Helena Jeppesen-Spuhler und Bischof
Felix Gmür in Rom.
Schweiz

Felix Gmür: «Ich denke, das Abschlussdokument wird den Frauendiakonat fordern»

Für Bischof Felix Gmür und Helena Jeppesen-Spuhler ist die Weltsynode ein Erfolg. Trotz Spannungen sei die Stimmung gut. «Der Stein rollt.» Dass es keine thematischen Tabus gebe, sei «kirchenpolitisch eine kleine Revolution» und ein Zeichen des «Kulturwandels», sagen beide im Gespräch mit kath.ch. Einen Termin beim Papst, um über das geplante nationale kirchliche Strafgericht zu sprechen, gibt es demnach bisher nicht.

Annalena Müller

Wie geht es Ihnen nach fast vier Wochen Weltsynode?

Felix Gmür*: Gut, ich habe noch viel Energie.

Helena Jeppesen-Spuhler**: Also ich bin schon ein bisschen müde. Vor allem, weil wir noch ein paar volle Tage vor uns haben.

Helena Jeppesen-Spuhler im Gespräch mit einer Synodalin aus Russland.
Helena Jeppesen-Spuhler im Gespräch mit einer Synodalin aus Russland.

Wie ist die Stimmung an der Synode?

Gmür: Sehr gut, weil die Synode so divers ist. Die Leute kommen von überall her. Manchmal lacht jemand über den Kaffee, der hier anders ist als zuhause, oder über die komischen Süssigkeiten. Alles in allem ist die Stimmung locker.

Jeppesen-Spuhler: Ja, das ist sie. Obwohl es natürlich auch angespannte Phasen gibt. Denn bei gewissen Themen sind die Positionen doch sehr unterschiedlich. Aber die Stimmung ist immer auch multikulti. Und das ist schön. Es führt zu lustigen Momenten. Zum Beispiel, wenn man denkt, dass man über das Gleiche spricht und dann feststellt, dass das Gegenüber darunter etwas ganz anderes versteht.

«Man erlebt die Diversität der Weltkirche hier sehr eindrücklich.»

Felix Gmür

Können Sie ein Beispiel nennen?

Jeppesen-Spuhler: Zum Beispiel der Diakonat. In Südafrika ist das etwas anderes als in der Schweiz. Einige waren richtig überrascht, dass Diakone bei uns Seelsorger sind. In solchen Gesprächen realisiert man: Drei Wochen Weltsynode sind eigentlich wenig. Man bräuchte noch viel mehr Zeit, um sich miteinander auszutauschen.

Gmür: Ja, man erlebt die Diversität der Weltkirche hier sehr eindrücklich. In der Schweiz sind ständige Diakone halbe Pfarrer und in manchen Ländern, zum Beispiel im südlichen Afrika, gibt es gar keine Diakone.

Gruppenfoto mit Papst: Die letzte Synoden-Woche ist eröffnet.
Gruppenfoto mit Papst: Die letzte Synoden-Woche ist eröffnet.

Bleiben wir bei dem Thema: Sehen Sie Fortschritte in der Diakoninnen-Frage?

Jeppesen-Spuhler: Ja, ich glaube, hier ist Bewegung möglich.

Gmür: Die Frage der Diakoninnen scheint für einige unierten Kirchen des Nahen und Mittleren Ostens kein Problem zu sein. Für mich ist wichtig, dass das Amt für Frauen geöffnet wird und nicht ein Sonderdiakonat für Frauen geschaffen wird. Wir brauchen keine Parallelstrukturen.

Wird die Forderung nach dem Frauendiakonat ins Abschlussdokument aufgenommen?

Gmür:  Ich hoffe es. Es wurde ja nicht nur von Schweizerinnen und Schweizern diskutiert. Viele haben das eingegeben. Daher glaube ich schon, dass das reinkommt.

«Eine Trennlinie zwischen Laien und Bischöfen gibt es nicht.»

Helena Jeppesen-Spuhler

Eine Besonderheit der Weltsynode ist, dass nicht nur Bischöfe, sondern auch nicht-geweihte Männer und Frauen teilnehmen. Beeinflusst diese Diversität die Kultur der Synode?

Jeppesen-Spuhler: Aus meiner Sicht, ja. Aber du kannst das besser beurteilen, Felix…

Gmür: Ich bin überzeugt, dass es etwas ändert. Die Diversität ist ein Faktor. Ein weiterer ist die Diskussions-Methode. Ich glaube sogar, dass die Methode der Hauptfaktor ist.

Helena Jeppesen-Spuhler und 
Felix Gmür sind ein eingespieltes Team.
Helena Jeppesen-Spuhler und Felix Gmür sind ein eingespieltes Team.

Inwiefern?

