Eine Frau beim Rave an der Street Parade 2022 in Zürich
Schweiz

Veronika Jehle: «Bei Techno kann ich in den Moment kommen»

Die Zürcher Street Parade am Samstag wird mit einem Raver-Gottesdienst in der Wasserkirche eingeläutet – zum zweiten Mal seit 2019. Mitgestalten wird ihn die katholische Theologin Veronika Jehle. Sie freut sich auf den interreligiös-geschwisterlichen Anlass. Und macht beim Raven durchaus spirituelle Erfahrungen.

Regula Pfeifer

Sie gestalten am Samstag den Raver-Gottesdienst in der Wasserkirche mit – im Vorfeld der Street Parade.

Veronika Jehle: Seit kurzem ist klar, dass wir zu dritt sind – Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist, ich und ausserdem der Imam von Volketswil, Kaser Alasaad. Der eigentliche Initiator und Organisator des Raver-Gottesdienstes ist allerdings Christoph Schneider vom Freundeskreis Grossmünster.

«Diese Musik eröffnet innere Räume.»

Was reizt Sie an dieser Aufgabe?

Veronika Jehle
Veronika Jehle

Jehle: Mich reizt, einen Raum zu eröffnen, mitten im städtischen Geschehen, mitten im Leben und Feiern von Menschen der Stadt Zürich.

Sind Sie Fan von Techno-Musik?

Jehle: Das würde ich so nicht sagen. Doch es ist eine Musikrichtung, die mich je länger je mehr anspricht. Ich war bereits am ersten Raver-Gottesdienst 2019 dabei und an einem Pride-Gottesdienst. Dabei war ich jeweils überrascht, wie diese Musik innere Räume öffnet. Ich finde, sie ermöglicht und unterstützt durchaus spirituelle Prozesse.

Inwiefern wirkt die Techno-Musik spirituell?

Jehle: Mir hilft sie, zu mir selbst zu kommen, in den Körper zu kommen, in die Atmung zu gehen. Wenn ich mich zu dieser Musik bewege, entferne ich mich vom Kopf und dem reinen Denken. Mir ermöglicht es, in den Moment zu kommen. Das ist eine urspirituelle Erfahrung.

Werden Sie tanzen am Raver-Gottesdienst?

Jehle: Das kann ich jetzt noch nicht sagen, womöglich schon. Ich wüsste nicht, was dagegensprechen sollte.

«Ich kam über das interreligiöse Netzwerk in der Stadt Zürich dazu.»

Eine kirchliche Vorfeier zur Street Parade gab es erstmals 2019. Wie kam es dazu?

Jehle: Damals hat Christoph Schneider vom Freundeskreis Grossmünster die Initiative ergriffen. Ich kam über das interreligiöse Netzwerk in der Stadt Zürich dazu. Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist kenne ich vom Zürcher Forum der Religionen. Das erste Mal war auch Meinrad Furrer dabei, als er noch in Zürich lebte und arbeitete.

Pfarrer Christoph Sigrist
Pfarrer Christoph Sigrist

2019 wurde diese Feier im Vorfeld als «besinnlicher, ruhiger, spiritueller Input» angesagt. Nun soll es im Raver-Gottesdienst «pulsierenden Technosound» geben. Weshalb dieser Wechsel?

Jehle: Ich kann den Wechsel so nicht bestätigen. Von der Grundidee soll der Raver-Gottesdienst ähnlich werden wie 2019. Letztes Mal gab es bereits Rave-Musik im Gottesdienst.

«Das DJ-Duo wird für den Anlass extra eigene Musik entwickeln.»

Kennen Sie DJ-Duo «Forgotten Notes», das im Raver-Gottesdienst auftritt?

Jehle: Ich kenne die DJs noch nicht persönlich, aber wir sind im Austausch bezüglich der Gestaltung des Gottesdienstes. Ich habe erfahren, dass sie für den Anlass extra eigene Musik entwickeln, auch abgestimmt mit unseren inhaltlichen Schwerpunkten. Was sie genau bieten werden, kann ich noch nicht verraten.

Entspricht der nicht-musikalische Teil des Anlasses einem klassischen Gottesdienst – mit Predigt und Gebet?

Jehle: Es wird sicher kein klassisch katholischer Gottesdienst werden. Wir würden den Anlass katholischerseits am ehesten als «Andacht» bezeichnen. Es geht um Stille und um Worte. Wir werden einen Psalm in Auszügen lesen. Wir werden Gebete und Fürbitten sprechen. Wir werden Stille halten. Beim Raver-Gottesdienst steht selbstredend die Musik im Mittelpunkt. Wir versuchen uns davon bewegen zu lassen und Worte dafür zu finden. Und dies interreligiös.

Imam Kaser Alasaad
Imam Kaser Alasaad

«Christoph Sigrist, Kaser Alasaad und ich sind geschwisterlich verbunden.»

Was bedeutet Ihnen der interreligiöse Ansatz?

Jehle: Es bedeutet mir sehr viel, dass wir ökumenisch, interreligiös da stehen – mit Christoph Sigrist und Kaser Alasaad. Wir drei sind Teil des Zürcher Forums der Religionen und sind geschwisterlich, um nicht zu sagen, freundschaftlich verbunden. Der Raver-Gottesdienst zeigt gut, wie wir in dieser Stadt als Religionen unterwegs sind. Nämlich miteinander – und bei den Leuten.

Thema der Street-Parade ist «think», also «denke». Müsste es für die Kirchen nicht «glaube» heissen?

Jehle: Glauben, denke, hoffen, vertrauen: Das sind Grundzüge des menschlichen Daseins und insofern auch der Kirche. Denken und glauben bedingen sich doch gegenseitig.

Der Raver-Gottesdienst zum Auftakt der Street Parade findet am Samstag, 12. August, um 11 Uhr in der Wasserkirche Zürich statt.

Engagierte Theologin

Die römisch-katholische Theologin Veronika Jehle (38) ist Co-Redaktionsleiterin beim forum, dem Pfarrblatt der katholischen Kirche im Kanton Zürich. Sie gehört dem Zürcher Forum der Religionen an und ist Teil der Redaktion der FAMA, der feministisch-theologischen Zeitschrift. Aufgewachsen in Wien, studierte sie von 2003 bis 2008 Theologie in Wien und Rom.

Von 2017 bis 2022 arbeitete sie als Spitalseelsorgerin in Winterthur. Sie gab ihre Missio an Bischof Joseph Maria Bonnemain zurück, weil sie sich nicht länger mit diskriminierenden Strukturen und dem Festhalten daran identifizieren konnte. Veronika Jehle war Initiantin mehrerer Aktionen für Gleichberechtigung in der Kirche und erhielt dafür 2021 die Herbert-Haag-Wandermedaille überreicht. (rp)


Eine Frau beim Rave an der Street Parade 2022 in Zürich | © Keystone/AFR/Fabrice Coffrini
9. August 2023 | 16:50
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