Schweiz

Nach Veröffentlichung der Pilotstudie: Forderung nach Kulturwandel und Abbau von Bischofsmacht

Die Pilotstudie zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche bringt das Ausmass an Vertuschung und des Wegschauens ans Licht. Über 1000 Fälle sind bislang bekannt. Vertreter und Vertreterinnen der Landeskirchen, Interessensgemeinschaften und katholischer Verbände fordern die rasche Umsetzung von Meldestellen, Kulturwechsel und strengere Richtlinien.

Jacqueline Straub

Klerikalismus, Machtgefälle, eine ungesunde Sexualmoral, die Ächtung von bi- und homosexuellen Beziehungen und sexuellen Erfahrungen ausserhalb der Ehe sind Faktoren, die Missbrauch begünstigen, schreibt Sarah Paciarelli vom Schweizerischen Katholischen Frauenbund in einer Stellungnahme.

Fehlende Gewaltenteilung

Aber auch Korpsmentalität und Männerbünde, würden die «Gleichberechtigung und Umsetzung von Gleichstellungsmassnahmen zwischen den Geschlechtern erschweren». Dazu kämen fehlende Gewaltenteilung und die Zahnlosigkeit etlicher Gremien sind Faktoren.

SKF-Mediensprecherin Sarah Paciarelli
SKF-Mediensprecherin Sarah Paciarelli

Deshalb sei, laut Paciarelli, die kritische Berichterstattung der Medien von grosser Bedeutung. «Viele Erkenntnisse zum Missbrauch und dessen Vertuschung sind nur ans Licht gekommen, weil Journalistinnen und Journalisten Druck machten und weil zivilgesellschaftliche Organisationen nicht müde werden, die systemischen und strukturellen Ursachen gebetsmühlenartig zu thematisieren», so die SKF-Sprecherin.

Das Vorgehen des Trierer Bistums könnte ein Vorbild für die geplante Schweizer Meldestelle sein.
Das Vorgehen des Trierer Bistums könnte ein Vorbild für die geplante Schweizer Meldestelle sein.

Auch die RKZ will dazu beitragen, dass Missbrauch nicht weiter vertuscht wird. «Zusammen mit den beiden anderen Auftraggeberinnen ist die RKZ bestrebt, trotz föderaler Vielfalt in der Schweiz mehr Einheitlichkeit und Verbindlichkeit in den Bereichen Prävention und Intervention auf nationaler Ebene zu schaffen», schreibt die Präsidentin der RKZ, Renata Asal-Steger, in ihrer Stellungnahme.

Unerlässlicher Kulturwandel

Mit Hilfe der demokratischen Strukturen von kantonalen und kommunalen kirchlichen Körperschaften wolle sie insbesondere im Personalwesen zu einer verstärkten Professionalisierung beitragen und sich für einen «unerlässlichen Kulturwandel in der Kirche einsetzen, damit solche Verbrechen künftig keinen Nährboden mehr haben».

Mentari Baumann will innerhalb der Kirche für Veränderung kämpfen.
Mentari Baumann will innerhalb der Kirche für Veränderung kämpfen.

Die «Allianz Gleichwürdig Katholisch» fordert einen Mentalitätswechsel. Die katholische Kirche müsse «weg vom Handeln nach Kirchenraison und stattdessen hin zu einem entschiedenen Eintreten für die Betroffenen». Dafür müssten alle Missbrauch und Gewalt begünstigenden Faktoren, «wie kirchliche Mentalitäten und Strukturen, sowie theologische Inhalte und deren Wirkungsgeschichte untersucht und der Dialog mit Betroffenen konsequent gesucht werden», heisst es in ihrer Mitteilung.

Vreni Peterer, Betroffene, spricht an der Pressekonferenz zur Missbrauchstudie.
Vreni Peterer, Betroffene, spricht an der Pressekonferenz zur Missbrauchstudie.

Um Leid zukünftig zu verhindert, brauche es klare Konsequenzen, sagt Vreni Peterer von der IG Missbrauchsbetroffene. «Es muss ganz klar sein, was mit einem kirchlichen Mitarbeitenden passiert, wenn er oder sie des spirituellen oder sexuellen Missbrauchs überführt wird.» Hierfür müsse es ein Gesetz geben.

Schnelle Umsetzung der Anlaufstelle

Sie freut sich, dass Bischof Joseph Bonnemain «klar und deutlich» gesagt hat, dass eine unabhängige Anlaufstelle für Betroffene realisiert wird. Sie erwartet, dass diese bis Ende des Jahres umgesetzt ist. «Sie hatten genügend Zeit im Vorfeld.»

Projektleiterin Monika Dommann und Jacques Nuoffer von der Betroffenenorganisation Groupe Sapec
Projektleiterin Monika Dommann und Jacques Nuoffer von der Betroffenenorganisation Groupe Sapec

«Jetzt gilt es, das, was Bischof Bonnemain angekündigt hat, auch umzusetzen», sagt Jacques Nuoffer, Mitbegründer der Gruppe Sapec, der Vereinigung von Opfern von Übergriffen durch Priester in der Westschweiz. Es ärgere die Betroffenen, dass sie bis Anfang nächsten Jahres mit der nationalen unabhängigen Meldestelle warten müssen. «Wir würden uns wünschen, dass es schneller geht. Aber die Kirche zeichnet sich durch eine strukturelle Langsamkeit aus.»

Machtfülle der Bischöfe

Lange habe die Betroffenenorganisation SAPEC daraufhin gearbeitet, dass diese Studie überhaupt durchgeführt wurde. «Es sind die strukturellen Gegebenheiten, die dafür sorgen, dass Veränderungen, wenn überhaupt, nur sehr langsam geschehen», so Nuoffer. Das grosse Problem sieht er in der Machtfülle der Bischöfe. «Es gibt keine Gewaltenteilung.» Ebenfalls problematisch: jeder Bischof sei in seinem Bistum völlig autonom. «Seit dem Anfang der Missbrauchskrise sehen wir, welche Probleme damit einhergehen.»

Abt Peter von Sury
Abt Peter von Sury

Abt Peter von Sury, Vertreter der Konferenz der Vereinigungen der katholischen Orden und weitere Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens in der Schweiz (KOVOS), fordert alle Ordensleute in der Schweiz auf, «die heute angekündigten Massnahmen sowie die bereits bestehenden Präventionsmassnahmen mitzutragen und in ihrem Verantwortungsbereich umzusetzen». Nur so könne Kirche zu einem Ort werden, «wo jeder Mensch in seiner einzigartigen Würde angenommen und geachtet wird und geschützt ist.»


| © Mattia Vacca
12. September 2023 | 16:22
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!