Menschen in Angola stellen das letzte Abendmahl nach © Nic Hofmeyr/Arte France
Schweiz

Jacqueline Keune zum Hohen Donnerstag: «Auf dieses Leben, Lechajim!»

«Lyrik ist für mich der Versuch, etwas von der eigenen Fassungslosigkeit zu fassen», sagt die Theologin Jacqueline Keune über den Ukraine-Krieg. Zum Hohen Donnerstag hat sie für kath.ch das Gedicht «Im Vorübergang» geschrieben.

Im Vorübergang

Wir decken den Tisch.
Wir laden die Toten ein.
Wir segnen, wir fürchten den Abend.
Wir halten den Atem an.
Wir weiten die Grenzen aus –
wie damals.

Auf dieses Leben,
Lechajim!

Wir flüstern die Knechtschaft.
Wir ernten wieder die Tränensaat.
Wir brechen das Brot.
Mit rinnenden Augen zünden wir
das Siebenlicht der Hoffnung an.
Wir schlagen das Buch der Befreiung auf.
Wir heben den Becher des Segens –
wie damals.

Auf dieses Leben,
Lechajim!

Wir bringen die Namen der Fremden vor.
Wir zählen die Orte des Unrechts auf
– aus den Beeten der Erinnerung steigt der Geruch von Eisen.
Wir lehnen uns zitternd an die Verheissung.
Die Nacht schliesst sich um den Raum.
Wir atmen den Abschied ein.
Wir brechen ins Leere auf –
wie damals.

Auf dieses Leben,
Lechajim!

* Jacqueline Keune ist freischaffende Theologin und Autorin. 


Menschen in Angola stellen das letzte Abendmahl nach © Nic Hofmeyr/Arte France
14. April 2022 | 17:44
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