Valentin Abgottspon, Walliser Freidenker-Vertreter
Schweiz

Valentin Abgottspon: «Akzeptanz gegenüber Nichtgläubigen ist gestiegen»

Ende Januar gab eine Studie des Bundesamts für Statistik (BfS) bekannt, dass es in der Schweiz nun mehr Religionslose als Katholikinnen und Katholiken gibt. «Die katholische Kirche menschelt an der Basis, krankt aber an der Wurzel», erklärt der Walliser Freidenker Valentin Abgottspon.

Sarah Stutte

Die Religionslosen bilden laut der BfS-Studie neu die grösste Gruppierung im Land. Was hat zu dieser Entwicklung geführt?

Valentin Abgottspon*: Es ist schon lange so, dass die Menschen ohne wirkliche Religionszugehörigkeit die Mehrheit im Land bilden. Die Umfragen zu den Mitgliederzahlen religiöser Gemeinschaften hinken hier meist hinterher. Viele sind noch Mitglied einer Kirche, obwohl sie ihren Glauben längst verloren haben.

Kirche Mariä Geburt in Reckingen, Gemeinde Goms.
Kirche Mariä Geburt in Reckingen, Gemeinde Goms.

Heute glaubt die Altersgruppe der unter 40-Jährigen in der Schweiz mehr an ein Diesseits als ans Jenseits. Immer mehr treten auch aus der Kirche aus, weil sie ein Misstrauen gegenüber diesen Institutionen verspüren, was diese repräsentieren und «auf dem Kerbholz» haben.

Die Ergebnisse dieser Studie haben Sie also nicht wirklich überrascht?

Abgottspon: Nein, diese Entwicklung war absehbar. Es ist sehr wahrscheinlich, dass bis 2030 die Religionslosen die absolute Mehrheit der Schweizer Wohnbevölkerung bilden werden.

Was sind die Gründe, warum vor allem junge Menschen nicht mehr gläubig sind?

Abgottspon: Weltweit ist es so, dass die Bedeutung von organisierter Religion zurückgeht, wenn die Bildung besser wird, und es ein soziales Netz sowie Sicherheit gibt.

«Religion spielt für junge Menschen eine viel geringere Rolle.»

Damit will ich nicht sagen, dass es nicht auch hochintelligente Personen gibt, die sehr fundamentalistisch religiös sind. Doch in Zeiten der Fortschritte in Wissenschaft und Technik spielt die Religion für junge Menschen eine viel geringere Rolle.

Hat somit bei den Jungen auch der Pfarrer als Vertrauensperson ausgedient?

Abgottspon: Ja. Es gibt sicher einzelne Menschen, für die der Pfarrer immer noch eine Anlaufstelle ist und dieser in diversen Lebensbereichen auch sinnvoll Beistand leisten kann.

Mit Regenbogen-Fahne: die Elisabethenkirche in Basel.
Mit Regenbogen-Fahne: die Elisabethenkirche in Basel.

In Zweifel steht aber die Qualifikation von römisch-katholischen Klerikern als Ansprechpersonen, wenn es um Sexualität, Familienplanung oder Homosexualität geht. Junge Menschen finden heute zu diesen Themen anderweitig Unterstützung, als beim katholischen Priester, der de facto zölibatär leben muss.

Warum sind Sie selbst aus der katholischen Kirche ausgetreten?

Abgottspon: Das war nie wirklich «meine Kirche». Innerlich habe ich mich schon recht früh aus der Religiosität und dem Katholizismus verabschiedet. Die Kruzifix-Geschichte kam dann erst einiges später.  Vor allem aus Rücksicht auf meine Familie – weil ich mir Sorgen machte, wie eventuell meine Grosseltern auf diesen Schritt reagieren würden – liess ich mir mit meinem formellen Austritt Zeit.

Kruzifix
Kruzifix

Der wichtigste Grund für mich war, dass ich keinen Gottesglauben habe. Ich kann nicht nachvollziehen, dass unsere Seele nach unserem physischen Tod weiterleben soll. Auch die vielseitige Geringschätzung in der katholischen Kirche – von Frauen, anderen sexuellen Orientierungen und Andersgläubigen – hat mich stets gestört.

«Ich wollte und will da nicht wirklich ‘dazugehören’.»

Dagegen wollte ich mich wehren. Doch ich habe den Weg der Veränderung nicht mit mir innerhalb der Katholischen Kirche gesehen, sondern indem ich besser und effektiver von aussen als Kritiker wirken kann. Ich wollte und will da nicht wirklich «dazugehören».

Wie war das anfangs für Sie als Freidenker im katholischen Oberwallis?

