Sendung "Club" Mordversuch an einem Juden: Weckruf für die Schweiz am 12.3.2024
Schweiz

SRF-Club zu Antisemitismus: «Niemand wird als Fanatiker geboren»

Nach der Messerattacke auf einen orthodoxen Juden in Zürich Anfang März diskutierte auch der SRF-Club am Dienstagabend über Prävention und Bekämpfung von Antisemitismus in der Schweiz. Im Raum standen neben der Forderung nach mehr schulischer Aufklärungsarbeit auch ein Verbot von Nazi-Symbolik sowie ein gezieltes Monitoring von Social-Media-Kanälen.

Magdalena Thiele

Nicht erst der Mordversuch vor anderthalb Wochen, sondern schon der 7. Oktober hätte die Tore für eine neue Qualität an Antisemitismus in der Schweiz geöffnet. So die von Ralph Lewin, Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, formulierte Eingangsthese. In der knapp 90-minütigen Diskussionsrunde widersprach keiner der anderen fünf Talkgäste – es herrschte Einigkeit im Club, das Wort Zäsur fiel noch viele Male.

Ralph Lewin, Präsident Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund
Ralph Lewin, Präsident Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund

Und so wurde auch nicht über die Existenz des jahrtausendealten Problems, sondern vielmehr über den Umgang damit gesprochen. Aber was ist zu tun gegen ein gesellschaftliches Problem, dass Generationen zuvor nicht zu lösen vermochten? Vorschläge gab es viele, ein Patentrezept konnte keiner der Expertinnen und Experten aus Politik und Wissenschaft präsentieren.

Extremismus braucht den richtigen Nährboden

Eine wichtige Erkenntnis bei der Konzeption von Präventivmassnahmen sei es, dass niemand als Antisemit oder als Fanatiker geboren wird, stellte der Psychiater Marc Graf fest. Graf ist Direktor der Klinik für Forensik am Uniklinikum Basel und beschäftigt sich intensiv mit der Motivation von Gewalttätern.

Marc Graf, forensischer Psychiater
Marc Graf, forensischer Psychiater

Seine Erfahrung zeigt: «Extremismus und Gewalt entstehen auf einem gewissen gesellschaftlichen Nährboden. Je höher das Gewaltpotenzial in einer Gesellschaft ohnehin ist, umso leichter haben es Radikale, Mitstreiter zu finden.» Fanatismus sei eine sehr geeignete Legitimationsgrundlage für Gewalt, erklärt Graf. Wenn dadurch jemand einmal kriminell geworden ist – und das nicht aufgrund einer ernsthaften psychischen Erkrankung, sei es sehr schwer, dagegen anzugehen.

Verbot von Symbolen steht im Raum

Um diesen Nährboden möglichst auszutrocknen, plädiere sie unter anderem für ein Verbot von Nazi-Symbolen, wie es auch im Nationalrat schon lange angedacht sei, sagte Ständerätin Marianne Binder (Die Mitte/AG). Ihre Grossmutter hatte im Zweiten Weltkrieg in ihrem Hotel jüdische Flüchtlinge aufgenommen. Auch deshalb läge ihr das Thema am Herzen, erklärte die Mitte-Politikerin.

Rechts: Marianne Binder, Ständerätin Die Mitte/AG
Rechts: Marianne Binder, Ständerätin Die Mitte/AG

Dagegen argumentierte ihr FDP-Kollege und Erster Vizepräsident des Ständerats Andrea Caroni. Die Symbolik zu verbieten, sei viel zu kurz gefasst. Es würde nicht gegen alle antisemitischen Symbole und Parolen helfen, beispielsweise die des Islamischen Staats, und das eigentliche Problem nicht lösen. Auch die Überwachung von Social-Media-Aktivitäten wurde in der Runde kritisch gesehen – allein schon wegen der unüberschaubaren Masse an Daten.

Mehr Aufklärungsarbeit ist von Nöten

Hilfreich dagegen wäre mehr aktive Aufklärungsarbeit und mehr öffentliche Diskussion zum Thema Antisemitismus, meint Erik Petry, Stellvertretender Leiter des Zentrums für Jüdische Studien an der Universität Basel. Auch er bekam bereits die aufgeheizte Stimmung zu spüren.

Andrea Caroni, Ständerat FDP/AR
Andrea Caroni, Ständerat FDP/AR

Vergangene Woche hatten Pro-Palästina-Aktivistinnen und Aktivisten am Rande seiner Vorlesung zur Geschichte des Staates Israel demonstriert. Sie sollen ein Ende des Genozids in Gaza gefordert haben. Infolgedessen fühlten sich einige von Petrys Studentinnen und Studenten an der Uni nicht mehr sicher, erzählt der Antisemitismus-Experte.

Nicht jede Kritik ist antisemitisch

Solche Parolen seien auch die Folge von zu wenig Wissen über die Geschichte des Judentums und die des Staates Israel, ist sich Petry sicher. Nur 0,2 Prozent der Schweizer Bevölkerung sei jüdischen Glaubens. Viele Schweizer hätten deshalb gar keine Vorstellung von jüdischem Leben.

Sendung "Club" Mordversuch an einem Juden: Weckruf für die Schweiz am 12.3.2024
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Das könne sich noch verstärken, wenn sich Jüdinnen und Juden hierzulande nicht mehr trauen, einen Davidstern als Kette oder eine Kippa zu tragen, bestätigt der Vertreter des Israelitischen Gemeindebunds. Wichtig war Ralph Lewin daneben noch festzustellen: «Man darf die Politik des Staates Israels kritisieren. Das ist noch kein Antisemitismus. Aber die Grenze ist beispielsweise überschritten, wenn dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen wird.»

Nationaler Aktionsplan gefordert

Seit des Terrorangriffs der radikalen Hamas auf Israel am 7. Oktober hatten antisemitische Vorfälle in der Schweiz signifikant zugenommen. Angesichts dieser Entwicklung forderten Politikerinnen und Politiker parteiübergreifend erneut die Erarbeitung eines Nationalen Aktionsplans gegen Antisemitismus durch den Nationalrat. Einzig die SVP sprach sich gegen eine solche Massnahme aus und forderte stattdessen die Begrenzung von Migration aus muslimischen Herkunftsländern.

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Sendung «Club» Mordversuch an einem Juden: Weckruf für die Schweiz am 12.3.2024 | © Screenshot SRF «Club»
13. März 2024 | 12:00
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