Annette Jantzen
Theologie konkret

Annette Jantzen: «Die Kirche gendert das Gottesbild männlich»

Schon das Alte Testament hat gegendert. Etwa das Wortspiel, das den unaussprechlichen Gottesnamen JHWH erklärt. Dieses ist ein Neutrum – eine Sensation für die damalige Zeit. Die Bibel kennt auch viele weibliche Gottesbilder, sagt die Theologin Annette Jantzen. «Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche bleibt so lange mühsam, wie das Gottesbild rein männlich ist.»

Jacqueline Straub

Am Junia-Tag, der am Pfingstmontag stattfinden wird, werden Sie einen Vortrag und einen Workshop halten. Worüber sprechen Sie?

Annette Jantzen*: Ich spreche über biblische Gottesbilder. Oftmals haben wir ein männliches Gottesbild in unseren Köpfen. Die Bibel zeigt aber ein breites Flussdelta, was Gottes Namen anbelangt. Unsere kirchliche Gottessprache ist demgegenüber ein enger Kanal. Wenn Überlieferungen weitererzählt werden, werden sie natürlich undifferenzierter und vereinfacht. Das ist an sich nicht schlimm. Problematisch wird es aber, wenn der Kanal behauptet, dass das alles sei.

Treffen der Junia-Initiative im Kloster Fahr, Mai 2021
Treffen der Junia-Initiative im Kloster Fahr, Mai 2021

Sehen Sie in der heutigen katholischen Tradition ein verarmtes Gottesbild?

Jantzen: Total. Dabei kann ein Blick in die Bibel so empowern. Sie zeigt uns, was früher schon alles möglich war, aber auch, dass das Problem der weiblichen Repräsentanz auch schon damals bestanden hat. Wo im Text von Gott und Menschen in einer Weise die Rede ist, die dem damaligen Patriarchat zuwiderläuft, ist das etwas Besonderes. Das darf nicht wegübersetzt werden. Leider werden in heutigen Übersetzungen solche gegenläufigen Tendenzen oft geglättet. Oder ein weibliches Gottesbild in einem Halbvers wird für die kirchliche Lesung rausgeschnitten.

Worin sehen Sie die Schwierigkeit?

Jantzen: Die Texte sind in einem patriarchalen Umfeld entstanden. Je näher es an die Zeitenwende geht, desto patriarchaler wird die Bibel. Es war eine raue Zeit für die Frauen. Und es ist unser Unglück, dass die christlichen Schriften des Zweiten Testaments in diesem Zeitgeist entstanden sind. Wenn ich in so einem Text aus einer patriarchalen Gesellschaft ein weibliches Gottesbild als sehr positive Wirklichkeit finde, dann ist das etwas Unerwartetes. Das ist etwas, was man heben und feiern muss. Das ist quasi der Ort des Heiligen im Text. Und den einfach platt zu machen, ist nicht angemessen.

«Das Vaterbild ist erst im Johannesevangelium so dominant.»

Sie haben von geglätteten Texte gesprochen. Können Sie mir ein Beispiel geben?

Jantzen: Im Neuen Testament etwa wird das gleiche Wort «Ekstase» unterschiedlich übersetzt: bei Männern wird es mit Begeisterung wiedergegeben, bei Frauen mit Furcht übersetzt. Ekstase ist aber beides, Begeisterung und Furcht. Es gibt viele Beispiele für vorurteilsgeleitete Übersetzungen. Zum Beispiel, wenn bei der Erzählung von der Wüstenwanderung vom Dienst am Offenbarungszelt die Rede ist. Da wird das gleiche Verb bei der Männergruppe mit «Dienst tun» und bei der Frauengruppe mit «sich aufhalten» übersetzt.

Welche Gottesbilder gibt es im Neuen Testament?

Jantzen: Jesus spricht sehr vielfältig von Gott. Je später die Schriften, desto häufiger und ausschliesslicher wird das Gottesbild «Vater» verwendet. Das Vaterbild ist erst im Johannesevangelium so dominant. Das ist ein Ausdruck der Repatriarchalisierung des Christentums.

Klassisches Gottesbild: Mann mit weissem Bart. Gemälde von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan.
Klassisches Gottesbild: Mann mit weissem Bart. Gemälde von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan.

Und im Alten Testament?

Jantzen: Im Ersten Testament gibt es natürlich Gott als König, Richter, aber auch als die Geiermutter, die ihren Jungen das Fliegen beibringt.

In der heutigen Übersetzung ist das aber ein Adler – also wieder männlich. Da steht nichts von Adlermutter.

Jantzen: Das stimmt. In der Septuaginta, der ersten griechischen Übersetzung der Hebräischen Bibel, kam es zu dieser Wortänderung. Die Griechen fanden nämlich Geier eklig und Adler toll, und wir haben es von ihnen so übernommen. Das ist im semitischen Denken nicht so. Die Geiermutter ist ein Tier, was sich auf der Grenze von Leben und Tod aufhält und ist deswegen ein gutes Bild für Gott.

«Die Erzählung, die den Gottesnamen erklärt, ist im Hebräischen neutral.»

Welche weibliche Bilder gibt es noch?

Jantzen: Die Bärenmutter etwa, oder die Menschenmutter. In Psalm 131 heisst es, dass das entwöhnte Kind kuscheln kommt. Es kommt zur Mutter nicht mehr, weil es gestillt werden muss, sondern weil die Seele bei Gott, der Mutter, Ruhe erfährt. Spannend finde ich auch das Bild der Erdgöttin in Psalm 139. Die alten Israeliten wussten natürlich, dass Kinder nicht in der Erde wachsen. Es gibt auch kosmische und unanschauliche Bilder für Gott.

Es gibt ja auch noch den Gottesnamen Jahwes, der mit «Ich bin, der ich bin» übersetzt wird.

