Charlotte Küng-Bless im Einsatz
Theologie konkret

Charlotte Küng-Bless: «Auf Einladung von Priestern habe ich im Bistum Basel konzelebriert»

Die Bischöfe ermahnen ihre Seelsorgenden in liturgischen Fragen – wegen Frauen wie Charlotte Küng-Bless (39). Die Seelsorgerin des Bistums St. Gallen sagt: «Wer frei von Verstössen gegen das Kirchenrecht ist, werfe den ersten Stein!» Als Studentin habe sie im Bistum Basel konzelebriert – auf Einladung von Priestern.

Raphael Rauch

Wie geht es Ihnen?

Charlotte Küng-Bless*: Gut! Ich bin mit meiner Familie gut beschäftigt! Und dann trudeln ständig WhatsApp-Nachrichten ein. Am Dreikönigstag habe ich morgens die Nachricht einer Kollegin bekommen: Schau mal in den neuen Brief vom Bischof, da bist du Thema! Ich wusste überhaupt nicht, was sie damit meinte. 

Charlotte Küng-Bless am Juniatag im Kloster Fahr
Charlotte Küng-Bless am Juniatag im Kloster Fahr

Hat Sie Bischof Markus Büchel vorgewarnt?

Küng-Bless: Nein, ich wusste von nichts! Auch nicht, dass er mich in einem Zusatz-Schreiben namentlich erwähnt hat – zusammen mit Monika Schmid.

Mich irritiert, dass das zweiseitige Schreiben offenbar nicht für sich selbst steht, sondern Bischof Markus Büchel es für nötig empfindet, es in einem Zusatzschreiben zu dechiffrieren.

Küng-Bless: Ich schätze das Zusatzschreiben, weil wir so die Hintergründe erfahren. Ich finde, das ist auch eine Stärke des Bistums St. Gallen: Transparenz. Ich hätte es jedoch geschätzt, im Vorfeld informiert zu werden, dass ich bald in einem Schreiben des Bischofs an alle Seelsorgenden exponiert werde.

Stein des Anstosses war die SRF-Sendung «10 vor 10»:

Heikle Aussage im SRF-Fernsehen (zum Nachschauen ab Minute 17:13)

SRF: Könnten Sie sich vorstellen, die Sakramente zu feiern – auch ohne Einwilligung der Kirche?
Charlotte Küng-Bless: Ja. Das wird, denke ich, auch an vielen Orten schon so praktiziert.
Machen Sie das auch?
Küng-Bless: Ja. 
Aber das ist ein Tabu!
Küng-Bless: Das ist ein absolutes Tabu und ein absoluter Skandal in gewissen Kreisen.

Ihre Aussage entstand im Kontext der Krankensalbung. Was haben Sie Illegales gemacht?

Küng-Bless: Gar nichts (lacht). Im Raum steht, ich hätte das Sakrament der Krankensalbung gespendet, was nur ein Priester darf. Allerdings habe ich kein Sakrament gespendet, sondern ein der Krankensalbung ähnliches Ritual vollzogen.

Mit diesen Gegenständen wird die Krankensalbung durch einen Priester gestaltet.
Mit diesen Gegenständen wird die Krankensalbung durch einen Priester gestaltet.

Was genau haben Sie gemacht?

Küng-Bless: Eine Familie ist auf mich zugekommen und wollte, dass ich eine Frau im Sterben begleite. Der Familie war wichtig, eine Seelsorgerin zu haben, zu der sie eine Beziehung haben – einen Priester wollte die Frau explizit nicht am Sterbebett haben.

«Ich wollte einen Priester finden. Doch die Familie meinte: ‘Wir wollen dich!’»

Und dann?

Küng-Bless: Ich habe die Familie darüber informiert, dass ich keine Krankensalbung spenden kann – und dass ich gerne helfe, einen Priester zu finden. Doch die Familie meinte: «Wir wollen dich! Dir fällt sicher etwas ein!» Daraufhin habe ich ein Salbungsritual gestaltet, das von der katholischen Tradition geprägt ist und der Familie geholfen hat, Abschied zu nehmen. Die Familie wusste, dass es kein Sakrament ist, und ich habe niemals behauptet, dass es ein Sakrament sei. Und trotzdem hat es die Familie als Stärkung empfunden. Das Ritual hat womöglich wie ein Sakrament gewirkt, ohne dass es ein Sakrament im eigentlichen Sinne war. In dem Zimmer, wo wir das Ritual vollzogen haben, habe ich die Heilige Geistkraft gespürt. Dafür werde ich mich nicht entschuldigen. Ich wiederhole, was ich schon einmal zu kath.ch gesagt habe: In der persönlichen Beziehung mit anderen wird die göttliche Wirklichkeit sichtbar.

