Ein Priester segnet ein gleichgeschlechtliches Paar (Symbolbild)
Schweiz

«Segen für alle»: Ein Testballon für synodale Streitthemen?

Bei der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare zeichnet sich eine Regionalisierung ab. Das dürfte von Rom so gewollt sein, schreibt Annalena Müller in ihrer Analyse. Es ist ein Schritt zur Dezentralisierung der Weltkirche, die seit dem Zweiten Vatikanum vorgesehen ist.

Annalena Müller

Es war ein Paukenschlag, mit dem niemand gerechnet hat. Mit «Fiducia Supplicans» erlaubt der Vatikan die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. In Westeuropa wird die Ankündigung vielfach mit Wohlwollen aufgenommen. In Afrika, Asien und Osteuropa lassen Bischofskonferenzen verlauten: «Hier nicht!». Das geteilte Echo überrascht nicht. Es könnte gar gewollt sein. Ist «Fiducia Supplicans» ein Testballon für die Dezentralisierung der römisch-katholischen Kirche?

Synodaler Prozess zeigt die Gräben in der Weltkirche

Reformer und Reformerinnen fordern im Synodalen Prozess die Inklusion gleichgeschlechtlicher Paare. Traditionalisten lehnen sie ab. Während der kontinentalen Etappe in Prag tat sich um diese Frage ein Ost-West-Graben auf. Auf der Weltsynode in Rom im Oktober wurde dieser um ein Nord-Süd-Gefälle erweitert. Besonders auf dem afrikanischen Kontinent stösst die Forderung nach Inklusion auf Ablehnung.

Die Weltynode vertagt das Thema Inklusion auf Oktober 2024.
Die Weltynode vertagt das Thema Inklusion auf Oktober 2024.

Die Synodalen in Rom haben um das Thema gerungen. Im Abschlussdokument setzten sich die Konservativen durch: Die Synode vertagte das Thema auf 2024. Der Begriff LGBTQ wurde in letzter Minute aus dem Papier gestrichen. Aber auch die zweite Etappe im Oktober 2024 wird das Problem nicht lösen. Zu weit auseinander liegen die Vorstellungen der Progressiven und Traditionalisten. Zu eindeutig ist die kirchliche Lehre der sakramentalen Ehe, als dass letztere hier Zugeständnisse machen könnten.

Entsprechend fordern vor allem europäische Progressive regional unterschiedliche Ansätze. Eine solche Regionalisierung der pastoralen Praxis ist im Zweiten Vatikanum (1962-1965) angelegt. So gesehen, ist die Forderung der Schweizer Synodalen Helena Jeppesen Spuhler nach einer Kirche, die «in den Alpen ein anderes Gesicht zeigt als an der Ostsee oder am Schwarzen Meer», kirchenrechtlich gedeckt. «Fiducia Supplicans» könnte den Weg dorthin ebnen.

Die Quadratur des Kreises

Mit «Fiducia Supplicans» wagt das Dikasterium für die Glaubenslehre die Quadratur des Kreises. Das Dokument bricht mit einer Tradition und ist gleichzeig darauf bedacht, Traditionalisten nicht zu vergraulen. Das Risiko eines Schismas, wie es der anglikanischen Kirche in gleicher Angelegenheit droht, soll unbedingt vermieden werden. Deshalb: Keine Ringe, kein Standesamt, keine Hochzeitskleider, keine Liturgie – keine Nähe zur sakramentalen Ehe.

Hinweisschild zum Dikasterium für die Glaubenslehre am Sitz der Glaubenskongregation im Vatikan.
Hinweisschild zum Dikasterium für die Glaubenslehre am Sitz der Glaubenskongregation im Vatikan.

Gleichzeitig ist «Fiducia Supplicans» etwas Neues. Noch im Dezember 2022 galt eine wie auch immer geartete Segenspendung für gleichgeschlechtliche Paare als ausgeschlossen. Priester, die es dennoch taten, wurden verwarnt. So zum Beispiel im Juli 2023 im Bistum Köln. «Fiducia Supplicans» hat einen Spielraum eröffnet, den es lehramtlich bis zum 19. Dezember 2023 nicht gab.

Niemand ist glücklich

Eine Woche nach Veröffentlichung des Schreibens ebbt die erste Aufregung langsam ab. Im progressiven Lager folgt auf den ersten Jubel leise Kritik. «Fiducia Supplicans» sei zu wenig. Nur «ein Segen dritter Klasse», schreibt Simon Spengler, Kommunikationsverantwortlicher der Kirche im Kanton Zürich. Spengler dürfte vielen Betroffenen aus der Seele sprechen. Die als progressiv geltenden Bischofskonferenzen der deutschsprachigen Länder haben das Schreiben zwar allesamt begrüsst – ebenfalls ohne Euphorie.

Für viele Traditionalisten ist Inklusion und Segnung von LGBTQ+-Menschen Teufelswerk.
Für viele Traditionalisten ist Inklusion und Segnung von LGBTQ+-Menschen Teufelswerk.

Auf der anderen Seite des innerkatholischen Grabens dominiert Ablehnung. Die Malawische Bischofskonferenz verbot postwendend jegliche Segnung homosexueller Beziehungen. Weitere Bischofskonferenzen sind gefolgt. Darunter Nigeria, die grösste Bischofskonferenz auf dem afrikanischen Kontinent, und Kenia. Aus Kasachstan und Polen kommen ähnlich scharfe Ablehnungen. Die unterschiedlichen Reaktionen sind möglicherweise gewollt. Sicher sind sie von Rom erwartet worden.

«Fiducia Supplicans» – ein Testballon?

Die Bedeutung von «Fiducia Supplicans» könnte gerade in dem Frustpotential liegen, welches das Schreiben für beide Seiten birgt. Es erlaubt die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Das heisst im Umkehrschluss: «Fiducia Supplicans» ermöglicht es auch, solche Segnungen nicht durchzuführen.

Das wiederum eröffnet regionale Spielräume in einer Weltkirche, in der «lehramtstreue Traditionalisten» und «progressive Liberale» Mühe haben, zueinander zu finden. Die Öffnung dieser Spielräume steht im Einklang mit dem Kirchenrecht. Rom muss dabei, im Gegensatz zur anglikanischen Kirche, keine Schisma-Debatte fürchten. Rein kirchenpolitisch betrachtet, könnte «Fiducia Supplicans» ein synodaler Testballon sein.

In Rom dürfte man die Reaktionen sehr genau beobachten. Momentan deutet sich an, dass Segnungen je nach Region verboten, den Gemeinden freigestellt oder in den Gebieten einer Bischofskonferenz eingeführt werden.

Wenn es so kommt, dann könnte der Vatikan ähnliche Schritte für weitere synodale Streitthemen wagen. Die Öffnung gewisser Ämter für Frauen zum Beispiel. Es wäre ein Coup des Papstes «vom Ende der Welt», der die Weltkirche mittels Regionalisierung zusammenzuhalten sucht.

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Ein Priester segnet ein gleichgeschlechtliches Paar (Symbolbild) | © KNA
26. Dezember 2023 | 16:20
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