Scholastika Häring, Benediktinerin.
International

Schwester Scholastika: «Fernziel ist eine Kirche, in der Männer und Frauen auf Augenhöhe agieren»

Das niedersächsische Kloster Burg Dinklage hat ein «Institut für Ordensrecht» gegründet. Es soll die strukturelle Ungleichbehandlung von Ordensmännern und Ordensfrauen ins Bewusstsein heben, sagt Schwester Scholastika Häring (55). Dabei soll es aber nicht bleiben. «Wir möchten als Ordensfrauen und Kirchenrechtlerinnen unserer Zeit das Ordensrecht mitgestalten.»

Barbara Ludwig

Sie wollen mit dem neuen Institut das kirchliche Ordensrecht neu gestalten. Was muss sich eine Laiin oder ein Laie unter dem Ordensrecht vorstellen?

Schwester Scholastika Häring*: Ordensrecht ist das Recht, das das Leben der Ordensgemeinschaften innerhalb der katholischen Kirche regelt und ordnet. Dabei ist zu unterscheiden zwischen den Normen, die durch das allgemeine Kirchenrecht vorgegeben sind, und dem Eigenrecht. Das ist das Recht, welches in und für die jeweiligen Gemeinschaften gilt.

Wieso ist die Neugestaltung des Ordensrechts notwendig?

Häring: Es gibt im Ordensrecht trotz der prinzipiellen Gleichheit aller Gläubigen, die in Canon 208 und 606 des Kirchenrechtes garantiert ist, dennoch eine Reihe von Regelungen, die für Männer und Frauen unterschiedlich sind. Äbte haben sehr viel umfangreichere Kompetenzen als Äbtissinnen, nicht nur aufgrund der Priesterweihe.

«Die im Kirchenrecht vorgegebenen Mindest-Ausbildungszeiten für Nonnen sind mehr als doppelt so lang wie die von Mönchen.»

Die im Kirchenrecht vorgegebenen Mindest-Ausbildungszeiten für Nonnen sind mehr als doppelt so lang wie die von Mönchen. Und in der pastoralen Arbeit sind Schwesterngemeinschaften in einer völlig anderen Situation als männliche Ordensgemeinschaften oder Priester eines Bistums. Durch die ordensrechtliche Arbeit soll die strukturelle Ungleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der Orden ins Bewusstsein gehoben werden mit dem Ziel, zu mehr Gleichberechtigung in der Kirche beizutragen.

Geht es Ihnen vor allem um eine Emanzipation der Benediktinerinnen von den Benediktinern?

Häring: Ich würde weniger von Emanzipation sprechen, als vielmehr von einem Auf-Augenhöhe-Sein, das auch rechtlich seinen Ausdruck finden soll. Und wenn Benediktiner und Benediktinerinnen Seite an Seite stehen, kann es ein gutes Zeichen für das Miteinander von Frauen und Männern in der Kirche überhaupt sein.

Lydia Schulte-Sutrum (links) und Scholastika Häring (rechts) betreiben das neue Institut für Ordensrecht.
Lydia Schulte-Sutrum (links) und Scholastika Häring (rechts) betreiben das neue Institut für Ordensrecht.

In Ihrer Broschüre heisst es, Sie würden mit der Absicht, das kirchliche Ordensrecht neu zu gestalten, Neuland betreten. Inwiefern ist das der Fall?

Häring: Recht ist immer lebendig und hat im Laufe der Jahrhunderte immer wieder neue Gestalt gewonnen. Neuland ist für uns, dass wir sagen, wir möchten als Ordensfrauen und Kirchenrechtlerinnen dies in unserer Zeit und mit den Fragen und Herausforderungen unserer Zeit für die Ordensfrauen unserer Zeit begleiten und so mitgestalten.

Wer ist der Gesetzgeber des kirchlichen Ordensrechtes?

Häring: Zum einen ist für das universale Recht der Kirche der Papst oberster Gesetzgeber. Daneben gibt es das bereits erwähnte Eigenrecht der Ordensgemeinschaften. Hier haben die Kapitel der Ordensgemeinschaften die Gesetzgebungsgewalt. Und hier gibt es wiederum Regelungen, die der Approbation durch den obersten Gesetzgeber bedürfen. Das gilt vor allem für die Konstitutionen, die sich jede Gemeinschaft selber geben kann, aber die der Approbation durch Rom bedürfen. Andere Teile des Eigenrechts wie zum Beispiel die Ausbildungsordnung bedürfen, solange sie sich im Rahmen dessen bewegen, was in den Konstitutionen festgelegt worden ist, dieser Approbation nicht.

Ordensfrauen unterwegs.
Ordensfrauen unterwegs.

Wie wollen Sie die gesetzgeberischen Aktivitäten beeinflussen?

Häring: Wie eben gesagt gibt es die Teile des Eigenrechts, die die Gemeinschaften selbstständig gestalten – hier schlicht und einfach dazu beizutragen, dass dies kompetent geschehen kann, ist per se schon eine gute Sache. Ich glaube übrigens, dass dies in vielen Ordensgemeinschaften geschieht und dass dies  einfach wenig bekannt ist. Da unsere Gemeinschaft Mitglied einer neu gegründeten Kongregation ist, wird bei uns vieles gerade neu erstellt. Dies betrifft etwa eine Wahlordnung oder eine Visitationsordnung.

«Für eine Beeinflussung der universalkirchlichen Ebene ist zunächst einmal die Darstellung des geltenden Rechts mit seinen Defiziten angesagt.»

