Auf dem Bildschirm: die Teilnehmerinnen der Schweizer Delegation Tatjana Disteli (links) und Helena Jeppesen-Spuhler.
Vatikan

Bei Frauen und LGBTQ zeigt sich der Eiserne Vorhang

«Die Kirche darf in den Alpen ein anderes Gesicht zeigen als an der Ostsee oder am Schwarzen Meer», sagen Tatjana Disteli und Helena Jeppesen zu den Delegierten in Prag. Doch wie viel Vielfalt verträgt das Abschlussdokument? Vor allem Osteuropa beruft sich auf die Tradition. Trotzdem gibt sich die Schweizer Delegation optimistisch.

Annalena Müller

Zwei Tage lang haben die Delegierten in vor Ort in Prag und Online die Statements aus den europäischen Ländern gehört. Diese gaben einen Überblick über die Themen und die wesentlichen Spannungen aus Sicht der Ortskirchen. Und sie formulierten die Handlungsaufforderungen für die Synode in Rom im Oktober. In dieser Zeit hörten die Delegierten dringliche Aufforderungen zum Handeln. Aber auch viele mahnende Stimmen, dass die Kirche ihre Glaubwürdigkeit riskiert, wenn sie sich der Welt anpasse.

Zwei Lager zeichnen sich ab

Wie die Schweizer Delegation forderten auch viele andere die Gleichstellung der Frauen, die Inklusion queerer Menschen und eine Liturgie, die auch junge Menschen anspricht. Aber zahlreich sind auch jene Stimmen, die jegliche Veränderung fürchten.

Teilnehmende unterhalten sich im Sitzungssaal in Prag, ganz links Tatjana Disteli aus der Schweiz.
Teilnehmende unterhalten sich im Sitzungssaal in Prag, ganz links Tatjana Disteli aus der Schweiz.

Edit Frivaldszky, dreifache Mutter und Konvertitin, ist die letzte Sprecherin am Dienstagabend. Die Ungarin verliest das Statement ihrer Delegation. Das Leben beginne bei der Empfängnis und die Ehe sei eine Verbindung zwischen Mann und Frau. «In der internationalen Zusammenarbeit zwingt uns die Welt, unter dem Deckmantel des Dialogs Meinungen zu akzeptieren, die wir nicht teilen und Ideen, an die wir nicht glauben.»

Das ungarische Statement ist keine Ausnahme. In Prag stehen sich zwei Lager gegenüber. Das eine, darunter die Schweiz, fordert die jesuanische, bedingungslose Annahme des Anderen. Das andere Lager, darunter Ungarn, beruft sich ebenfalls Jesus und einer ihm zugeschriebenen Definition von Ehe und Familie.

Der lange Schatten des Eisernen Vorhangs

Zur Halbzeit der Synode fallen zwei Dinge auf. Zum einen die überraschend grosse Rolle, die LGBTQ-Lebensformen einnimmt. Ausser der Frauenfrage sind LGBTQ zum grossen Symbolthema geworden, anhand dem die Grundfrage Tradition versus Veränderung abgearbeitet wird.

Zum anderen wirft der Eiserne Vorhang nach wie vor einen weiten Schatten. So wird aus Delegationskreisen bestätigt, dass sich die unterschiedlichen Standpunkte oftmals geografisch zuordnen lassen. Dort, wo Kirche Gegengesellschaft war, wo ihre klare Struktur und Lehre die Alternative zur entzauberten Welt des kaltherzigen Kommunismus war, dort ist das Festhalten an Traditionen besonders stark.

Dem gegenüber steht der Westen, der seit langem Freiheit und Individualismus geniesst. Er fürchtet den Stillstand und sieht gerade am Festhalten an Traditionen und Hierarchien einen Grund für die vielen Missbrauchsfälle. Und diese sind wiederum eine Gefahr für das Fortbestehen der Kirche.

Brücken werden gebaut

Die Gräben sind ohne Frage da und sie sind tief. Aber sie scheinen überbrückbar. Laut Tatjana Disteli und Helena Jeppesen, die beiden Schweizerinnen vor Ort, bewegt sich etwas. Im Gespräch mit kath.ch beschreiben sie die Arbeit in den internationalen Arbeitsgruppen als fruchtbar.

Helena Jeppesen und Tatjana Disteli (Mitte und rechts) in Prag.
Helena Jeppesen und Tatjana Disteli (Mitte und rechts) in Prag.

Die Stimmung am Ende des zweiten Synodentags sei gut. Am Mittwochabend kommen die beiden Frauen gegen 19.30 Uhr müde, aber strahlend aus dem Tagungssaal. Sie berichten von den schwierigen, aber wohlwollenden Gesprächen mit Delegierten aus anderen Ländern.

Disteli und Jeppesen zeigen sich überzeugt, dass die Methode «Reden und Zuhören» funktioniert. «Es bringt uns näher zusammen», sagt Disteli. «Wir bräuchten natürlich vielmehr Zeit», fügt Jeppsen an. Wenn man drei Wochen hätte, dann könnte man viele der bestehenden Probleme lösen, finden beide. Beide Frauen sind in Gruppen, in denen auch Delegierte sind, die grosse Reformen ablehnen. Aber es gehe voran.

Euphorie bei den Präsenzdelegierten – Verunsicherung bei den Online-Eelegierten

Disteli und Jeppsen sind geradezu euphorisch. Sie sind sich sicher, dass die Gespräche gerade mit den andersdenkenden Katholikinnen und Katholiken wichtig sind.

Diesen Eindruck teilt auch der Franzose Alexandre Joly. Er ist der Bischof von Troyes. Spannungen seien notwendiger Teil des synodalen Prozesses – ein Zeichen dafür, dass es voran gehe, sagt Joly.

Alexandre François Marie Joly, Bischof von Troyes (Frankreich) in Prag
Alexandre François Marie Joly, Bischof von Troyes (Frankreich) in Prag

Von Seiten der Online-Delegierten war der Eindruck am Dienstag ein anderer. Sie haben die Spannungen als verunsichernd wahrgenommen. Auch die Unklarheit darüber, was mit dem Abschlussdokument passiert, ob es geändert werden kann und ob am Ende alle abstimmen, erregt Misstrauen.

Am Mittwoch wird klar: Es soll keine Abstimmung geben. Am Ende gibt es zwei Dokumente – ein gemeinsam erarbeitetes – und die Kommentare der Bischöfe. Ob am Donnerstag nur diskutiert wird oder ob auch Änderungen möglich sind, ist unklar. Die Reform-Gruppe «Wir sind Kirche» fordert eine Abstimmung in Prag: «Es ist wichtig, dass die Prager Synodalversammlung über die vielen diskutierten Themen abstimmt.»

Vor Ort in Prag scheint die Stimmung gelöster zu sein als bei den Schweizer Online-Delegierten in Wislikofen AG. Disteli vertraut auf die «absolute Transparenz» und den «guten Draht» zwischen Delegierten und Bischöfen: «Auch die sind einfach nur Menschen.»


Auf dem Bildschirm: die Teilnehmerinnen der Schweizer Delegation Tatjana Disteli (links) und Helena Jeppesen-Spuhler. | © Björn Steinz/KNA
8. Februar 2023 | 14:54
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