Scholastika Häring, Benediktinerin.
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Schwester Scholastika: «Das Problem der Frauenorden ist, dass wir keine Weihe haben»

Zwei relativ neue vatikanische Dokumente regeln das Leben kontemplativer Frauenorden. Die deutsche Benediktinerin und Theologin Scholastika Häring (55) sagt, die Kirche wolle damit negative Situationen verhindern. Aber leider nehme sie nicht wahr, «was an positiven Möglichkeiten bei den Frauengemeinschaften vorhanden ist». Und sie kritisiert die geringere Autonomie der Frauenklöster – im Vergleich zu den Männerklöstern.

Barbara Ludwig

Die «Neue Zürcher Zeitung» hat jüngst einen Zusammenhang hergestellt zwischen dem vatikanischen Dokument «Cor Orans» und Nonnen, die gegen die kirchliche Hierarchie rebellierten. Warum wurde dieses Dokument erlassen?

Schwester Scholastika Häring*: Die Instruktion: «Cor Orans» von 2018 enthält die Ausführungsbestimmungen zur Apostolischen Konstitution «Vultum Dei Quaerere». Diesen Gesetzestext über das kontemplative Leben in Frauenorden hat Papst Franziskus 2016 erlassen.

Mit «Cor Orans» erhielt der Heilige Stuhl die Möglichkeit, bei Frauengemeinschaften zu intervenieren. In welchen Fällen kann oder muss er intervenieren?

Häring: Der Ausdruck «intervenieren» trifft es nicht ganz. Das Dokument schafft die Möglichkeit, eine Ad-hoc-Kommission einzusetzen, wenn bestimmte Kriterien nicht mehr gegeben sind.

Kloster Burg Dinklage in Niedersachsen: Die Gemeinschaft der Schwestern
Kloster Burg Dinklage in Niedersachsen: Die Gemeinschaft der Schwestern

Um welche Kriterien kann es da gehen?

Häring: Zum Beispiel, wenn die Zahl der Nonnen unter fünf fällt, verliert die Gemeinschaft das Recht, eine eigene Oberin zu wählen. Das ist ein grosser Eingriff. Die Ad-hoc-Kommission, die in einer solchen Situation eingesetzt werden kann, soll Empfehlungen an den Heiligen Stuhl abgeben. Etwa, dass eine Administratorin eingesetzt wird oder sich die betreffende Gemeinschaft einem anderen Kloster anschliesst.

«Der rechtlichen Autonomie soll eine reale Autonomie des Lebens entsprechen.»

Für welche Frauengemeinschaften gelten die Bestimmungen von «Cor Orans»?

Häring: Betroffen davon sind nur sogenannte autonome Nonnenklöster, deren Mitglieder in Klausur leben. Die autonomen Klöster wählen ihre Oberin selber. Sie haben ein eigenes Noviziat, eine eigene Wirtschaftsverwaltung. Und sie besitzen eigene Gebäude. Neu ist mit den Dokumenten «Vultum Dei Quarere» und «Cor Orans», dass dieser rechtlichen Autonomie auch eine reale Autonomie des Lebens entsprechen muss. Wenn man es von der positiven Seite sehen will: «Cor Orans» versucht, den Situationen vorzubeugen, wo dies nicht mehr gegeben sein könnte. Etwa wegen Überalterung aufgrund des fehlenden Nachwuchses.

Maria Himmelfahrt im Kloster Fahr: Nonnen beim Beten.
Maria Himmelfahrt im Kloster Fahr: Nonnen beim Beten.

Wie beurteilen Sie solche Ad-hoc-Kommissionen?

Häring: Ich finde es immer sinnvoll, wenn die Frauenklöster die Möglichkeit und Kapazität haben, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Das Positive an der Ad-hoc-Kommission ist aber, dass klare Zuständigkeiten gelten. So gehören ihr der Ortsbischof an, die Präsidentin und der «Assistente religioso» der Föderation – wenn das Kloster bereits Teil einer Föderation ist –, und die Äbtissin oder Priorin der betreffenden Gemeinschaft. Das ist sinnvoll. Denn es gibt Fälle, in denen Gemeinschaften tatsächlich zu lange passiv mit einer schlechten Situation umgegangen sind. Das ist der Hintergrund, vor dem die beiden Gesetzestexte erlassen wurden.

«Auch kleine Gemeinschaften können voll lebensfähig sein.»

Was erachten Sie als problematisch?