Für eine Beeinflussung der universalkirchlichen Ebene ist zunächst einmal die Darstellung des geltenden Rechts mit seinen Defiziten aber auch Gestaltungsmöglichkeiten angesagt. Fragen in den Raum zu stellen, auch wenn es vielleicht einen langen Atem braucht, bis sich etwas ändert, ist sicher nie verkehrt. Eine Kommentierung des geltenden Rechts, die sowohl auf die Defizite als auch auf die bereits vorhandenen Gestaltungsräume hinweist, kann ebenfalls einen Beitrag leisten.

Was gab den Anstoss zur Gründung des Instituts? Etwa ein Schlüsselereignis?

Häring: Es gab nicht das Schlüsselereignis, sondern es ist hier in Dinklage aus unserer Vernetzung auf der internationalen Ebene und aus meiner Tätigkeit der letzten Jahre gewachsen. Insbesondere seit Erscheinen der beiden römischen Dokumente «Vultum Dei Quaerere» (2016) und «Cor Orans» (2018), aufgrund derer für die Ordensfrauen, die Nonnen sind, eine neue Gesetzgebung gekommen ist, sind viele Anfragen an mich und uns herangetragen worden. So habe ich auf Konferenzen von höheren Oberinnen und auch Oberen im In- und Ausland oder in Gemeinschaften, diese neue Gesetzgebung erklärt und bei der Umsetzung geholfen.

Kloster Burg Dinklage in Niedersachsen: Die Gemeinschaft der Schwestern
Kloster Burg Dinklage in Niedersachsen: Die Gemeinschaft der Schwestern

A propos internationale Vernetzung: 2021 hat sich Ihr Kloster mit zehn anderen zur «Europäischen Benediktinerinnenkongregation von der Auferstehung» zusammengeschlossen.

Häring: Auch dieser Zusammenschluss ist Teil der Vorgeschichte des neuen Instituts. Im Vorfeld der Gründung galt es Konstitutionen zu erarbeiten. Und jetzt wollen wir die weitere Entwicklung kirchenrechtlich begleiten. Die hier ganz praktisch erworbenen Kenntnisse wollen wir auch gern mit anderen teilen und so unterstützend wirken.

«Bei Fragen des sexuellen und geistlichen Missbrauchs können wir Unterstützung auf kirchenrechtlicher Ebene bieten.»

Sie wollen auch Ordensfrauen unterstützen, die missbraucht werden. Auf welche Weise?

Häring: Was die Fragen des sexuellen und geistlichen Missbrauchs angeht, von denen Mitglieder in Ordensgemeinschaften leider auch in viel zu hohem Masse betroffen sind, so können wir Unterstützung auf der kirchenrechtlichen Ebene bieten. Diese deckt sicher nur einen kleinen Teil der notwendigen Hilfe und Unterstützung ab. Aber die Aufgabe, zu guten Strukturen und einer guten Rechtskultur in den Gemeinschaften beizutragen, ist meines Erachtens auch nicht zu unterschätzen.

Soll sich das Institut vor allem für benediktinische Frauengemeinschaften einsetzen oder auch für andere weibliche Gemeinschaften anderer Orden?

Häring: Wir möchten uns selbstverständlich für die Belange aller Ordensfrauen einsetzen. Das Benediktinische ist gewissermassen unsere Homebase, von der aus wir agieren.

Welchem Fernziel wollen Sie sich mit der Gründung des Instituts nähern?

Häring: Das Fernziel ist eine Kirche, in der auf allen Ebenen eine gute Rechtskultur gelebt wird und in der Männer und Frauen auf allen Ebenen auf Augenhöhe agieren.

«Ich sehe gute Chancen, wie ein Sauerteig zu wirken.»

Wie sehen Sie die Chancen, dieses zu erreichen?

Häring: Wenn wir im Ordensbereich zunächst einmal das tun, was möglich ist, und nicht müde werden weiterzumachen, wenn wir an Grenzen des derzeitigen Rechts stossen, sehe ich gute Chancen, wie ein Sauerteig zu wirken, der irgendwann den ganzen Teig durchsäuert – wie lange auch immer das dauern mag.

Ist Ihr Institut Pionierin, also weltweit das erste mit dieser Zielsetzung?

Häring: Auch wenn wir hier in Dinklage gut international vernetzt sind, können wir natürlich nicht mit Sicherheit sagen, dass es so etwas noch nicht gibt. Mir ist bisher jedoch kein «Institut» oder ähnliches bekannt, in dem sich Ordensfrauen speziell so engagieren. Doch es gibt in anderer Weise viel Expertise kirchenrechtlicher Art von Ordensfrauen weltweit und diese immer mehr zu entdecken und uns mit diesen zu vernetzen, darauf freuen wir uns.

*Schwester Scholastika Häring (55) ist deutsche Benediktinerin. Sie lebt im Kloster Burg Dinklage in Niedersachsen. Die Ordensfrau ist promovierte Theologin und hat das Lizentiat im kanonischen Recht. Sie arbeitet als Ehebandverteidigerin am Kirchengericht des Bistums Münster und ist vielfach in ordensrechtlichen Fragen beratend tätig, vor allem für Benediktinerinnen. Von 2016 bis 2019 war sie Lehrbeauftragte für Kirchenrecht an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

Ordensfrauen und Kirchenrechtlerinnen

Die Benediktinerinnen des Klosters Burg Dinklage in Niedersachsen haben ein Institut gegründet, mit dem sie an der Neugestaltung des Ordensrechtes mitwirken wollen. Dessen Name lautet: «Institut für Ordensrecht – von Frauen für Frauen». Betrieben wird es von den Kirchenrechtlerinnen und Ordensfrauen Scholastika Häring und Lydia Schulte-Sutrum. Am Freitag wurde das Institut der Öffentlichkeit vorgestellt. (bal/kna)


Scholastika Häring, Benediktinerin. | © zVg
22. Juli 2023 | 18:40
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