Hans Müller, Stadtpräsident von Wil SG, als König Herodes.
Konstruktiv

Esel, Kamele und der Stadtpräsident als Herodes: Weihnachtsgeschichte auf den Strassen von Wil

40 Laienschauspielerinnen und -schauspieler haben die Weihnachtsgeschichte in der Bahnhofstrasse und der Altstadt von Wil inszeniert. Mit dabei waren Kamele, Schafe und Esel. Gleichzeitig war Sonntagsverkauf.

Vera Rüttimann

Am Sonntagsverkauf ist viel los in der Bahnhofstrasse. Hier soll die Weihnachtsgeschichte lebendig werden? Um 13 Uhr horchen die Passanten auf: Die Hofmusik von König Herodes erklingt. Drei Männern blasen kräftig in ihre Trompeten. Sie stehen vor einem roten Zelt, das auf einem Podest steht.

Pfarrerin im Hofstaat von Herodes

Im Zelt sitzt ein Mann auf einem Thron. Er trägt einen roten Umhang und eine Krone auf dem Kopf. Es ist Herodes, gespielt von Hans Mäder, Stadtpräsident von Wil. Mit grimmigem Blick schaut er in die Menge. Als er angefragt worden sei, so Mäder, ob er diese Rolle spielen wolle, habe er gerne zugesagt. Neben ihm steht Bettina Birkner, evangelische Gemeindepfarrerin. Sie hat eine Rolle im Hofstaat des Herodes übernommen.

Vor dem Palast des Herodes.
Vor dem Palast des Herodes.

Nach mehr als einem Jahr der Vorbereitungen präsentieren nun alle vierzig Darstellenden an diesem Nachmittag ihre Kostüme in der Bahnhofstrasse. Die Kleider wurden zuvor in monatelanger Arbeit entworfen und geschneidert. Authentisch kommen auch die römischen Soldaten daher, die sich jetzt vor dem Palast des Herodes postiert haben.

Römische Legionäre patrouillieren

An verschiedenen Standorten entfaltet sich auf der Bahnhofstrasse das szenische Schauspiel. Auch die Hirten haben ihr eigenes Lager. In einem Gehege tummeln sich viele Schafe. Gegenüber haben die Schriftgelehrten ihren Ort. Marianne Mettler, Präsidentin der katholischen Kirchgemeinde, spielt eine dieser Figuren. Auch sie versucht mit den Passanten, die gestresst Weihnachtskäufen nachgehen, ins Gespräch zu kommen.

Bei den Hirten.
Bei den Hirten.

Leicht gelingt das den Schreibern, die unter einem Zelt ihren Dienst verrichten. Dort können sich Passanten zur «Volkszählung» in ein Buch eintragen. Immer wieder patrouillieren römische Legionäre durch die Strassen. Ihr Klacken, dass das Aufsetzen ihrer Speere verursacht, gehört zum Sound dieses Nachmittages.

Römische Legionäre in der Wiler Altstadt.
Römische Legionäre in der Wiler Altstadt.

Echtes Kind in der Krippe

Die Hirten überlegen sich derweil, welche Geschenke sie Josef und Maria mitbringen sollen. Das Paar hat seine Unterkunft in einem Stall auf dem Bärenplatz in der Altstadt gefunden. Dort haben sich schon viele Kinder mit ihren Eltern versammelt. Ihre Blicke richten sich zum Holzstall, wo Maria –tatsächlich – ein echtes Kind im Arm hält.

Maria, Josef und das Jesuskind.
Maria, Josef und das Jesuskind.

In einer Szenepause verrät die Mariendarstellerin, das ihr Kind unter dem Kostüm einen Skianzug trägt. «Nur so hält es die Kälte aus», sagt sie. Mittlerweile sind auch die Esel, Engel und Hirten da. Jetzt warten alle auf die drei Könige. Schon von weitem sieht man sie, in wallende Gewänder gekleidet, mit ihren Kamelen heranziehen.

Die drei Könige inmitten von Passantinnen und Pasanten.
Die drei Könige inmitten von Passantinnen und Pasanten.

«Ich fühle mich wie in Jerusalem oder Bethlehem»

Bei der Krippe steht auch Oskar Süess aus Wil. Der Mann, der als «Geschichtenerzähler» in Wil unterwegs ist, zeigt sich begeistert. Als er von diesem Spiel erfahren habe, habe er sich gesagt: «Das muss ich sehen!» Weiter sprudelt es aus ihm heraus: «Ich habe noch nie eine lebendige Krippe gesehen. Wie sie das hier gemacht haben, das bewundere ich wirklich sehr!»

Die drei Könige unterwegs mit ihren Kamelen.
Die drei Könige unterwegs mit ihren Kamelen.

Ihm gefalle die Lebendigkeit der einzelnen Szenen und der Umstand, dass die ganze Stadt in dieses Weihnachtspiel miteingebunden worden sei. «Ich fühle mich heute nicht in Wil, sondern wie in Jerusalem oder Bethlehem.» Eine tolle Idee findet er zudem, dass der Stadtpräsident mitmacht: «Der spielt seine Rolle wirklich gut.»

Bei diesem Projekt haben alle kirchlichen Gemeinschaften in Wil zusammengespannt: Die evangelische und die katholische Kirchgemeinde sowie die Freie Evangelische Gemeinde und die Lifechurch haben vor einem Jahr beschlossen, dieses Krippenspiel gemeinsam auf die Beine zu stellen.

Mit der Weihnachtsbotschaft zu den Menschen

Sabine Kutsch ist Religionspädagogin in Ausbildung bei der katholischen Pfarrei in Wil. Sie engagierte sich von Beginn an im Projektteam des Weihnachtsspiels. Nun zieht sie eine positive Bilanz: «Ich finde es eine super Idee, dass man mit der Weihnachtsbotschaft rausgeht zu den Menschen und dafür auch einen verkaufsoffenen Sonntag nutzt.» Sie hofft, dass das Spiel in Wil eine Tradition wird.

Weihnachtsgeschichte in der Wiler Altstadt.
Weihnachtsgeschichte in der Wiler Altstadt.

Hans Mäder friert mittlerweile auf seinem Herodes-Thron: «Es ist kalt, aber es macht mir Freude, wenn es den Leuten gefällt», sagt er. Nachdenklich fügt er hinzu: «Es gibt immer mehr Kirchenaustritte. Und dieses Weihnachtspiel ist auch wieder ein Schritt auf die Leute zu.»


Hans Müller, Stadtpräsident von Wil SG, als König Herodes. | © Vera Rüttimann
21. Dezember 2022 | 16:10
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!