Bild von der Taufe Jesu in Al-Maghtas (Jordanien).
Bild von der Taufe Jesu in Al-Maghtas (Jordanien).

Was genau haben Sie gemacht? Können Sie beschreiben, wie dieses Ritual ablief?

Küng-Bless: Ich kam von einem Familiengottesdienst, in dem wir das Tagesevangelium in Rollen gelesen hatten. Genau so machten wir es dann später auch bei dieser Salbungsfeier. Weil es die erste Salbung war, habe ich mich vorgängig bei einer befreundeten Spitalseelsorgerin erkundigt, wie sie solche Feiern jeweils gestalte. Dem Rat meiner Kollegin folgend habe ich mit einem Spontangebet begonnen. Dann kam das Evangelium zur Taufe Jesu, das drei Angehörige mit verteilten Rollen vortrugen. Mit der Erlaubnis der Frau habe ich zuerst deren Hände und dann die Stirn mit Rosenöl und einem begleitenden Gebet gesalbt. Auch die Angehörigen durften sie anschliessend segnen. Eindrücklich war der darauffolgende spontane Lebensrückblick der Frau, der geprägt war von überschwänglichem Dank und vielen Tränen. Nach dem Schlussgebet und Segen haben wir gemeinsam eines der Lieblingslieder der Frau gesungen: «Dona nobis pacem.»

«Das ist kein Theater, das ist Angst.»

Und warum jetzt das ganze Theater, wenn Sie nichts Illegales gemacht haben?

Küng-Bless: Das ist kein Theater, das ist Angst. Die Dynamik ist nicht abschätzbar, wenn ich offen sage: Wer frei von Verstössen gegen das Kirchenrecht ist, werfe den ersten Stein! Papst Franziskus möchte, dass wir Hirten und Hirtinnen bei den Menschen sind. Ich möchte bei den Menschen sein. Wenn Sie in einer Pfarrei arbeiten, haben Sie es mit Menschen zu tun, die in unterschiedlichen Situationen die Begleitung der Kirche wünschen. Zu ihnen sage ich Ja und nicht Nein.

Von links Sofia von Spanien, Philippe und Mathilde von Belgien, die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Staatspräsident Sergio Mattarella
Von links Sofia von Spanien, Philippe und Mathilde von Belgien, die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Staatspräsident Sergio Mattarella

Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat beim Papst-Requiem die Kommunion empfangen, obwohl sie unverheiratet mit einem Mann zusammenlebt und mit ihm eine Tochter hat.

Küng-Bless: Die pastorale Realität stellt auch den Vatikan vor Herausforderungen! Seelsorge heisst, den Konflikt mit dem Kirchenrecht in Kauf zu nehmen. Ich möchte mich nicht dafür entschuldigen müssen, dass ich dem Auftrag des Papstes folge und in Übereinstimmung mit ihm pastorale Lösungen suche.

«Charlotte, pass› auf, was du machst!»

Welche Reaktionen gab es aus dem Bistum St. Gallen?

Küng-Bless: Am Rande des 175-Jahr-Jubiläums des Bistums St. Gallen hat mir ein Mitglied der Bistumsleitung wertschätzend und fürsorglich gesagt: «Charlotte, pass› auf, was du machst!»

Monika Schmid (links) und Charlotte Küng-Bless
Monika Schmid (links) und Charlotte Küng-Bless

Das klingt wie eine Drohung!

Küng-Bless: Das kommt jetzt falsch rüber. Das war wirklich kollegial und wertschätzend gemeint. Das war keine Drohung. Die Botschaft war eher: Wir wollen dich als Seelsorgerin, wir schätzen dich – aber wir machen uns etwas Sorgen. Wirklich, das war voll Okay und ich bin dankbar, dass die Person das Gespräch mit mir gesucht hat.

Wer von der Bistumsleitung war das?

Küng-Bless: Das sage ich nicht. Vertrauliches bleibt vertraulich.

Franziska Driessen-Reding beim synodalen Prozess.
Franziska Driessen-Reding beim synodalen Prozess.

Die Zürcher Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding kann den Rüffel-Brief der Bischöfe nicht ernst nehmen und ruft auf, ihm humorvoll zu begegnen. Was meinen Sie?

