz zu reisen, um dort Mitglied einer Filmjury zu sein?

Iryna Bardakova*: Absolut. Es ist eine lange Reise. Für die Hinfahrt habe ich schon zwei Tage benötigt, weil ich von Kiew aus nur mit dem Zug anreisen konnte. Der Flughafen ist seit Beginn des russischen Angriffskriegs geschlossen.

«Wir sind dann keine Opfer oder Täter, sondern nur menschliche Wesen.»

Haben Sie diese Reise auf sich genommen, um den Krieg in der Ukraine hier in Freiburg zu thematisieren, damit dieser nicht in Vergessenheit gerät?   

Bardakova: Ja, das ist für mich sehr wichtig. Ich verstehe, dass sich bei vielen eine Kriegsmüdigkeit eingeschlichen hat, weil sie seit zwei Jahren tagtäglich die schrecklichen Nachrichten in den Medien lesen und sehen. Aber wenn man die Chance hat, sich direkt mit Menschen darüber zu unterhalten, ist es etwas Anderes.

Volle Kinos während des Filmfestivals in Fribourg.
Volle Kinos während des Filmfestivals in Fribourg.

So verstehen wir einander viel besser, ohne bestimmte Rollen einzunehmen. Wir sind dann keine Opfer oder Täter, sondern nur menschliche Wesen. Das ist der Grund, warum ich hier bin.

Wie kam die Verbindung zum Filmfestival Freiburg überhaupt zustande?

Bardakova: Letztes Jahr war ich zum ersten Mal hier. Die Schweizer Schauspielerin und Regisseurin Janine Piguet hatte mich eingeladen. Sie stellte mich dem Festivalteam vor und durch sie wurde ich in diesem Jahr für die Teilnahme in der Internationalen Jury angefragt. Das Filmfestival Freiburg hat schon länger eine starke Beziehung zum ukrainischen Filmschaffen. Viele ukrainische Filme haben hier bereits Preise gewonnen.

Sie sind selbst in die Schweiz geflohen, als der Krieg begann. Wohin sind Sie geflüchtet?

Bardakova: Als die russische Invasion begann, bin ich zusammen mit meinem damals neunjährigen Sohn nach Saint-Prex, in der Nähe von Lausanne geflüchtet. Das war kurz nach dem 24. Februar 2022. Eine Familie, die wir nicht kannten, hat uns eingeladen. Wir waren ein Jahr und sechs Monate in der Schweiz.

«In der Schweiz grüssen sich alle, wie in der Ukraine.»

Wie haben Sie die Schweiz erlebt?

Bardakova: Ich habe mich sehr willkommen gefühlt. Ich lernte, dass wir uns sehr ähnlich sind. In den ukrainischen Dörfern, die meist weit auseinanderliegen, grüssen sich alle, auch wenn sie sich nicht kennen. Das ist in den Schweizer Gemeinden auch so. Wir sind uns menschlich näher, als ich dachte.

Im September 2023 sind Sie mit Ihrem Sohn nach Kiew zurückgekehrt. Warum?

Bardakova: Ich wollte verstehen, was mit meinem Volk passiert. Ich hatte das Gefühl, dass sich etwas verändert hatte. Dass sich aus der Not heraus viel Widerstand formierte. Manchmal war es sehr schlimm. Ich erinnere mich, dass es einmal an einem Tag nur Bombardierungen gab. Doch wir müssen weitermachen.

Der Film "La Suprema" gewann den diesjährigen Ökumenischen Preis.
Der Film "La Suprema" gewann den diesjährigen Ökumenischen Preis.

Es gibt ein ukrainisches Lied, in dem es darum geht, dass niemand dir Frieden schenkt. Du musst für den Frieden kämpfen. Für mich war es wichtig, wieder in der Ukraine zu sein, um den Glauben an das Land aufrechtzuerhalten. Es geht um die gegenseitige Unterstützung. Darum, Stärke zu zeigen.

Wie ist die Situation gerade in Kiew und wie gestaltet sich Ihr Alltag?

Bardakova: Ich habe immer einen Plan A, B und C. Mein Sohn geht zwar zur Schule, aber wenn die Sirenen losgehen, laufen wir los in die Schutzräume. Manchmal sitzen wir dort zwanzig Minuten, manchmal zwei Stunden. Es ist verrückt. Die Emotionen überwältigen mich oft. Ich versuche trotzdem, etwas zu machen und habe deshalb angefangen, Podcasts zu realisieren. Und ich habe eine kleine Theaterrolle bekommen. Für mich ist es sehr wichtig, weiterzuarbeiten.

Zerbombtes Haus in Kharkiv, Ukraine.
Zerbombtes Haus in Kharkiv, Ukraine.

Wie steht es derzeit um das ukrainische Filmschaffen?

