Die Weltynode vertagt das Thema Inklusion auf Oktober 2024.
Analyse

Weltsynode: römischer Aufbruch und reale Entzauberung

Vier Wochen lang hat die Weltsynode über Kirchenreformen debattiert. Entscheidungsbefugnisse hat sie keine. Hier prallen innerkirchlicher Aufbruch und realpolitische Ansprüche aufeinander. Für die Schweiz dürfte die synodale Dynamik zu spät kommen. Eine einordnende Analyse.

Annalena Müller

Die Weltsynode trifft keine Entscheidungen. Weder 2023 noch 2024. Seit Monaten weisen sowohl Verantwortliche als auch Kritiker darauf hin. Verantwortliche, weil sie keine falschen Erwartungen wecken wollen. Kritiker, weil sie glauben, dass die Synode Zeitverschwendung ist. Trotz aller gebetsmühlenartigen Repetition dürften heute zahlreiche Katholiken und Katholikinnen enttäuscht sein. Nicht nur wegen der lauwarmen Sätzen zu den Schweizer Kernthemen «Frauen» und «LGBTQ+».

Weltsynode im Vatikan: Aufstellung zum Gruppenfoto
Weltsynode im Vatikan: Aufstellung zum Gruppenfoto

Die Enttäuschung ist nachvollziehbar. Von aussen betrachtet ist es kaum nachvollziehbar, dass der Vatikan einen solchen Aufwand betreibt, damit sich Menschen vier Wochen lang über Reformen austauschen – um dann am Ende keine beschliessen zu können.

«Kirchenpolitische Revolution» …

Wer es nachvollziehen will, muss einen Blick nach innen werfen. Genauer, in die jüngere Kirchengeschichte. Vor dem Hintergrund des strikten theologischen Regimes von Johannes-Paul II. (1978-2005) und Benedikt XVI. (2005-2013) ist die innerkirchliche Redefreiheit, die unter Franziskus herrscht, «eine kleine kirchenpolitische Revolution», wie Helena Jeppesen-Spuhler es im Interview mit kath.ch ausdrückt.

Helena Jeppesen-Spuhler: «Damit der Umbau der hierarchischen Kirche gelingen kann, braucht es dezentrale Entscheide.»
Helena Jeppesen-Spuhler: «Damit der Umbau der hierarchischen Kirche gelingen kann, braucht es dezentrale Entscheide.»

So gesehen ist die Weltsynode ein Meilenstein. Hier gilt eine Meinungs- und Diskussionsfreiheit, wie die Kirche sie zuletzt in der Aufbruchsphase nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) erlebt hat. Stichwort: Synode 72. Und es herrscht eine Diskussionskultur, wie sie an Bischofssynoden bislang unbekannt war. An der Weltsynode redet nicht ein Bischof und die anderen hören zu. An der Weltsynode reden Bischof, Frau, Mann. Jeder und jede hat die gleiche Redezeit. Das ist neu.

… die kaum vermittelbar ist

Ausserhalb der vatikanischen Mauern ist das Novum der freien und gleichberechtigten Debatte allerdings kaum zu vermitteln, weil die Delegierten ohne Beschlussfähigkeit bleiben. In Europa gewinnt die Kirche mit Reden ohne Konsequenzen keinen Blumentopf. Zu fremd sind den Menschen jesuitische Konzepte von Synodalität, welche den Papst inspirieren und auf den Heiligen Geist hoffen. Zu tief sitzt das Misstrauen gegenüber schönen Worten und leeren Versprechungen, die in zwei Jahrzehnten Missbrauchskrise zu oft folgenlos blieben.

Muss nicht seine Macht, aber neu seine Redezeit mit Laien und Laiinnen teilen: der hohe Klerus.
Muss nicht seine Macht, aber neu seine Redezeit mit Laien und Laiinnen teilen: der hohe Klerus.

Besonders tief mag dieses Misstrauen im deutschsprachigen Raum sitzen. Hier kommt hinzu, dass die grossen Reformthemen, welche die Weltsynode debattiert – Frauenpriestertum, Pflichtzölibat, Regionalisierung, Inklusion – bereits seit 50 Jahren besprochen werden. Sie waren allesamt schon Themen der Synode 72.

Misstrauen auf beiden Seiten

Während viele Gläubige ihrer Kirche misstrauen, pflegt die Kirche auf der Weltsynode ihrerseits das Misstrauen gegen die Welt. Das bekamen besonders Medienschaffende zu spüren. Zu Beginn der Synode verpflichtete Papst Franziskus die Synodalen zum Schweigen und reglementierte den Zugang der Presse. Dies nahm mitunter absurde Züge an.

Medienschaffende warten in einem umzäunten Areal auf neue Order.
Medienschaffende warten in einem umzäunten Areal auf neue Order.

Die Mitarbeiter des vatikanischen Pressebüros glichen misstrauischen Schäferhunden. Während der Eröffnung der letzten Synodenwoche liessen sie die Medienschaffenden nicht aus den Augen. Zwischenzeitlich trieben sie die Presse, schafherdengleich, in ein umzäuntes Areal, bevor man sie zum Fotografieren auf die dafür vorgesehene Empore führte.

Ähnlich grotesk wirkte das Einschreiten der Vatikan-Wächter beim Interview mit Felix Gmür und der Helena Jeppesen Spuhler. Das Interview, begonnen unter den Kolonnaden am Petersplatz, musste acht Schritte weiter südlich, auf italienischem Boden, zu Ende geführt werden.

Ein Innen und ein Aussen

Das weltliche Nichtverstehen der Synode und das vatikanische Abblocken der Welt, sie waren in Rom deutlich zu spüren. Beide folgen einer Logik, die in sich schlüssig ist. Kirchenintern ist die Weltsynode, die ja trotz der Laien und Laiinnen eine Bischofssynode ist, wichtig. Denn sie erlaubt den Bischöfen, sich an Meinungspluralismus und an ein mündig-gwordenes Volk Gottes zu gewöhnen.

Vatikan-Dämmerung.
Vatikan-Dämmerung.

Möglicherweise bereitet die Weltsynode sogar mittelfristig den Weg für systemische Anpassungen der von Klerikalismus geplagten und in ihren Strukturen gerosteten Weltkirche. Das Problem: In der Schweiz hat die Kirche diese Zeit nicht mehr. Hier trifft der römische Aufbruch auf realpolitische Entzauberung.


Die Weltynode vertagt das Thema Inklusion auf Oktober 2024. | © KNA
29. Oktober 2023 | 17:00
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