Charlotte Küng-Bless ist zur sakramentalen Sendung bereit.
Story der Woche

Charlotte Küng-Bless: «Mein Salbungsritual war keine Simulation»

Charlotte Küng-Bless (39) hat im SRF-Fernsehen angedeutet, gegen das Kirchenrecht verstossen zu haben. Vielen Gläubigen würden die Sakramente vorenthalten – wegen des Priestermangels. Küng-Bless möchte gelungene Seelsorgeerfahrungen sammeln – auch abseits des geltenden Kirchenrechts: «Die Zeit der Heimlichtuerei ist vorbei.»

Jacqueline Straub

Am kommenden Donnerstag laden Sie zu einem Online-Meeting unter dem Motto «Beglückt, beschenkt, uneingeschränkt» ein. Um was geht es dabei genau?

Charlotte Küng-Bless*: Es geht um Austausch über gelungene Seelsorgeerfahrungen. Geschichten und Erfahrungen, die berühren und ermutigen, sollen einen Raum bekommen. Dabei ist das aktuell geltende Kirchenrecht nicht die Richtschnur, was geht und was nicht.

Charlotte Küng-Bless setzt sich im Bistum St. Gallen für Reformen ein.
Charlotte Küng-Bless setzt sich im Bistum St. Gallen für Reformen ein.

Für wen haben Sie diesen Online-Treff initiiert?

Küng-Bless: Für Seelsorgende, aber auch für Menschen, die wertschätzende Seelsorge erfahren haben. Ermutigende Geschichten können mir im Vorfeld auch zugeschickt werden. Ich lese sie dann vor. 

«Ich bin froh, dass vielerorts einfach gemacht wird.»

Warum haben Sie diesen Austausch ins Leben gerufen?

Küng-Bless: In der Kirche beklagen wir uns oft, leiden und teilen unseren Schmerz. Ich kenne viele, die heute nicht mehr in der Kirche tätig wären, wenn sie nicht so zahlreiche grossartige Erfahrungen in der Seelsorge gemacht hätten. Ich bin ja froh, dass vielerorts einfach gemacht wird – eben weil der Mensch in den Mittelpunkt gestellt wird. In der Seelsorge geben wir wiederverheirateten Geschiedenen die Kommunion. Solange wir nicht Ross und Reiter nennen, bleibt das abstrakt. Darum habe ich den Online-Austausch ins Leben gerufen. Wir stehen mit unserem Gesicht hin.

Monika Schmid (links) und Charlotte Küng-Bless
Monika Schmid (links) und Charlotte Küng-Bless

Ihr Erfahrungsaustausch wird für alle auf YouTube sichtbar sein. Es gibt Menschen, die lieber einen «safe space» wünschen. Warum wählen Sie bewusst die Öffentlichkeit?

Küng-Bless: Die Zeit der Heimlichtuerei ist vorbei. Stehen wir endlich dazu, was wir zum Wohl der Menschen und letztlich auch zur Ehre Gottes tun. Beim Austausch soll es die Möglichkeit geben, anonym teilzunehmen und auch anonym im Chat die eigene Geschichte zu teilen. 

«Die Freude, die dieser Junge hatte, berührt mich noch heute.»

An welche positiven Erfahrungen in der Seelsorge denken Sie gerne zurück?

Küng-Bless: Vor einigen Jahren kam eine Familie eines Erstkommunionkindes auf mich zu. Ihr Sohn war geistig behindert und der Gottesdienst mit vielen Menschen überforderte ihn. Die Eltern fragten, ob es die Möglichkeit gäbe, zu einem anderen Zeitpunkt eine Erstkommunion mit ihm zu feiern. In Absprache mit unserem Pfarrer feierte ich mit der Familie des Jungen eine Wortgottesfeier mit Kommunion. Die Freude, die dieser Junge hatte, berührt mich noch heute. Sein Lachen traf mich mitten ins Herz – aber auch die Dankbarkeit der Familie.

Charlotte Küng-Bless mit einem zerbrochenen Topf, einem Element ihres Religionsunterrichts.
Charlotte Küng-Bless mit einem zerbrochenen Topf, einem Element ihres Religionsunterrichts.

Was erhoffen Sie sich von dem Online-Meeting?

Küng-Bless: Ich erhoffe mir eine stärkere Vernetzung und eine gegenseitige Bestärkung. Aber auch Mut, auf die innere Stimme zu hören.

Wann haben Sie auf Ihre innere Stimme gehört?

Küng-Bless: Ich habe vor einiger Zeit von einer Familie einen Anruf erhalten. Es ging um ein Salbungsritual. Die schwerkranke, betagte Mutter wolle keinen Priester sehen, hiess es. Ich habe gehandelt.

