Caravaggio, eigentl. Michelangelo Merisi; .1571-1610:  "Die heilige Maria Magdalena in Extase", (1606), Rom, Privatsammlung. (KEYSTONE/akg-images/akg-images / Cameraphoto)
Religion anders

Wenn Prostituierte zu Heiligen werden: Caravaggio machte es möglich

Der legendäre italienische Frühbarockmaler hat nur anhand von lebenden Modellen gemalt. Bei seiner «Auferweckung des Lazarus» mussten Helfer stundenlang eine Leiche in die Höhe halten. Für einige Marien- und Heiligen-Darstellungen porträtierte Caravaggio öffentlich bekannte Dirnen, zu denen er teils amouröse Beziehungen unterhielt. Skandale blieben nicht aus.

Wolfgang Holz

Es war ein absolutes Novum für die Schweiz: Bis vor kurzem zeigte eine Ausstellung in einer Basler Messehalle fünf Gemälde von Caravaggio und zwei Gemälde, die aus dem «Umkreis» der «Caravaggio-Schule» kommen. Das war durchaus ein Knüller – denn wenn es um effektvolle Malerei des Frühbarocks geht, wird Caravaggio, eigentlich Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571–1610), oft an erster Stelle genannt.

Zu Lebzeiten schon eine Legende

Kein Wunder. Der Lombarde, der in Nähe von Bergamo geboren wurde, war schon zu Lebzeiten eine Legende. Seine steile Karriere, sein Totschlag eines römischen Sergeanten im Streit nach einer banalen Schlagball-Partie, seine Verurteilung zum Tod und seine Verbannung, seine Intrigen sowie sein früher Tod durch Sumpffieber mit 39 Jahren haben zur Mythenbildung geführt.

Die Heilige Katharina von Alexandrien (1598) von Caravaggio: Als Modell stand ihm die Kurtisane Fillide Melandroni.
Die Heilige Katharina von Alexandrien (1598) von Caravaggio: Als Modell stand ihm die Kurtisane Fillide Melandroni.

Und nicht nur das. Auch seine Kompositionen und seine Art des Farbauftrags sorgten für öffentliche Skandale. Der Maler war ein Messias des Lichts. Das lag vor allem an seiner extremen Art und Weise, wie er seine Bilder in Hell-Dunkel-Kontraste tauchte.

Mysteriöse Lichtquelle

Dabei werden die Sujets seiner Gemälde zumeist von einer mysteriösen Lichtquelle angestrahlt, während das Umfeld stets in abgründiges Dunkel kippt. Wobei seine Bilder im Verlauf der Zeit immer dunkler wurden. Die meisten seiner Gemälde stilisierte er auf diese Weise zum realistisch-naturalistischen Drama.

Aber nicht nur seine Technik des «Tenebrismo» – gemeint ist besagte kräftige, besonders kontrastierende Form der Helldunkelmalerei – sorgt für einen Schauder beim Betrachten seiner Bilder. Caravaggio hat auch mit seinen Live-Modellen für viel Furore gesorgt. Denn er malte stets nach lebenden Modellen, nicht nach Skizzen oder aus der Erinnerung. Das hat bei einigen seiner zahlreichen biblischen Motive für Aufregung und Ablehnung gesorgt.

Leichen als Modelle: Lazarus und Marias Tod

Da sind nicht nur jene Leichen, die ihm «Modell standen» – etwa für die «Auferweckung des Lazarus» (1608/9). Dabei mussten mehrere Helfer eine echte Leiche aus dem städtischen Krankenhaus mehrere Stunden für Caravaggio in Positur halten – worüber sie sich ob dieser Zumutung heftig beschwerten.

"Madonna dei Palafrenieri", (1605/6) von Caravaggio: Modell stand ihm die Prostituierte Maddalena Antonietti, seine Liebschaft
"Madonna dei Palafrenieri", (1605/6) von Caravaggio: Modell stand ihm die Prostituierte Maddalena Antonietti, seine Liebschaft

Der gemalte auferweckte Lazarus erweckt übrigens den Anschein, als ob er mehr dem Reich der Toten angehört als dem der Lebendigen. Die Auftraggeber des Bilds waren auch nicht «amused»: Caravaggio traktierte sein Bild aus Frust zunächst mit einem Messer, dann überarbeitete und retouchierte er es.

Ertrunkene Dirne

Auch für die Figur der Maria im Gemälde «Marientod» (1605/6) wählte er als Modell für die verstorbene Gottesmutter und heilige Jungfrau eine reale, im Tiber ertrunkene, aufgedunsene Wasserleiche einer Dirne.

Den römischen Karmelitern, die das Bild in Auftrag gegeben hatten, ging der unorthodoxe Umgang mit dem Thema deutlich zu weit. Sie lehnten das Bild ab. Der Fürst von Mantua erwarb das Bild schliesslich für seine Sammlung. Von dort gelangte es in den Besitz Karls I. von England und später in den Pariser Louvre.