Häring: Die Gesetzestexte gehen grundsätzlich von negativen Situationen aus und nehmen nicht wahr, was an positiven Möglichkeiten in der Welt der Frauengemeinschaften vorhanden ist. Ich bezweifle, dass man so Frauengemeinschaften in jedem Fall gerecht wird. Es gibt immer eine Innensicht und eine Aussensicht. Auch kleine Gemeinschaften mit weniger als fünf Schwestern können voll lebensfähig sein und ein lebendiges Zeugnis für das Ordensleben ablegen.

Was hat es mit dem «Assistente religioso» auf sich?

Häring: Der «Assistente religioso» ist Priester und wird vom Dikasterium für das geweihte Leben ernannt. Bereits in der Apostolischen Konstitution «Sponsa Christi» von 1950 hiess es, dass ein Assistent eingesetzt werden kann, aber nicht muss. Auch in den Jahren dazwischen wurden weitere Dokumente erlassen, in denen er im Grunde immer vorausgesetzt wurde – bei den Föderationen, also den Zusammenschlüssen von Gemeinschaften, nicht für die je einzelnen Klöstern.

«Der Assistent ist eine zusätzliche männliche Instanz.»

Die Figur ist also schon bekannt. Vor 20 Jahren stand eher die Frage im Raum: Was soll der überhaupt? Und jetzt wurde er doch wieder verpflichtend in die Gesetzestexte aufgenommen. Der Assistent ist so eine zusätzliche männliche Instanz innerhalb der Föderation, die ja ausschliesslich aus Frauengemeinschaften besteht.

Ist er eine Kontrollinstanz?

Häring: Es kommt immer darauf an, wie der Betreffende das Amt ausübt. Ich weiss von solchen, die selbst Fragen haben im Sinne von: Ist das überhaupt noch notwendig? Ich hörte schon von Förderationspräsidentinnen: «Es ist gut, dass es da noch jemanden gibt, mit dem ich gewisse Dinge auf Augenhöhe besprechen kann.» Ich selber kenne keinen Fall, bei dem der Assistent sein Amt negativ ausübte. Das Problem ist weniger, dass es diese Figur geben kann als der verpflichtende Charakter.

Kirchenraum des Klosters Burg Dinklage.
Kirchenraum des Klosters Burg Dinklage.

Ein Kloster mit weniger als fünf Nonnen ist in Gefahr, aufgelöst zu werden. Ein Vorwurf lautet, mit dieser Regel wolle der Vatikan im Kampf um das schwindende Vermögen die alleinige Kontrolle über klösterliche Immobilien gewinnen. Ist da etwas dran?

Häring: Das Dokument regelt tatsächlich neu, was mit dem Vermögen eines aufgelösten Klosters zu geschehen hat. Obschon nichts dagegen spricht, dass auch ohne diese Regelungen gute Lösungen gefunden worden wären. Vielleicht steckt dahinter die Sorge, klösterliches Vermögen, das auch Kirchenvermögen ist, könnte ohne diese Regelungen irgendwo ausserhalb der Kirche landen.

«Die Stellung der Oberin ist gestärkt worden.»

Ist das Dokument «Cor Orans» ein Instrument zur Disziplinierung von Frauenorden oder wird damit die Stellung der kontemplativen Frauenklöster gestärkt?

Häring: Das Dokument enthält tatsächlich beides. Der Impuls für Klöster, sich in Föderationen oder anderen Verbänden zusammenzuschliessen, hat seine guten Seiten. Damit wird einer Isolierung des einzelnen Klosters vorgebeugt. Auch die Stellung der Oberin ist gestärkt worden, etwa was die Exklaustration betrifft oder ihre Befugnisse hinsichtlich der Klausur.

Ordensfrau bei der Gartenarbeit im Kloster Fahr.
Ordensfrau bei der Gartenarbeit im Kloster Fahr.

Können Sie das etwas ausführen?

Häring: Wenn eine Nonne das Kloster für eine bestimmte Zeit verlassen wollte, musste das früher immer direkt an den Vatikan gehen. Jetzt hat die Äbtissin des Klosters die Möglichkeit, die Nonne für ein Jahr zu exklaustrieren. Und eine zweijährige Verlängerung kann durch die Föderationspräsidentin entschieden werden. Zudem hatte früher der Bischof gewisse Rechte in Bezug auf die Klausur, die nun abgeschafft worden sind. Auch hier ist die Stellung der Oberin gestärkt worden.