Abgottspon: Ich wohne jetzt mit meiner Familie in Lyss bei Bern. Ich habe mich aber nicht ins Exil jagen lassen. Nach der Kruzifix-Affäre fand ich ja wieder eine Anstellung als Lehrer im Kanton und auch jetzt habe und pflege ich noch viele Verbindungen ins Wallis. Dass ich damals öffentlich ein «Unglaubensbekenntnis» abgegeben habe, ist natürlich angeeckt.

Auszug aus Valentin Abgottspons Kirchenaustrittserklärung.
Auszug aus Valentin Abgottspons Kirchenaustrittserklärung.

Besonders als ich im Wallis 2010 die Sektion der Freidenker-Vereinigung mitgegründet habe. Darauf gab es sehr starke Reaktionen bis hin zu Morddrohungen, Todeswünschen, Aufforderungen zum Suizid und so weiter. Neben dem Hass, der über mich ergossen wurde, gab es aber auch viel Zuspruch. In den letzten 14 Jahren hat sich im Oberwallis aber einiges geändert. Über viele Dinge lässt es sich heute offener diskutieren.  

Inwiefern hat die Missbrauchsthematik bewirkt, dass die Freidenker-Vereinigung heute im Oberwallis akzeptiert ist?

Abgottspon: Das ganze Ausmass der Kindervergewaltigungen und deren jahrelange Vertuschung in der Katholischen Kirche hat sehr dazu beigetragen, dass viele jetzt offen Kritik an der Institution äussern. Auch die Akzeptanz gegenüber Nichtgläubigen ist dadurch gestiegen.

Pressekonferenz des Bistums Sitten zur Missbrauchsstudie: Pierre-Yves Maillard, Bischof Jean-Marie Lovey, Paul Martone.
Pressekonferenz des Bistums Sitten zur Missbrauchsstudie: Pierre-Yves Maillard, Bischof Jean-Marie Lovey, Paul Martone.

Auf der anderen Seite geht es in vielen Dingen noch nicht richtig vorwärts. Hier müsste man etwas am System ändern. Immerhin wird nun auch im Oberwallis über die Weiterführung des konfessionellen Religionsunterrichts an den Volksschulen diskutiert. So einen Vorschlag ernsthaft zu diskutieren, hätte vor 15 Jahren noch viel grössere Wellen geworfen. Damals waren wir quasi die einzigen, die so etwas im Oberwallis vorgeschlagen hatten.

Auch durch die Petition zur Walliser Millionenzahlung an die Schweizer Garde-Kaserne konnten die Freidenker in der Gesellschaft punkten.

Abgottspon: Die Vatikan-Kasernen Million hat der Staatsrat einfach aus dem Kulturfonds der Lotterie Romande genommen. Das war eine missbräuchliche Allokation des Geldes. Hier hat sich die Sektion stark engagiert und einen breiten gesellschaftlichen Konsens gefunden.

Der Walliser Ex-Gardist Tony Jossen.
Der Walliser Ex-Gardist Tony Jossen.

Wenn der Staatsrat zugelassen hätte, dass die Walliserinnen und Walliser über die Million abstimmen dürfen, wäre die Garde-Spende abgelehnt worden. Aber das Lobbying ist halt noch stark im Oberwallis.

Was macht die katholische Kirche heute schon gut und wo hat sie noch Nachholbedarf?

Abgottspon: Die Katholische Kirche müsste viele Dinge von Grund auf ändern. Wie will die Kirche ihr Image verbessern, wenn an der Wurzel so viel nicht zeitgemäss ist? Ich glaube nicht an eine fundamentale Reformierbarkeit in einer nützlichen Frist.

«An der Basis passiert sehr viel Gutes.»

In gewissen Kantonen sind die Kirchen sehr humanistisch aufgestellt. Generell finde ich: Je tiefer in der Hierarchie, je näher an der Praxis, desto wertvoller und menschlicher ist der Beitrag der römisch-katholischen Kirche. An der Basis passiert sehr viel Gutes, das eigentlich im direkten Widerspruch zum Katechismus und den römisch-katholischen Weisungen steht. Das schätze ich und kann es anerkennen.

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*Valentin Abgottspon (44) ist Ritualbegleiter, Vize-Präsident der Freidenker-Vereinigung der Schweiz (FVS) und seit Mai 2010 Präsident der Oberwalliser Sektion. Abgottspon wuchs in einem katholischen Elternhaus auf. Im Herbst 2010 verlor er seine Stelle als Lehrer an der Orientierungsschule in Stalden. Er wurde von der Schulverwaltung fristlos entlassen, weil er sich weigerte, ein von ihm abgenommenes Kruzifix in seinem Klassenzimmer wieder aufzuhängen. Abgottspon reichte beim Walliser Kantonsgericht Beschwerde ein. Diese wurde gutgeheissen. (sas)


Valentin Abgottspon, Walliser Freidenker-Vertreter | © zVg
22. Februar 2024 | 15:00
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