Katharina Jost
Porträt

Katharina Jost: «Hätte man mich damals im Gottesdienst gefilmt, hätte es auch Theater gegeben»

«Ihr Frauen wollt die Kirche kaputt machen», sagen manche Bischöfe. Das Gegenteil sei der Fall, sagt die Theologin Katharina Jost (59). Vor bald 30 Jahren hat sie in Basel-Land Kirchengeschichte geschrieben – als erste Gemeindeleiterin. Ihr wichtigstes Anliegen ist die Diakonie. Ihre Pfarrei hat einen «Weihnachtsbriefkasten» für Menschen in Not. Das ganze Jahr über.

Eva Meienberg

Bei Katharina Jost ist alles unter einem Dach. Beziehung, Kinder, Glaube und Arbeit. Im Pfarrhaus, direkt neben der Kirche St. Laurentius in Dagmersellen, lebt und arbeitet Katharina Jost seit 20 Jahren mit ihrem Mann Andreas Graf, der offiziell die Pfarreileitung innehat. Inoffiziell übernehme auch sie Leitungsverantwortung, sagt die Theologin.

Sie wollte niemals Pastoralassistentin werden

Niemals habe sie in derselben Pfarrei arbeiten wollen wie ihr Ehemann. «Das war eines meiner Dogmen, das ich über Bord geworfen habe.» Ein anderes Dogma: niemals als Pastoralassistentin arbeiten. Die Kirchenstrukturen erschienen der Theologiestudentin zu schwierig für Frauen.

Katharina Jost Graf, Vizepräsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes, bei einem Treffen der Allianz Gleichwürdig Katholisch
Katharina Jost Graf, Vizepräsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes, bei einem Treffen der Allianz Gleichwürdig Katholisch

Doch bereits nach Ende ihres Studiums trat die junge Theologin eine Stelle als Pastoralassistentin in Allschwil BL an. Die Vielfältigkeit der Pfarreiarbeit hat Katharina Jost trotz der Schwierigkeiten überzeugt. Im Rückblick sagt sie: «Ich habe immer viel Gestaltungsraum und Entscheidungskompetenz gehabt.»

Der «Weihnachtsbriefkasten» hilft unbürokratisch und schnell

Seit 22 Jahren arbeitet Katharina Jost als Seelsorgerin in der Pfarrei St. Laurentius. Einer ihrer Aufgabenbereiche ist die Diakonie. Sie betreut den Weihnachtsbriefkasten, der mittlerweile das ganze Jahr in Betrieb ist. Menschen in finanzieller Not werfen ihre Anfrage in diesen Briefkasten. Manchmal liege auch eine Spende drin, sagt Katharina Jost. Ein kleines Team behandelt die Anfragen unbürokratisch und schnell.

Katharina Jost
Katharina Jost

Das Steuerregister spiele dabei keine Rolle, weil sie viele Dagmersellerinnen und Dagmerseller persönlich kenne, sagt Katharina Jost. Ab und zu stecke sie jemandem einen Infozettel zum Weihnachtsbriefkasten zu, wenn sie das Gefühl habe, Unterstützung sei nötig.

«Manche Ortsvereine streichen das Wort ‘katholisch’ aus ihrem Namen»

Neben der Pfarreiarbeit ist Katharina Jost seit 2019 ehrenamtlich als Vize-Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes tätig. Im SKF dabei ist sie seit 20 Jahren. Als theologische Begleiterin des Ortsvereins Dagmersellen und im Kantonalverband Luzern.

Am Reussufer in Luzern, Frauenstreiktag
Am Reussufer in Luzern, Frauenstreiktag

Katharina Jost erzählt: «Manche Ortsvereine streichen das Wort ‘katholisch’ aus ihrem Namen, weil sie um ihr Image fürchten.» Die gleichen Vereine veranstalteten dann aber Wallfahrten und Maiandachten. «Ich plädiere dafür, katholisch im Namen zu behalten, aber zu klären, wofür katholisch steht», sagt Katharina Jost.

«Wird klar, was ich meine?»