Waren Nonnen früher gezwungen, aus dem Kloster auszutreten, wenn sie ihre alten Eltern pflegen wollten?

Häring: Das war ein klassischer Fall, wenn die Nonne die einzige Angehörige war, die sich um die alten Eltern kümmern konnte. Aber Austreten musste sie nicht, sondern es gab die bereits genannte Möglichkeit der Exklaustration oder auch der Abwesenheit – was rechtlich ein Unterschied ist. Diese Möglichkeiten mussten in Rom erbeten werden. Beides kann nun im gezeigten Rahmen die Äbtissin gewähren.

«Ich vermisse die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten.»

Kommen wir zum Aspekt der Disziplinierung.

Häring: Vielleicht ist das ein zu starker Begriff. Klar ist jedoch, dass mit «Cor Orans» immer noch ein Dokument den Frauengemeinschaften Regelungen vorgibt. Es wird von den negativen Erfahrungen ausgegangen und nicht geschaut: Was gibt es an positiven Ansätzen bei den Frauengemeinschaften und wie können wir das stärken? Ich vermisse auch die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten in dem Dokument.

Gottesdienst im Benediktinischen Zentrum Sarnen
Gottesdienst im Benediktinischen Zentrum Sarnen

Können Sie ein Beispiel nennen?

Häring: «Cor Orans» hat die Ausbildungszeit verlängert. Diese muss nun bis zum Ablegen der Ewigen Profess mindestens neun Jahre betragen. Dabei gibt es Regionen, wo Frauen mit 18 eintreten und noch eine ganze Ausbildung absolvieren müssen. Bei diesen Frauen stehen viele natürliche Reifungsprozesse erst noch an. Und es gibt Gegenden, in denen sie im Alter von 30 oder 35 bereits ein Studium hinter sich haben oder im Arbeitsprozess standen, Lebenserfahrung gesammelt haben, oft bereits einen geistlichen Weg gegangen sind. Hinzu kommt eine Ungleichbehandlung: Bei den Männerorden und bei den Ordensfrauen, die keine Nonnen sind, reichen fünf Jahre.

Mönche des Klosters Einsiedeln im hinteren Chor bei einer Professfeier.
Mönche des Klosters Einsiedeln im hinteren Chor bei einer Professfeier.

Warum gibt es kein vergleichbares Dokument für kontemplative Männerorden? Männerklöster sind ja – wenn man an die Überalterung denkt – mit ähnlichen Problemen konfrontiert.

Häring: Das stimmt. Es hat wohl auch damit zu tun, dass die Männerklöster bereits in Verbänden organisiert sind. Zumindest bei den Benediktinern ist das so.

«Der Bischof bleibt mit ‹Cor Orans› weiterhin der Visitator.»

Haben Frauenorden im Vergleich zu Männerorden eine geringere Autonomie?

Häring: Ja, obschon grundsätzlich jedes Kloster autonom ist. Aber bei der Frage der äusseren Aufsicht wird unterschieden. Bei Nonnenklöstern hat entweder der männliche Ordensobere bestimmte Aufsichtsrechte oder der Diözesanbischof. Auch wenn sich die Nonnenklöster zu einer Föderation zusammenschliessen, hat die Föderationspräsidentin jetzt zwar das Recht und Pflicht der Co-Visitation. Aber der Bischof bleibt mit «Cor Orans» weiterhin der Visitator. Bei den Männerklöstern ist das nicht der Fall. Dort gibt es auch den «Assistente religioso» nicht.

Wie erklären Sie sich diesen Unterschied?

Häring: Das Problem der Frauenorden ist, dass wir keine Weihe haben. Die grossen klerikalen Männerorden haben deshalb innerhalb der katholischen Kirche eine ganz andere Stellung als die Frauenorden. Bei einem Männerorden käme niemand auf die Idee, dass der Ortsbischof da noch etwas zu sagen hätte.

*Schwester Scholastika Häring (55) ist deutsche Benediktinerin. Sie lebt im Kloster Burg Dinklage in Niedersachsen. Die Ordensfrau ist promovierte Theologin und hat das Lizentiat im kanonischen Recht. Sie arbeitet als Ehebandverteidigerin am Kirchengericht des Bistums Münster und ist vielfach in ordensrechtlichen Fragen beratend tätig, vor allem für Benediktinerinnen. Von 2016 bis 2019 war sie Lehrbeauftragte für Kirchenrecht an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar.


Scholastika Häring, Benediktinerin. | © zVg
24. April 2023 | 12:00
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