Bernhard Willi ist Generalvikar der Urschweiz
Schweiz

Bernhard Willi zur Evakuierung von Gaza: «Es ist verrückt. Ich verstehe nicht, was das soll»

Bernhard Willi hat die Raketenangriffe in Jerusalem erlebt. Am Dienstag ist er von Tel Aviv nach Sarnen zurückgekehrt. Der Generalvikar sagt: «Es ist schwierig vorauszusehen, ob Israel in den Gazastreifen einmarschieren wird.» Und er reagiert mit Ratlosigkeit: «Ich kann überhaupt nicht abschätzen, was die Aufforderung zur Evakuierung bedeutet.»

Charles Martig

Wann sind Sie aus Israel zurückgekehrt?

Bernhard Willi*: Am Dienstag mit dem ersten Sonderflug vom Flughafen Tel Aviv. Es gab viele Doppelbürger, die ausreisen wollten. Ich sah viele Familien, Kinder und Säuglinge. Ich selbst war auf einer Touristenreise unterwegs, gemeinsam mit drei Kolleginnen von mir. Die Stimmung auf dem Flughafen war ein Tohuwabohu. Es war sehr voll. Die Botschaften hatten Personal vor Ort, um die Menschen zu organisieren.

«Die Situation in Jerusalem war am Samstag angespannt, ja sogar gespenstisch.»

Wie war die Lage in Jerusalem?

Willi: Die Situation in Jerusalem war am Samstagvormittag angespannt, ja sogar gespenstisch. Sirenen gingen los. Es gab Raketeneinschläge. Ich habe insgesamt fünf Alarme erlebt. In dieser Situation sind wir im Hotel geblieben. Erst am Nachmittag haben wir uns wieder hinausgewagt. Die jüdische Altstadt von Jerusalem galt zu diesem Zeitpunkt als sicher. Die Behörden hatten Phase orange ausgerufen. Es war wie ein Lockdown.

Blick vom Ölberg auf die Altstadt von Jerusalem.
Blick vom Ölberg auf die Altstadt von Jerusalem.

Was haben Sie in den ersten drei Tagen der Angriffe erlebt?

Willi: Am Sonntag waren wir noch auf dem Ölberg: Es gab wenige Leute und eine gespenstische Stimmung. Die Kirchen waren fast alle geschlossen. Am Sonntag war es ruhig, keine Alarme mehr. Am Montag waren wir im österreichischen Hospiz. Dann gab es einen neuen Alarm und einen Raketeneinschlag in der Nähe des Ölbergs.

«Die Stimmung auf dem Flughafen war ein Tohuwabohu.»

Hatten Sie Kontakt zur Schweizer Botschaft?

Willi: Am Sonntagabend meldete das Aussendepartement EDA, dass ein Sonderflug geplant ist. Wir konnten uns direkt bei der Helpline der Swiss melden. Eigentlich wären wir erst am Donnerstag zurückgeflogen. Wir konnten dann umbuchen auf Dienstag. Wir sind mit unserem Fahrer nach Tel Aviv zum Flughafen gefahren. Um 19 konnten wir mit dem ersten Evakuierungsflug der Swiss nach Zürich zurückkehren.

Die Altstadt von Jerusalem war stundenlang gesperrt.
Die Altstadt von Jerusalem war stundenlang gesperrt.

Haben Sie Freunde und Bekannte in den besetzten Gebieten?

Willi: Nein, wir wollten ins Kinderspital nach Bethlehem. Ich bin als Vertreter des Bistum Chur in der Kinderhilfe Bethlehem. Der Besuch war für Montag geplant. Wir hatten bereits einen Fahrer, was nicht ganz einfach war. Im Kontakt mit dem Fahrer war aber bald klar, dass es nicht möglich ist, hineinzugehen. Die Übergänge ins Westjordanland waren bereits geschlossen.

«Für das Kinderspital Bethlehem ist es eine schwierige Situation. Bethlehem liegt im Westjordanland und ist jetzt blockiert.»

Wie ist die Situation für Hilfsorganisationen?

Willi: Für das Kinderspital Bethlehem ist es eine schwierige Situation. Die Leute können sich in der jetzigen angespannten Lage nicht bewegen. Die Kinder können nicht mehr ins Spital gebracht werden. Bethlehem liegt im Westjordanland und ist jetzt blockiert. Mein letzter Kontakt mit dem Kinderspital war am Montag.

Eine Down-Syndrom-Patientin im Kinderspital Bethlehem.
Eine Down-Syndrom-Patientin im Kinderspital Bethlehem.

Heute hat die Armee Israels rund eine Million Bewohner des Gazastreifens aufgefordert, ihre Wohngebiete zu verlassen. Was halten Sie davon?

Willi: Es ist verrückt. Ich verstehe nicht, was das soll. Stellen Sie sich vor: Der Gazastreifen ist genau so gross wie der Kanton Obwalden. Im diesem Kanton leben 38’000 Leute. Im Gazastreifen sind es zwei Millionen Menschen, die dort wohnen müssen. Die Situation ist also sehr beengt und verschärft sich jetzt weiter.

Es ist schwierig vorauszusehen, ob Israel in den Gazastreifen einmarschieren wird. Ich kann überhaupt nicht abschätzen, was die Aufforderung zur Evakuierung bedeutet.

«Es trifft auch die arabisch-christliche Bevölkerung in Jerusalem und in Bethlehem.»

Wie sind Christen von dem bewaffneten Konflikt betroffen?

Willi: Es trifft auch die arabisch-christliche Bevölkerung in Jerusalem und in Bethlehem. Die wirtschaftlichen Folgen sind gravierend. Es gibt keine Bewegungsfreiheit mehr.

Wie engagieren Sie sich persönlich?

Willi: Am Mittwoch war ich den ganzen Tag im Pfarrhaus in Sarnen, um die Ereignisse für mich zu verarbeiten. Gestern haben wir vier Jerusalem-Reisende ein «Debriefing» gemacht. Es ist jetzt ganz wichtig, dass wir das Kinderspital in Bethlehem unterstützen.

«Die Reisen von Felix Gmür und Stephan Burger sind abgesagt.»

Was können wir in der Schweiz tun?

Willi: Ich habe einen starken Fokus auf das Kinderspital in Bethlehem. Die geplanten Jubiläumsfeierlichkeiten der Kinderhilfe Bethlehem waren im Oktober geplant und sind jetzt alle abgesagt. Auch die Reisen von Bischof Felix Gmür und Erzbischof Stephan Burger aus Freiburg im Breisgau sind abgesagt. Die regulären Flüge nach Israel sind ausgesetzt und zwar bis Ende des Monats. Wir können also derzeit nicht nach Israel reisen.

*Bernhard Willi ist Generalvikar für die Urschweiz. Als Vertreter des Bistums Chur ist Willi bei der Kinderhilfe Bethlehem engagiert. Er war zum Zeitpunkt der Angriffe der Hamas am 7. Oktober mit einer Reisegruppe in Jerusalem.


Bernhard Willi ist Generalvikar der Urschweiz | © zVg
13. Oktober 2023 | 17:30
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