«Für die ganze Familie war klar, dass ich das kirchenrechtlich nicht darf.»

Sie haben also die Krankensalbung gespendet? Das ist nach heutigem Kirchenrecht nicht erlaubt.

Küng-Bless: Wenn man im Kirchensystem denkt, ist es illegal. Aber diese Frau wollte ein Salbungsritual – und zwar nicht von einem geweihten Mann. Die Gründe dafür kannte ich ansatzweise. Für die ganze Familie war klar, dass ich das kirchenrechtlich nicht darf. Aber niemand im Raum sah darin eine Simulation. In der persönlichen Beziehung mit anderen wird die göttliche Wirklichkeit sichtbar. Rituelle Zeichenhandlungen verstärken diesen Effekt.

Die St. Galler Seelsorgerin Charlotte Küng-Bless sagte im SRF-Fernsehen, sie habe gegen das Kirchenrecht verstossen.
Die St. Galler Seelsorgerin Charlotte Küng-Bless sagte im SRF-Fernsehen, sie habe gegen das Kirchenrecht verstossen.

Sie haben im SRF-Fernsehen angedeutet, gegen das Kirchenrecht verstossen zu haben. Gab es eine Reaktion vom Bistum St. Gallen?

Küng-Bless: Natürlich. In unserem Bistum steht das Ordinariat grundsätzlich in gutem Austausch mit den Seelsorgenden.

«Ich habe auch schon Paare getraut und ihnen gesagt, dass ich die Ehe kirchlich nicht gültig schliessen kann.»

Wo waren Sie in der Seelsorge ebenfalls schon mutig?

Küng-Bless: Vor einigen Jahren delegierte ein Diakon eine Taufe an mich. Das war im Graubereich, denn die Beauftragung hätte eigentlich vom Pfarrer kommen müssen, der von dieser Taufanfrage nichts wusste. Ich habe auch schon Paare getraut und ihnen im Vorfeld gesagt, dass ich die Ehe kirchlich nicht gültig schliessen kann. Das war ihnen egal. Sie wollten eine Seelsorgerin, die sie auf ihrem Weg schon ein Stück weit begleitet hatte.

Papst Franziskus empfängt die Bischöfe der Schweiz 2021 im Vatikan.
Papst Franziskus empfängt die Bischöfe der Schweiz 2021 im Vatikan.

Was kritisieren Sie an der momentanen Lage der Kirche?

Küng-Bless: Viel. In Bezug auf das Feiern bedauere ich, dass wunderbare Rituale geopfert werden, einfach nur, weil wir in Bezug auf die Sakramente bei der Frage hängen bleiben, wer berechtigt ist, diese gültig und ordentlich zu feiern. Die Sakramente sind für die Gläubigen Trost, Ermutigung und in besonderer Weise identitätsstiftend. Und dennoch werden sie vielen vorenthalten, weil es die Kirche nicht schafft, die Erkenntnisse der universitären Theologie und der Praxis ernst zu nehmen und ihr Sakramenten- und Priesterverständnis weiterzuentwickeln.

«Warum dürfen die Menschen, die eine Person länger begleiten, nicht das Sakrament spenden?»

Manche sagen nun: Im Spital oder Altersheim kann jederzeit ein Priester gerufen werden. Dafür gibt’s in Zürich sogar einen Pikett-Dienst. Der Priester kommt innert 60 Minuten mit seinem Koffer und spendet die Krankensalbung.

Küng-Bless: Für die, die das passt, freue ich mich. Mir kommt dabei der Beziehungs-Aspekt zu kurz. Seelsorge ist Beziehungsarbeit. Warum dürfen die Menschen, die eine Person länger begleiten, nicht das Sakrament spenden? Wenn die Beziehung zwischen Spendenden und Empfangenden fehlt, ist die Handlung in meinem Empfinden irgendwie leer. Dabei hat sich Jesus selbst immer auf den Menschen eingelassen. Ein Ritual ist das Sichtbarmachen einer gewachsenen Beziehung, die Gott begleitet.

* Charlotte Küng-Bless (39) ist Seelsorgerin in der Katholischen Kirche Region Rorschach. Sie engagiert sich in der Junia-Initiative, die Frauen sichtbar macht, die zur sakramentalen Ordination bereit sind. Am Donnerstag, 27. Oktober, lädt sie um 16 Uhr zu einem Online-Austausch über gelungene Seelsorgeerfahrungen ein. Das Treffen kann auch live auf YouTube mitverfolgt werden.


Charlotte Küng-Bless ist zur sakramentalen Sendung bereit. | © Foto-Huwi
21. Oktober 2022 | 05:00
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