Missbrauch in der Kirche.
Schweiz

Grosse Missbrauchs-Umfrage der reformierten Kirche – ohne die Katholiken

Der Rat der Evangelisch-Reformierten Kirche plant eine grossangelegte Umfrage zu sexuellem Missbrauch in der Schweiz. Die Dunkelfeldstudie soll mehr Fälle ans Licht bringen, als Akten dokumentiert haben. Es wurde über eine gemeinsame Umfrage mit der katholischen Kirche nachgedacht.

Jacqueline Straub

Der Rat der Evangelisch-Reformierten Kirche Schweiz will eine repräsentative Umfrage zu Missbrauch durchführen. Hierfür hat er einen Antrag über 1,6 Millionen Franken für eine Missbrauchsstudie an das Kirchenparlament gestellt. Im Juni wird darüber entschieden. Das Ergebnis der Umfrage soll Ende 2027 vorliegen.

Rita Famos
Rita Famos

«Wir wollen das Thema enttabuisieren», sagte Rita Famos, Ratspräsidentin der EKS, im Interview mit der «NZZ am Sonntag». Die Studie soll der Frage nachgehen, wo überall Missbrauch geschieht und wie häufig: in Kirchen, Familien, Sportverbänden und Schulen. Dass auch Missbrauch ausserhalb der Kirche beleuchtet wird, soll keine «Relativierung» von Übergriffen im kirchlichen Kontext sein.

«Missbrauch ist ein gesamtgesellschaftliches Problem», so Rita Famos. Die Evangelisch-Reformierte Kirche möchte mit der Umfrage einen Beitrag leisten, um die Täterprofile und Tatkontexte zu eruieren. Die Resultate sollen auch anderen Institutionen helfen, gegen sexuellen Missbrauch vorzugehen.

Reformierte Spezifika erkennen

Die Umfrage soll ermöglichen, den sexuellen Missbrauch im kirchlichen Umfeld präziser zu erfassen und mit anderen gesellschaftlichen Bereichen zu vergleichen. «Nur wenn wir das Umfeld kennen, können wir die evangelisch-reformierten Spezifika klar sehen», sagt Stephan Jütte, Leiter Kommunikation der Evangelisch-Reformierten Kirche Schweiz, auf Anfrage von kath.ch.

Stephan Jütte ist Kommunikationsverantwortlicher der EKS
Stephan Jütte ist Kommunikationsverantwortlicher der EKS

Die Studie soll nicht nur das Ausmass von Missbrauch aufzeigen, sondern auch das Umfeld, die Täterschaft, den Kontext und die Erwartungen und Bedürfnisse von Betroffenen, so Stephan Jütte. Aber auch, was die Aufdeckung der Taten verhindert hat. Welche Schlüsse aus der Umfrage gezogen werden, kann noch nicht gesagt werden. «Dazu beantragen wir die Bildung eines Beteiligtenbeirats», so Stephan Jütte.

Sowohl die evangelische Kirche in Deutschland als auch die katholische Kirche in der Schweiz gaben eine wissenschaftliche Studie in Auftrag. Dabei wurden alle zugänglich gemachten Akten durchleuchtet. Die Evangelisch-Reformierte Kirche der Schweiz hat sich gegen eine solche Studie entschieden, weil die geplante Umfrage auch jene Fälle ans Licht bringen soll, die in keinen Akten dokumentiert sind. Die Betroffenen sollen zu Wort kommen können.

Pressekonferenz zur Missbrauchsstudie.
Pressekonferenz zur Missbrauchsstudie.

«In der Tat bieten historische Untersuchungen mittels Akten einen sehr direkten Zugang zu Aufarbeitung der Vorkommnisse und Fälle und zur Anerkennung der Opfer und Betroffenen. Wir rechnen aber damit, dass die Studie und die Begleitmassnahmen dazu dienen, dass sich Betroffene melden», so Stephan Jütte.

Die Entscheidung gegen eine historische Studie habe zudem mit der föderalistischen Struktur der Kirche zu tun, so Rita Famos im NZZ-Interview. Eine Aufarbeitung von Akten wäre in der reformierten Kirche viel komplexer als in der katholischen Kirche.

Enger Austausch mit katholischer Kirche

Die Ergebnisse der Dunkelfeldstudie sollen auch zeigen, ob die Schutzkonzepte der reformierten Kirche wirken und wo sie angepasst werden müssen. Ebenso soll es eine Entschädigung der Opfer geben. Rita Famos geht davon aus, dass die Mitgliedkirchen Mittel und Wege finden werden, Entschädigungen ohne komplexe Verfahren zu ermöglichen. Zudem soll es eine Vereinheitlichung der Verfahren geben.

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Die reformierte Kirche steht im engen Austausch mit der katholischen Kirche, so Stephan Jütte. Bei der nun angestrebten Studie habe sie stark «vom Knowhow der römisch-katholischen Kirche profitiert». Sie hat auch geprüft, ob eine gemeinsame Studie in Auftrag gegeben werden soll. «Dass wir das aktuell nicht getan haben, hat mit den unterschiedlichen organisatorischen Ausgangssituationen zu tun. Die Auftraggeberinnen beider Studien werden sich für den unkomplizierten Austausch zwischen den Forschungsteams einsetzen.»


Missbrauch in der Kirche. | © Jean-Matthieu Gautier | KNA
29. April 2024 | 15:20
Lesezeit: ca. 2 Min.
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