Küng-Bless: Den Brief nehme ich gelassen. Die Verzweiflung, die dazu geführt haben muss, ihn zu verfassen, kann ich jedoch nicht ignorieren: Die Kirche ist in einer Krise. Ihr mit einem Brief dieser Art zu begegnen, ist jedoch ein Beispiel für Krisenkommunikation, wie sie nicht sein sollte. Wir sind doch gemeinsam im synodalen Prozess unterwegs. Da geht es um viel mehr als um Liturgie! Warum finden wir nicht zusammen Lösungen für die grundlegenden Probleme unserer Kirche? Wo ist das Zuhören, wo ist das Nachfragen, wo ist der Austausch auf Augenhöhe? Die Zeit der blauen Briefe ist vorbei. Aber klar: Die drei Bischöfe Joseph Maria Bonnemain, Felix Gmür und Markus Büchel leben aufgrund ihres Amtes mittendrin in der Kirchenbubble. Synodalität zu leben versuchen, ist wohl auch eine Frage der Prägung. 

Synodaler Prozess im Bistum St. Gallen: Auch der St. Galler Bischof Markus Büchel will zuhören.
Synodaler Prozess im Bistum St. Gallen: Auch der St. Galler Bischof Markus Büchel will zuhören.

Hat Sie der Brief verletzt?

Küng-Bless: Nein, das wäre zu viel gesagt. Aber es macht natürlich schon was mit mir, auch wenn ich mich der Situation freiwillig ausgesetzt habe und bereit bin, die Konsequenzen zu tragen. Auch wenn ich mir sicher bin, stets im Sinne Jesu und der Kirche gehandelt zu haben. Die Kirche braucht ein Update, damit das Kirchenrecht auch dem Sinne Jesu entspricht.

«Priester aus dem Bistum Basel haben mich aufgefordert, zu konzelebrieren.»

Haben Sie schon einmal konzelebriert?

Küng-Bless: Ja, mehrmals sogar. Allerdings war das nicht meine Idee. Priester aus dem Bistum Basel haben mich aufgefordert, zu konzelebrieren. Damals war ich noch Studentin in Luzern. Ein Priester sagte zu mir: «In unserer Pfarrei ist das so üblich.»

Würden Sie wieder konzelebrieren?

Küng-Bless: Nein.

Veronika Jehle (blaue Mütze) und Nadja Eigenmann (rote Mütze)
Veronika Jehle (blaue Mütze) und Nadja Eigenmann (rote Mütze)

Die Zürcher Seelsorgerin Veronika Jehle hat gekündigt – sie erträgt die patriarchale, sexistische und homophobe Struktur der Kirche nicht mehr. Was hält Sie in der Kirche?

Küng-Bless: Die Sache Jesu! Aber ich bin auch Lehrerin, habe zusätzliche Standbeine. Ich hoffe, dass die Kirche erkennt, dass sie Menschen wie mich braucht – aber zur Not gäbe es wohl schon Alternativen für mich. In verschiedenen seelsorgerlichen Begegnungen treffe ich immer wieder auf Lebensrealitäten und Fragestellungen, auf die die katholische Kirche keine adäquaten Antworten hat, zum Beispiel zu Sexualität und Körperlichkeit. In diesem Zusammenhang erlebe ich manches Gegenüber wie einen halben Menschen, weil viel verdrängt und unterdrückt wird. 

Charlotte Küng-Bless ist zur sakramentalen Sendung bereit.
Charlotte Küng-Bless ist zur sakramentalen Sendung bereit.

Sie arbeiten in einer ländlichen Region. Wie reagieren die Menschen auf Ihre liberalen Ansichten?

Küng-Bless: Das sind doch keine liberalen, sondern einfach lebensnahe Ansichten! Ich bekomme sehr viele positive Rückmeldungen. Neulich sagte eine 60-jährige Frau zu mir am Ende eines Trauergesprächs: «Ich habe Sie gegoogelt. Ich finde super, was Sie machen! Weiter so, dranbleiben!»

Charlotte Küng-Bless (39) ist Seelsorgerin in der Katholischen Kirche Region Rorschach. Sie engagiert sich in der Junia-Initiative, die Frauen sichtbar macht, die zur sakramentalen Ordination bereit sind. 


Charlotte Küng-Bless im Einsatz | © Sabrina Schöni
8. Januar 2023 | 15:14
Lesezeit: ca. 6 Min.
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