Jantzen: Sehr spannend ist, dass die Erzählung, die den Gottesnamen erklärt, mit einem Wortspiel arbeitet, das im Hebräischen neutral ist. Wenn an so einer zentralen Stelle in so einer gegenderten Sprache ein nicht gegendertes Wort auftaucht, was man dann übersetzen kann mit «Ich bin, der ich bin», «Ich bin, die ich bin» oder «Ich bin, was ich bin», dann ist das auch ein Befund, der Bedeutung hat.

Die Bibel auf den Punkt gebracht.
Die Bibel auf den Punkt gebracht.

Wie können diese Gottesbilder, die ja sehr divers sind, wiederentdeckt werden?

Jantzen: Zuerst einmal müssen sie sorgfältig übersetzt werden. Wer die Gelegenheit hat, so eine alte Sprache zu lernen und sich diese Texte auch im Original aneignen kann, hat auch die Pflicht, damit vernünftig umzugehen. Ich reagiere mittlerweile auch sehr empfindlich auf interessegeleitete Kürzungen von Lesungstexten.

Können die Gottesbilder zu einer kleinen Revolution führen?

Jantzen: Die Gottesbilder können sehr empowernd sein. Es ist ja eine Sache zwischen uns und Gott und nicht zwischen uns und der Kirche. Da kann ich mir schon vorstellen, dass das auch kirchliche Erosionsprozesse noch mal beschleunigt, auch wenn ich es nicht hoffe. Dennoch glaube ich, dass Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche so lange mühsam bleiben, wie das Gottesbild rein männlich ist, weil damit eine Vorherrschaft des Männlichen präfiguriert ist. Die Kirche gendert das Gottesbild männlich. Das Männliche wird dadurch eine unsichtbare Norm.

Plakat am Frauenstreiktag, 14. Juni 2023.
Plakat am Frauenstreiktag, 14. Juni 2023.

Was ändert sich, wenn das Gottesbild nicht mehr rein männlich gelesen und gepredigt wird?

Jantzen: Wie wir von Gott reden, prägt auch, wie wir von Menschen denken. Und das heisst, dass auf einmal Platz für wirkliche Gleichberechtigung ist. Das finden nicht alle Männer gut. Wenn man privilegiert ist, dann fühlt sich Gleichberechtigung wie Benachteiligung an. Aber da müssen wir, da müssen die Männer, durch.

Bedeutet das, dass ein neues Eintauchen in die Bibel die Angst vor der vom Vatikan genannten «Genderideologie» überwinden könnte?

Jantzen: Das Wort «Genderideologie» ist eine Wortschöpfung des Vatikans. Er hat dadurch nachhaltig den Diskurs vergiftet. Sprache auf geschlechtliche Vorstellungen hin reflektieren zu können, müsste eigentlich ein Grundlagenwissen sein, so wie die alten Sprachen können auch oder ein Grundwissen davon, wie mit einem biblischen Text umzugehen ist.

«Die Evangelien demontierte bestimmte Männerrollen.»

Können Sie mir ein konkretes Beispiel nennen, das zeigt, wenn diese Voraussetzungen fehlen?

Jantzen: Zum einen fällt man auf die unsichtbare männliche Norm rein und andererseits kann auch gar nicht mehr was Spezifisches über Männer gesagt werden. Die Evangelien demontierten bestimmte Männerrollen und geben andere Lebensangebote. Das wird aber nicht mehr sichtbar, wenn ich den Mann mit dem Menschen verwechsele. Etwa, dass man die andere Wange hinhalten soll. Das geht sehr klar auf eine Männerrolle hin, die verlassen werden soll. Und das Bild wird total schief, wenn das einer mehrfach diskriminierten Frau gesagt wird. Dann wird es unbarmherzig.

Bibeln
Bibeln

Haben Sie Hoffnung, dass die diversen Gottesbilder der Bibel Sprengkraft haben, das Patriarchat in der Kirche zu durchbrechen?

Jantzen: Ja, das glaube ich schon. Es gibt Punkte, hinter die gibt es kein Zurück mehr. Was sich Menschen aneignen, damit gehen sie weiter. Es gibt auch Texte in der Bibel, da wäre ein heutiger angemessener Umgang mit, sie nicht mehr im Gottesdienst vorzutragen. Etwa den Abschnitt aus dem Epheserbrief, wo es heisst, die Frauen sollen sich den Männern unterordnen. Man könnte da Zensur befürchten. Aber bislang hat auch noch niemand von Zensur gesprochen, wenn das Hohelied der Liebe in den sonntäglichen Lesungstexten niemals auftaucht. Ich hoffe, wir kommen zu so einem reflektierten Umgang mit biblischen Texten im Gottesdienst. Ich habe aber auch Sorgen.

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Welche denn?

Jantzen: Fundamentalistische Strömungen innerhalb der katholischen Kirche, aber auch innerhalb anderer Konfessionen, sind sehr erfolgreich. Wir erleben einen weltweiten Patriarchatsaufschwung, oft verbunden mit reaktionären, faschistischen Bewegungen. Da hoffe ich, dass die Vielfalt gewinnt.

* Annette Jantzen (46) ist promovierte Theologin aus Deutschland. Als Pastoralreferentin des Bistums Aachen ist sie im Bereich der Frauenseelsorge tätig. Sie hat mehrere Bücher über weibliche Spiritualität geschrieben und führt den Blog www.gotteswort-weiblich.de. Am Pfingstmontag wird sie im Rahmen des Junia-Tages im Pfarreizentrum Bendlehn in Speicher AR einen Vortrag zu «Gott ist so viel mehr als HERR» halten.


Annette Jantzen | © Ute Haupts
19. Mai 2024 | 13:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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