Sexueller Missbrauch in Luzern: Mindestens drei Nonnen waren Täterinnen
Nonnen als Missbrauchstäterinnen gelten als blinder Fleck in der Kirche und in der Forschung, sagt die Münchner Soziologin Helga Dill. Die Luzerner Theologin Stephanie Klein kennt mindestens drei Fälle von sexuellem Missbrauch durch Nonnen im Kanton Luzern.
Annalena Müller
Die Studie «Hinter Mauern» untersuchte die Ursachen von Gewalt in kirchlichen Erziehungsanstalten im Kanton Luzern. Der betrachtete Zeitraum erstreckte sich von 1930–1970. Die Studie war 2012/13 eine der ersten, die sich dem Thema in der Schweiz widmete. Ziel war es, Strukturen zu erkennen und zu verstehen, die Missbrauch ermöglichten.
30 Interviews mit Betroffenen
Stephanie Klein, emeritierte Professorin für Pastoraltheologie an der Universität Luzern, war an der Studie beteiligt. Ihr Schwerpunkt lag auf den Erfahrungen der Heimkinder und den Strukturen der Gewalt. kath.ch hat bei der Theologin nachgefragt, ob sie damals auch auf Täterinnen gestossen ist.
Um die Frage zu beantworten, hat Klein nochmals in die damals geführten Interviews geschaut. Insgesamt hatte die Forschungsgruppe mit 30 Betroffenen gesprochen. Um eine Retraumatisierung zu verhindern, verzichteten sie dabei auf direkte Fragen und überliessen die Erzählung den Betroffenen.
Mindestens drei Nonnen waren Täterinnen
In drei Interviews kam laut Klein auch Missbrauch durch Frauen zur Sprache. Da auf explizites Nachfragen zum Geschlecht der Missbrauchenden verzichtet wurde, könnte die Zahl allerdings auch höher liegen. Es zeigte sich deutlich, dass auch mit Frauen als Täterinnen gerechnet werden muss.
Der zeitliche Umfang des Missbrauchs durch die Frauen lasse sich anhand der Erzählungen nicht eindeutig bestimmen, sagt Stephanie Klein. In den meisten Fällen seien die Kinder über einen längeren Zeitraum missbraucht worden. In einem Fall habe der Missbrauch durch eine Ordensfrau begonnen, als das Opfer neun Jahre war – und einige Jahre angedauert.
Die Nonne habe Geschwister missbraucht, sagt Stephanie Klein. Daher sei anzunehmen, dass es noch weitere Opfer gebe. Ob die Täterinnen noch lebten, weiss Klein nicht. Es sei aber möglich. Ob die Täterinnen intern zur Rechenschaft gezogen wurden, sei unklar. Eine der Frauen wurde später versetzt. In einem Fall gehörte die Täterin nicht zum Personal des Heims, sondern wohnte, wohl als Gast, auf derselben Etage.
Auch bei Täterinnen geht es um Macht
Nach den Motiven der Täterinnen gefragt, sagt Klein, dass sich dies anhand der Erzählungen nicht beantworten liesse. Sie selbst glaube nicht, dass sexuelle Übergriffe einem fehlgeleiteten Sexualbedürfnis entsprängen. Das seien Ausreden der Täterinnen und Täter. Vielmehr gehe es beim Missbrauch «primär um die Machtausübung über andere, bei der die sexualisierte Gewalt als Mittel der Machtsteigerung dient».
Nicht blind gegenüber Täterinnen sein
Ob sich die Ausübung sexualisierter Macht bei Männern und Frauen unterscheide, sei eine noch offene Frage. Wie für Deutschland seien auch für die Schweiz weitere Studien nötig. Die Fälle aus Luzern und Essen zeigen jedoch, dass die kirchliche Missbrauchsaufklärung nicht auf dem weiblichen Auge blind sein darf.
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