Gmür: Jede und jeder kann etwas sagen. Man redet nacheinander. Dann gibt es einen Moment der Stille, anstatt direkt zu sagen: «Ja, du hast recht.» oder: «Nein, das stimmt so nicht.» Stattdessen muss man das Gesagte setzen lassen. Das bringt eine Ruhe und auch Respekt für die andere Person.

«Früher war das eher wie ein Theaterraum. Einer auf der Bühne hat geredet.»

Wie lief es bei früheren Bischofssynoden?

Gmür: Das war eher wie in einem Theaterraum. Einer auf der Bühne hat geredet und war nach vier Minuten fertig. Dann kam der nächste und sprach seine vier Minuten. In der Aula konnte man zuhören oder auch nicht. Im Plenum gab es keine Diskussion. So wie es hier läuft, finde ich es viel besser.

Früher lief im Vatikan vieles anders, aber nicht besser.
Früher lief im Vatikan vieles anders, aber nicht besser.

Wie wichtig ist die Trennlinie – Laien und Laiinnen auf der einen, Bischöfe auf der anderen Seite?

Jeppesen-Spuhler: Diese Trennlinie gibt es so nicht. Die unterschiedlichen Positionen verlaufen nicht anhand «Laien und Bischöfe». Es sind mehr kulturelle Aspekte, die hier eine Rolle spielen.

Gmür: Ich empfinde, dass eine Person redet und nicht ein Bischof oder eine Frau. Man hört den Personen zu, ungeachtet ob geweiht oder nicht…

«Wir haben alle die gleiche Redezeit.»

Helena Jeppesen-Spuhler

Jeppesen-Spuhler: … es geht um die Inhalte. Wir haben alle die gleiche Redezeit. Auch wenn das für einige Bischöfe ungewohnt ist. Sie reden anstelle von vier auch mal sieben Minuten…

Gmür: (lacht) … und werden dann langsam ausgeblendet …

Wie bei den Oscars…

Jeppesen-Spuhler: (lacht) Genau!

Das Abschlusspapier wird vor allem eine Zusammenfassung der Diskussionen und Standpunkte sein. Läuft die Synode auch deshalb so harmonisch ab, weil man dieses Jahr nichts entscheiden muss?

Jeppesen-Spuhler: Ja, das spielt sicher eine Rolle. Ich erwarte trotzdem noch schwierige Momente in den nächsten Tagen. Zum Beispiel, wenn es bei einem der zentralen Themen – wie die Rolle der Frauen in der Kirche – zu einem komischen Votum käme. Das ist schon ein Schlüsselthema hier. Und ich denke, das Abschlussdokument wird die lokalen Kirchen in die Pflicht nehmen. Die Themen der Weltsynode werden zurück in die Ortskirchen geschickt, um da diskutiert zu werden.

«Diese Vielfalt zulassen und Einheit nicht als Einerleiheit denken. Darauf wird es ankommen.»

Felix Gmür

Gmür: Wir werden in Zukunft lernen müssen, regionaler zu denken. Das ist ja ein typisch katholisches Thema: Einheit in Vielfalt. Diese Vielfalt zulassen und Einheit nicht als Einerleiheit denken. Darauf wird es ankommen.

Die Offenheit für Vielfalt ist etwas, das Papst Franziskus von seinen beiden Vorgängern unterscheidet. Ist dieser Meinungspluralismus ein kirchenpolitisch radikaler Schritt?

Gmür: Ja, das ist durchaus neu im Vergleich zu früher. Niemand muss Angst haben, etwas zu sagen. Es gilt hier wirklich das freie Wort. Die einzige Zensur ist Selbstzensur. Man hört einander zu und niemand wird komisch angeschaut.

Felix Gmür und Helena Jeppesen-Spuhler mit Papst Franziskus in der Synoden-Aula.
Felix Gmür und Helena Jeppesen-Spuhler mit Papst Franziskus in der Synoden-Aula.

Jeppesen-Spuhler: Für viele Jüngere ist es vielleicht schwer vorstellbar, aber das ist kirchenpolitisch schon eine kleine Revolution. Es gibt keine verbotenen Themen. Das war nicht immer so. Unter Johannes-Paul II. (1978-2005) war die Zulassung der Frauen zu den Weihämtern ein Thema, das nicht diskutiert werden durfte. Die Weltsynode ist ein Kulturwandel.

Gmür: Das stimmt, sie ist ein Kulturwandel.

Gibt es weitere Tabu-Themen, die hier diskutiert werden?

Gmür: Ein Thema, über das in der Schweiz nicht so gerne geredet wird, das aber hier auf der Synode wichtig ist, ist die Weitergabe des Glaubens. Wie geht es weiter mit dem Glauben? Für die nächste und übernächste Generation. Und wer macht das?

