Friedenstauben auf dem Tabernakel in St. Anton in Bern.
Zitat

Jacqueline Keune über ein Jahr Krieg in der Ukraine: «Ich halte dir meinen ganzen Zorn hin, Gott»

«Lyrik ist für mich der Versuch, etwas von der eigenen Fassungslosigkeit zu fassen», sagt die Theologin Jacqueline Keune. Zum Jahrestag von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine hat sie ein Gedicht geschrieben: «Fahre den Kriegstreibern dieser Welt in ihre Paraden!»

Jacqueline Keune*

Ich halte dir meinen ganzen Zorn hin,
Gott,
während der Zweig auf das Lied der Amsel wartet.
Den Zorn über Putins Angriff in diesem Morgengrauen.
Den Zorn über seine und jede Mobilmachung,
die aus ungezählten von treuen Söhnen,
von zärtlichen Vätern,
von hilfsbereiten Nachbarn und fleissigen Arbeitern
Kanonenfutter macht.

Ich halte dir meinen ganzen Zorn hin,
Gott,
während sich in der Erde das Blühen vorbereitet.
Den Zorn über alle die verbrecherischen Befehle,
die es Bomben über Unschuldige regnen lässt,
die aus Kindern über Nacht Erwachsene,
die aus leuchtenden Bäumen schwarze Gerippe,
aus lachenden Dörfern stumme Ruinen
und aus Menschen Monster macht.
Den Zorn über allen Wahn,
der Angst und Schrecken verbreitet,
der für Generationen Hass in Herzen sät
und den Armen das Brot aus den Händen nimmt.

Ich halte dir meinen ganzen Zorn hin,
Gott,
während das Licht aufsteht
– rein wie am ersten Tag,
und flehe dich an:
Fahre den Kriegstreibern dieser Welt in ihre Paraden!
Lege ihnen das Handwerk!
Ziehe sie zur Rechenschaft!
Und in denen,
die ihnen ausgeliefert sind,
stärke den Mut,
stütze den Widerstand,
schütze die Hoffnung.

* Jacqueline Keune ist freischaffende Theologin und Autorin. Auf kath.ch sind letztes Jahr folgende Gedichte von ihr mit Ukraine-Bezug erschienen:


Friedenstauben auf dem Tabernakel in St. Anton in Bern. | © Christian Merz
24. Februar 2023 | 06:10
Lesezeit: ca. 1 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!