Römische Kurtisanen

Apropos Dirnen und Mariendarstellungen. Maddalena Antonietti war eine römische Kurtisane, in die sich Caravaggio verliebt hatte. Deshalb stand sie ihm mehrmals Modell für Marien- und Heiligendarstellungen. Zum Beispiel in der «Rosenkranzmadonna» (1606/7). Dieses als Altarbild geplante Gemälde Caravaggios wurde allerdings nie in der Kapelle des Hauses Carafa, seinem Auftraggeber, aufgehängt. Warum dies nicht geschah, ist nicht bekannt.

"Martha und Maria Magdalena": Zeitgenössische Kopie nach einem verlorenen Original Caravaggios um 1595/96). Vermutlich stand ihm Fillide Melandroni oder Anna Bianchini Modell.
"Martha und Maria Magdalena": Zeitgenössische Kopie nach einem verlorenen Original Caravaggios um 1595/96). Vermutlich stand ihm Fillide Melandroni oder Anna Bianchini Modell.

Umso verständlicher ist es, dass das Gemälde «Madonna dei Palafrenieri» (1605/6), welches die Bruderschaft der päpstlichen Stallmeister bestellt hatten, nie in St. Peter zu hängen kam.  

Maria mit Dekolleté, Jesuskind mit Penis

Das Bild zeigt die Gottesmutter mit dem Jesuskind, in Begleitung der Heiligen Anna, der Mutter Mariens und Patronatsheiligen der Bruderschaft. Wieder stand die Prostituierte «Lena», eine Liebschaft des Künstlers, Modell. Zwar beugt sich die junge Frau auf dem Gemälde mütterlich beschützend über das Jesuskind, das sie mit beiden Händen festhält und mit dem sie eine Schlange zertritt.

Allerdings gibt sie gleichzeitig freizügige Einblicke in ihr Dekolleté frei – ein sexy Teaser, den man bei einer Madonna nicht vermuten würde. Zudem ist das Jesuskind splitternackt, sprich: mit entblösstem Penis. Etwas, was der züchtige katholische Zeitgeist der Gegenreformation nicht goutierte. Das Bild wurde ebenfalls als unschicklich zurückgewiesen und landete schliesslich in der Sammlung von Kardinal Scipione Borghese.

Die andere Lebedame

Auch eine andere Lebedame stand häufig für Caravaggio Modell: die Kurtisane Fillide Melandroni. Diese zeigt sich züchtig auf dem Bildnis der «Heiligen Katharina von Alexandrien» (1598/99). Er porträtierte sie auch für die «Bekehrung der Heiligen Magdalena».

"Judith and Holofernes"von Caravaggio: Modell stand ihm Fillide Melandroni.
"Judith and Holofernes"von Caravaggio: Modell stand ihm Fillide Melandroni.

Als völlig entfesselte jugendliche Henkerin agiert Melandroni 1599 auf dem Gemälde «Judith und Holofernes». Mit einer Mischung aus Kaltblütigkeit und Abscheu blickt die Israelitin auf ihr Opfer, den schmerzverzerrten Holofernes, jenem assyrischen Feldherrn – den sie zuerst verführte und ihm dann mit dem Schwert den Kopf abschlägt. Neben der jugendlichen Furie steht eine greise Magd, die die Szene verfolgt. Alle Blicke und Gesten wirken hochgradig dramatisch. Echtes Horrorkino im barocken Stil.  

Laszive Maria Magdalena

Völlig lasziv, mit offenem Mund gegen den Himmel blickend, malte Caravaggio in den letzten Lebensjahren «Die heilige Maria Magdalena in Ekstase» (1606) – wobei deren weisses Gewand jeden Augenblick vollends vom weitgehend nackten Oberkörper zu rutschen scheint. Eine religiös inspirierte Szene wird quasi zur erotischen Pose.

Wer hier Modell stand, ist nicht bekannt, die biblische Magdalena ähnelt auf jeden Fall sehr besagter Maddalena Antonietti. Für seine «Büssende Maria Magdalena» (1595) porträtierte er die ebenfalls bekannte Kurtisane Anna Bianchini – versunken in völliger Melancholie.

Übrigens: Die biblische Maria Magdalena galt zu Zeiten von Caravaggio als Heilige der Prostitution – womit sich der Kreis inhaltlich zwischen Modell und Figur schliesst.

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Caravaggio, eigentl. Michelangelo Merisi; .1571-1610: «Die heilige Maria Magdalena in Extase», (1606), Rom, Privatsammlung. (KEYSTONE/akg-images/akg-images / Cameraphoto)
4. Mai 2024 | 06:00
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