Also Mission im weitesten Sinne?

Gmür: Genau. Und Mission heisst hier: Das Reich Gottes verkünden, so dass es bei den Leuten ankommt. Also nicht: Irgendjemanden zu etwas zwingen oder etwas aufoktroyieren. Sondern so leben, dass man merkt: Das sind Christinnen und Christen. Ein grosses Feld, in dem wir als Kirche aktiv sein können, ist die Hilfe für die Armen. In unserer Welt sind das zum Beispiel die Menschen, die vor Krieg oder Klimakatastrophen flüchten. Kirche kann und muss helfen, eine Sensibilität für diese Welt, die ist durch den Klimawandel am Kaputtgehen ist, zu schaffen. «Laudato Deum» wurde hier auf der Synode verteilt und von vielen Synodalen ausdrücklich begrüsst.

«Die befreiende Botschaft des Jesus von Nazareth von Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung wird dringend gebraucht!»

Helena Jeppesen-Spuhler

Jeppesen-Spuhler: Ja, wir sprechen hier viel über den Auftrag der Kirche. Damit dieser glaubwürdig ausgeübt werden kann, haben wir als Kirche zunächst ein paar Hausaufgaben zu lösen. Gleichzeitig sehen wir natürlich, wie es in der Welt um uns hergeht. Die befreiende Botschaft des Jesus von Nazareth von Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung wird dringend gebraucht! Das müssen wir glaubwürdig rüberbringen können. Und dafür müssen wir die anstehenden. Reformen angehen, damit wir diese Botschaft glaubwürdig rüberbringen können.

Die Reformen, die Sie ansprechen, werden hier allerdings nicht beschlossen. Und das ist zunehmend schwer zu vermitteln. Die Menschen in Europa und der Schweiz erwarten, dass konkrete Reformentscheide getroffen werden. Stattdessen wird geredet, dann nächstes Jahr nochmals geredet und dann gehofft, dass der Papst vielleicht die ein oder andere Entscheidung trifft – Kommt das nicht alles zu spät? Zumindest für Europa?

Jeppesen-Spuhler: Ja, es ist spät. Aber der Stein rollt und wir haben hier durchaus die Möglichkeit, die Kirche zu reformieren und wieder mehr Glaubwürdigkeit zu bekommen.

Timothy Radcliffe mahnt zur Geduld mit der Kirche.
Timothy Radcliffe mahnt zur Geduld mit der Kirche.

Gmür: Timothy Radcliffe hat gesagt «We need patience». Geduld haben wir oft nicht, weil wir es nicht mehr gewohnt sind. Wir sind eine «Instant-Gesellschaft». Alles muss «jetzt» und «in diesem Moment» passieren. Aber so funktioniert es nicht. Der Papst ist gut zehn Jahre in Amt. Und mit Franziskus ist etwas ins Rollen gekommen. Aber es braucht Zeit. Einen «change of mind», ein «Kulturwandel» lässt sich nicht per Dekret bestimmen. Die Leute müssen sich ändern. Dafür müssen sie miteinander sprechen, sich zuhören, voneinander lernen. Veränderung dauert. Ob wir zu spät sind, weiss ich nicht. Das müssen dann Historiker und Historikerinnen in 200 Jahren beurteilen.

Zum Abschluss noch eine Schweizer Frage, Bischof Gmür. Gibt es Neuigkeiten zum nationalen Strafgericht? Hat der Papst sich schon dazu geäussert?

Gmür: Nein, der Papst hat bisher nichts gesagt. Wir müssen in dieser Frage aber nicht nur den Papst treffen, sondern auch die Mitarbeiter.

«Die Frage eines nationalen Strafgerichts ist ein Gesetzgebungsprozess.»

Felix Gmür

Die Frage eines nationalen Strafgerichts ist ein Gesetzgebungsprozess. Wir haben alle Personen, die mit diesem Prozess zu tun haben, informiert und gesagt, dass das Gericht nächstes Jahr in Betrieb sein soll. Jetzt gerade hat der Papst anderes zu tun. Wann wir den Termin bekommen, weiss ich nicht. Aber wir sind dran, und alle relevanten Personen wissen es.

*Felix Gmür (57) ist Bischof von Basel und Vorsitzender der Schweizer Bischofskonferenz. Er vertritt die Schweiz an der Weltsynode in Rom.

**Helena Jeppesen-Spuhler (57) ist eine von 10 europäischen Nicht-Bischöfen, die an der Synode stimmberechtig sind. Sie arbeitet beim Hilfswerk Fastenaktion.


Helena Jeppesen-Spuhler und Bischof Felix Gmür in Rom. | © Annalena Müller
26. Oktober 2023 | 17:00
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