«Ihr Frauen wollt die Kirche kaputt machen.» Diesen Satz bekommt der Frauenbund von einzelnen Bischöfen zu hören. Dabei sei das Gegenteil der Fall. «Der SKF wirkt festigend für die Kirche, weil er den gesellschaftlichen Wandel mitmacht und Kirche im Heute lebt.» Immerhin engagierten sich 120’000 Frauen freiwillig beim Schweizerischen Katholischen Frauenbund. Dass die Zahlen auch bei diesem Verein abnehmen, verheimlicht Katharina Jost nicht.

Katharina Jost schreibt Befürchtungen zum synodalen Prozess auf.
Katharina Jost schreibt Befürchtungen zum synodalen Prozess auf.

«Der sorgfältige, wahrhaftige und stimmige Umgang mit Sprache ist mir ein Herzensanliegen», sagt die Seelsorgerin. «Was meine ich mit dem, was ich sage?» Und: «Wird klar, was ich meine?» Diese Fragen seien gerade in der Liturgie wichtig. Denn viele Glaubensinhalte seien nicht mehr verständlich und zu Floskeln geworden. 

Wettingen und Vettiger haben Katharina Jost geprägt

‘Christus’ zum Beispiel. «Christus ist ein Glaubensinhalt. Darüber müssen wir zuerst sprechen, ihn mit Inhalt füllen.» Die Klerikersprache komme ihr vor wie eine Fremdsprache. «Wie damals, als die Kirchensprache Latein für die meisten Menschen nicht verständlich war.»

Katharina Jost mit einer Aktion zum Muttertag.
Katharina Jost mit einer Aktion zum Muttertag.

Aufgewachsen ist Katharina Jost in Wettingen. Mit 22 Jahren verliess sie den Blauring. «Er war ein Ort des gelebten Christentums», sagt die Theologin. «Es braucht nicht immer explizit religiöse Inhalte.» Explizite Religion etwa habe sie als Teenager in Taizé erlebt. «Ich wollte ein Wühlmausstudium machen», sagt Katharina Graf. Sowohl Wirtschaft als auch Theologie habe sie unter der Prämisse der Veränderung studieren wollen. Und wegen ihres Onkels, dem Priester Paul Vettiger. 

Verbotene Liebe

Der Priester-Onkel hatte sich kurz nach Antritt seiner ersten Pfarrstelle in eine Frau verliebt. Keine einfache Zeit für den unglücklich verliebten Pfarrer und seine Familie. Nach gut zehn Jahren hat sich Paul Vettiger schliesslich für die Beziehung und gegen das Priesteramt entschieden. Nach seiner Laisierung und einem Auslandaufenthalt kam Paul Vettiger in die Schweiz zurück, wo er vom Bistum angefragt worden sei, eine Gemeindeleitung in der Stadt Luzern zu übernehmen.

Katharina Jost
Katharina Jost

«Am Anfang hätte ich mein Studium beinahe an den Nagel gehängt», sagt Katharina Jost. Gerettet habe sie die feministische Theologie und der Austausch mit anderen Theologinnen und Theologen. Inspirierend sei auch das Auslandsstudium in Paris gewesen. Am Centre Sèvres und am Institut Catholique gingen die Professorinnen und Professoren neben ihrer Lehrtätigkeit anderen Berufen nach: «Die Theologie war im Leben verankert.»

«Als Frau musste ich meinen Platz einfordern»

Wäre es nach den Eltern gegangen, dann hätte Katharina Jost eine Dissertation geschrieben. Damit sie als Frau in der Kirche ernst genommen werde. Katharina Jost wollte nicht weiter studieren – und trotzdem ernst genommen werden. Sie nahm ihre erste Stelle als Pastoralassistentin in Allschwil an. «Als Frau musste ich meinen Platz einfordern.»