Bardakova: Schlecht. Es ist schwierig, weil kein Geld da ist. Ich hatte in der ganzen Zeit nur ein Casting für einen Spielfilm. Das war vor sechs Monaten. Kunst hat gerade keine Priorität in der Ukraine. Doch für mich ist das Kino alles. In Filmen geht es um Werte und darum, Gedanken anzuregen.

«Alles hat sich verändert. Wie wir fühlen, was wir fühlen.»

Wie hat sich seit Kriegsbeginn die Situation für ukrainische Frauen verändert?

Bardakova: Drastisch, auch für mich persönlich. Ich war 15 Jahre lang verheiratet. Nach Kriegsbeginn wurden wir getrennt, weil die Männer im Land blieben. Jetzt haben mein Mann und ich gemerkt, dass wir uns in verschiedene Richtungen entwickelt haben.

Die Internationale Jury mit Iryna Bartakova.
Die Internationale Jury mit Iryna Bartakova.

Alles hat sich verändert. Wie wir fühlen, was wir fühlen. Wir Frauen mussten sehr viel organisieren und eine grössere Verantwortung tragen als zuvor. Proaktiver auf die Ereignisse reagieren. Dadurch haben wir auch an Selbstvertrauen gewonnen.

«Dieser Hass hält sich nicht an Logik und wird nicht hinterfragt.»

Was sagen Sie zu Putins Wiederwahl?

Bardakova: Für mich war das keine Überraschung. Ich habe vor über zehn Jahren in Russland gearbeitet, weil ich dort einige Projekte hatte. Damals habe ich schon gemerkt, wie gnadenlos die Russinnen und Russen mittels Propaganda darauf getrimmt werden, die Ukrainerinnen und Ukrainer zu hassen.

Der Ökumenische Preis ging an den kolumbianischen Regisseur Felipe Holguin Caro.
Der Ökumenische Preis ging an den kolumbianischen Regisseur Felipe Holguin Caro.

Auch alle anderen Ethnien werden regelmässig schlechtgeredet – nur das russische Volk ist das einzig wahre. Ich habe dort gespürt, dass diese Instrumentalisierung geradewegs ins Desaster führt. Dieser Hass hält sich an keine Logik und wird nicht hinterfragt. So funktioniert der Genozid eines Volkes.

Was ist Ihre grösste Angst und was hilft Ihnen durch diese Zeit?

Bardakova: Für mich ist entscheidend, wie ich mit dem Krieg umgehe und an was ich mich festhalten kann. Es ist wichtig, den Glauben nicht zu verlieren. In Gott. In uns alle. Es ist wichtig, dass die europäische Gemeinschaft die Ukraine weiterhin unterstützt. Dieser Krieg findet mitten in Europa statt und führt zum Verlust unserer Menschlichkeit, unserer ethischen Überzeugungen und moralischen Grundsätze, wenn wir uns ihm nicht gemeinsam entgegenstellen.

*Iryna Bardakova (41) ist eine ukrainische Schauspielerin, die in der Ukraine und in Russland durch Rollen in TV-Serien und Filmen bekannt wurde, aber auch Theater spielt. Sie war am diesjährigen Internationalen Filmfestival Freiburg (FIFF) Mitglied der Internationalen Jury.

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Ökumenischer Filmpreis geht an «La Suprema»

Die von den kirchlichen Filmorganisationen Interfilm und SIGNIS berufene Ökumenische Jury am 38. Filmfestival in Freiburg (Schweiz) hat den kolumbianischen Film «La Suprema» als ihren Favoriten aus dem Internationalen Wettbewerb auserkoren. In der Geschichte von Regisseur Felipe Holguin Caro geht es um ein Dorf ohne Strom, das tief in den kolumbianischen Wäldern liegt und auf keiner Landkarte verzeichnet ist. Die Gemeinde findet nur Beachtung, weil sie einen berühmten Boxer hervorgebracht hat, der nun an der Weltmeisterschaft um den Titel kämpft. Seine Nichte Laureana will deshalb ebenfalls Boxerin werden. Sie trommelt das ganze Dorf zusammen, um einen Fernseher zu organisieren, damit alle gemeinsam den Kampf sehen können. Ohne Stromzufuhr und ohne Geld wird das ein abenteuerliches Unterfangen. «La Suprema» zeigt, wie eine Gemeinschaft zusammen Unmögliches vollbringen kann und trägt die schweren Momente zwischen Armut und Verlust mit viel Witz und Charme. Der mit 5000 Franken dotierte Preis wurde von den kirchlichen Hilfsorganisationen der Schweiz «Fastenaktion» und «HEKS/Brot für alle» gestiftet. Auf der Filmplattform Festival Scope sind seit dem 25. März während dreier Wochen rund zwanzig Lang- und Kurzfilme aus der Festival-Selektion 2024 gratis zu sehen. (sas)


Die ukrainische Schauspielerin Iryna Bardakova am Filmfestival Fribourg. | © FIFF, Rromir Imami
26. März 2024 | 14:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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