Andrea Thali, Flughafenseelsorgerin in Zürich.
Schweiz

Andrea Thali: «Als Flughafen-Seelsorgerin muss ich sehr flexibel sein»

Sie ist seit vielen Jahren Seelsorgerin in der Flughafenkirche in Zürich Kloten und hat nie mit einem Wechsel geliebäugelt. Denn ihre Arbeit ist enorm abwechslungsreich und stellt sie immer wieder vor neue Herausforderungen. In der aktuellen Folge des Podcasts «Laut und Leis» blickt Andrea Thali auch zurück auf das Krisenjahr 2001, berichtet von der Leere im Flughafen während der Corona-Pandemie und der Lust am Reisen.

Sandra Leis

Die Begeisterung für ihre Arbeit als Flughafen-Seelsorgerin steht ihr ins Gesicht geschrieben. Andrea Thali, seit 1999 als Seelsorgerin in Zürich Kloten tätig, ist am richtigen Ort: «In diesem dynamischen Umfeld seelsorgerlich tätig zu sein, ist sehr spannend, denn ich bin in ständigem Kontakt mit den Mitarbeitenden, die am Flughafen unterschiedlichste Berufe ausüben, mit den Reisenden, mit Asylsuchenden und den Besucherinnen und Besuchern.»

Seelsorge ganz praktisch

Ihre Aufgabe als Seelsorgerin versteht die römisch-katholische Theologin umfassend: Das heisst, sie kümmert sich um Körper und Seele ihres Gegenübers. «Ich frage, ob die Person Durst oder Hunger hat, buche, wenn nötig, Flüge um und schaue, wie es um die psychische Verfassung steht.»

Andrea Thali ist Flughafenseelsorgerin in Zürich.
Andrea Thali ist Flughafenseelsorgerin in Zürich.

Oft gebe es komplexe Betreuungssituationen, beispielsweise wenn Passagiere stranden oder bei einem Suizidversuch. Im Mittelpunkt stehe der verzweifelte Mensch, aber auch mit Angehörigen, Zeugen und der Polizei komme es zu einem regen Austausch, sagt Andrea Thali.

Sie lässt die Menschen weiterziehen

Die grösste Herausforderung als Flughafen-Seelsorgerin sei die Flexibilität. «Die Arbeit ist unberechenbar und die menschlichen Anliegen sind sehr vielfältig. Da muss man von einem Moment auf den anderen den Hebel umlegen und ganz präsent sein», sagt Thali.

Die meisten Menschen bleiben nur kurz an Flughäfen.
Die meisten Menschen bleiben nur kurz an Flughäfen.

Im Unterschied zur Arbeit in einer Gemeinde, in der eine Seelsorgerin Menschen in der Regel über längere Zeit begleitet, wechselt die Kundschaft im Flughafen oft. Auf die Frage, ob das manchmal auch frustrierend sei, antwortet Andrea Thali dezidiert: «Nein. Unser Motto heisst ‹In Transit with you›. Wir geben unser Bestes, und dann lassen wir die Menschen weiterziehen. Loslassen hat auch etwas Befreiendes.»

Umgang mit Sprachbarrieren

Auch wenn Englisch eine Weltsprache ist, nicht alle Menschen sprechen sie. Wie verständigt man sich mit Hilfesuchenden aus Afghanistan, China oder Japan? Es sei erstaunlich, wieviel man verstehen und hören könne, auch wenn die Sprache nicht perfekt sei, sagt Thali. «Ich habe schon sehr eindrückliche Erlebnisse gehabt, da war die Sprache holprig, und trotzdem kam es zu einer innigen Begegnung.» Und wenn’s mal überhaupt nicht klappt mit der Verständigung, so finde man unter den vielen Mitarbeitenden im Flughafen jemanden, der die gewünschte Sprache spreche.

Kerzen anzünden in der Flughafenkapelle am ZRH
Kerzen anzünden in der Flughafenkapelle am ZRH

Auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist das dreiköpfige ökumenische Kernteam der Flughafen-Kirche da: Rund die Hälfte der Arbeitszeit sei für sie reserviert. In diesen seelsorgerlichen Gesprächen gehe es oft um Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, um Beziehungskrisen oder Suchtprobleme, sagt Thali. Regelmässig würden auch Vorgesetzte auf das Angebot verweisen.

9/11, Swissair-Grounding und Absturz in Bassersdorf

Kaum war die Flughafenkirche 1997 gegründet, kam es zu Grossereignissen, die die Schweiz prägten: Beim Anschlag auf Touristen im ägyptischen Luxor gab es 36 Opfer aus der Schweiz. Ein Jahr später, 1998, stürzte eine Swissair-Maschine im kanadischen Halifax ab.

Während der Corona-Pandemie blieben viele Flieger am Boden. Andrea Thali 2021 auf einer Aussichtsplattform am ZRH.
Während der Corona-Pandemie blieben viele Flieger am Boden. Andrea Thali 2021 auf einer Aussichtsplattform am ZRH.

Und schliesslich das Katastrophenjahr 2001, das Andrea Thali bereits als Flughafen-Seelsorgerin miterlebt hat: Die Terroranschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York, dann im Oktober das Swissair-Grounding und schliesslich im November der Absturz einer Crossair-Maschine in Bassersdorf. «Es hat sich angefühlt, als wären wir nonstop in einer Ausnahmesituation», erzählt Thali. Und sie erinnert sich noch lebhaft daran, wie ungewohnt ruhig es kurz nach den Anschlägen vom 11. September war, weil die Menschen fassungslos auf die Bildschirme starrten, die in den Flughafen-Lounges aufgestellt wurden.

Die Angst-Leere während der Corona-Pandemie

Einschneidend war auch die Corona-Pandemie: Plötzlich gab es keine Passagiere mehr, das Personal blieb mit wenigen Ausnahmen daheim; auch das Reinigungspersonal wurde auf ein Minimum reduziert. «Innert kürzester Zeit waren viele Scheiben im Transitbereich voller Taubenkot, und in den Räumen machte sich eine Angst-Leere breit, die zutiefst bedrückend wirkte», erzählt Andrea Thali.

Flugscham ist kein Thema

Tempi passati: Die Luftfahrt erholt sich schneller als erwartet, die Passagierzahlen klettern wieder auf Vor-Corona-Niveau. «Das Pendel schlägt zurück – die Menschen wollen wieder reisen», so Thali. Auf die Frage, ob Flugscham in der Flughafen-Seelsorge ein Thema sei, sagt sie: «Nein, bis jetzt nicht.»

Die globale Klimakrise ist ein drängendes Problem. Dessen ist sich auch Andrea Thali sehr bewusst. Doch als Flughafen-Seelsorgerin muss sie dieses Spannungsfeld aushalten und in erster Linie für all jene Menschen da sein, die ihre Unterstützung und Hilfe brauchen.


Andrea Thali, Flughafenseelsorgerin in Zürich. | © Sandra Leis
11. August 2023 | 06:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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