Kajo Gäs, Priester des Bistum Basel und Vater
Kajo Gäs, Priester des Bistum Basel und Vater

Nach zwei Jahren tauschte die Theologin die Rolle mit dem amtierenden Pfarrer Kajo Gäs. Sie wurde zur ersten Frau im Kanton Basel-Land, die eine Gemeinde leitete. «Hätte man mich damals im Gottesdienst gefilmt, hätte es auch Theater gegeben», sagt die Theologin. Sie spielt auf die kanonische Voruntersuchung gegen Monika Schmid an. Die pensionierte Gemeindeleiterin aus Illnau-Effretikon hatte an ihrem Abschlussgottesdienst konzelebriert.

Heimlichtuerei stützt die Doppelmoral der Kirche

Kajo Gäs hatte kein Problem, seine Macht zu teilen, sagt Katharina Jost. Im Gegenteil. Die beiden seien ein gutes Team gewesen. Trotzdem habe sie erst aus einem Interview mit kath.ch erfahren, dass er eine Tochter hat. Von Beziehungen habe sie allerdings gewusst.

Katharina Arzt, die Tochter von Kajo Gäs, in "Anders aufgewachsen – 11 Kindheiten im Porträt"
Katharina Arzt, die Tochter von Kajo Gäs, in "Anders aufgewachsen – 11 Kindheiten im Porträt"

«Zwiespältig» findet Katharina Jost das. Sie will nicht moralisieren. Und auf der persönlichen Ebene versteht sie Kajo Gäs. Aber es sei nicht fair gegenüber den Männern, die zu ihren Beziehungen und ihren Kindern stehen und darum nicht oder nicht mehr Priester sein dürfen. «Gegenüber den Frauen ist es sowieso nicht fair.» Letztlich stütze die Heimlichtuerei die Doppelmoral der Kirche.

Sie schätzt den Luzerner Frauen-Segen

Gegen Doppelmoral und für eine gleichberechtigte, glaubwürdige und solidarische Kirche engagiert sich Katharina Jost in der «Allianz Gleichwürdig Katholisch». Dort vertritt sie den SKF. Im Juni dieses Jahres war an der Versammlung des Pastoralraums Hürntal der Beitritt zur «Allianz Gleichwürdig Katholisch» traktandiert. Eine klare Zweidrittel-Mehrheit war für den Beitritt.

Transparente der "Allianz Gleichwürdig Katholisch" bei der nationalen synodalen Versammlung in Einsiedeln. Im roten Outfit: Katharina Jost.
Transparente der "Allianz Gleichwürdig Katholisch" bei der nationalen synodalen Versammlung in Einsiedeln. Im roten Outfit: Katharina Jost.

Die Ergebnisse des synodalen Prozesses machen Katharina Jost Mut. 15 Prozent der Gläubigen seien traditionell unterwegs. «Diese Gruppe ist laut, aber sie ist definitiv nicht die Mehrheit», sagt die Kirchenfrau. Das gebe ihr Schwung für ihre Arbeit in der Kirche. Kirche realisiere sich Tag für Tag in den Beziehungen zu anderen Menschen. «Ich gebe dir von meiner Kraft und du gibst mir von deiner Kraft. So gibt uns Gott von ihrer Kraft», zitiert Katharina Jost den Luzerner Frauen-Segen.

Drei Stunden sind am Heiligen Abend heilig

Weihnachten steht vor der Tür. Katharina Jost bereitet die Predigt für Heiligabend vor, die sie dann halten wird. Einiges zu tun gibt es auch für den Kindergottesdienst. Weihnachten ist volles Programm für das Ehepaar Jost-Graf.

Katharina Jost und Alfons Sonderegger von der Allianz Gleichwürdig Katholisch.
Katharina Jost und Alfons Sonderegger von der Allianz Gleichwürdig Katholisch.

Für die eigene Familie sind die zwei, drei Stunden zwischen den Gottesdiensten heilig. Dann feiern sie ‘en famille’. Nun, da ihre Kinder keine Kinder mehr seien, überlegt sich Katharina Jost, Weihnachten wieder im erweiterten Kreis zu feiern. Mit Menschen, die an Weihnachten alleine sind oder nirgends wohin können. Mit Menschen vom «Weihnachtsbriefkasten».


Katharina Jost | © Eva Meienberg
13. Dezember 2022 | 05:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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