Übergabe des Schweizer Menschenrechtspreises "Offene Alpen" 2023 in Bern.
Schweiz

Schweizer Menschenrechtspreis «Offene Alpen» geht an kroatische Organisationen

Sie helfen Menschen, die vor Krieg und Krisen in ihrer Heimat flüchten. Nun sind die kroatischen Organisationen «Are You Syrious?» und das «Center for Peace Studies» mit dem Schweizer Menschenrechtspreis «Offene Alpen» gewürdigt worden. Viele ihrer Mitglieder haben Krieg am eigenen Leib erlebt.

Barbara Ludwig

«Die beiden Organisationen kommen aus der kroatischen Zivilgesellschaft – von der Basis her», teilt Michael Rössler (66) kath.ch mit. Der Schweizer ist als internationaler Koordinator für «Are You Syrious?» und das «Center for Peace Studies» mit Sitz in der kroatischen Hauptstadt Zagreb tätig.

«Sie wurden von Menschen ins Leben gerufen, die sich nicht damit abfinden wollten, dass andere Menschen, die fliehen müssen, gedemütigt und weggestossen werden», erklärt Rössler. Viele ihrer Mitglieder hätten selbst Krieg erlebt oder würden ihn aus der eigenen Familie kennen. «Heute helfen sie den Opfern aus anderen Kriegs- und Krisenländern.» Dies sei der Grund, warum sie mit dem diesjährigen Schweizer Menschenrechtspreis «Offene Alpen» ausgezeichnet werden.

Anlass zur Verleihung des Schweizer Menschenrechtspreises "Offene Alpen" 2023 in Bern.
Anlass zur Verleihung des Schweizer Menschenrechtspreises "Offene Alpen" 2023 in Bern.

Verliehen wird der Preis vom schweizerischen Verein «Freundeskreis Cornelius Koch» und dem «Forum Civique Européen», einer internationalen Organisation. Diese ist in verschiedenen europäischen Ländern präsent, unter anderem auch in der Schweiz. Der Preis wurde am Donnerstagabend in Bern verliehen – im Vorfeld des nationalen Flüchtlingstages vom Samstag.

Hilfe für Opfer illegaler Abschiebungen in Kroatien

Die Mitglieder von «Are You Syrious?» und das «Center for Peace Studies» engagieren sich auch für Menschen, die versuchen, von Bosnien aus, die kroatische EU- und Schengen-Aussengrenze zu überqueren. Die Flüchtlinge würden sehr oft von der Grenzpolizei misshandelt und zurückgeschickt, schreibt Rössler. «Diese Abschiebungen sind illegal, weil jeder Schutzsuchende das Recht hat, Asyl zu beantragen und angehört zu werden. Inzwischen werden Geflüchtete auch im Landesinnern von Kroatien gejagt und nach Bosnien zurückgeschafft», kritisiert Rössler.

Mitarbeiterinnen im Laden von "Are You Syrious?" in Zagreb.
Mitarbeiterinnen im Laden von "Are You Syrious?" in Zagreb.

Es sei das Verdienst der diesjährigen Preisträgerinnen, dass diese «illegalen Vorgehensweisen» inzwischen dokumentiert und in der breiten Öffentlichkeit bekannt seien. «Sie sorgen zudem dafür, dass die Opfer nicht allein bleiben und menschlich, juristisch und psychologisch betreut werden.»

Ermutigung angesichts von Drohungen

Sie seien immer wieder Drohungen des Staates ausgesetzt. «Umso mehr möchten wir ihnen mit der Verleihung unseres Preises den Rücken stärken. Ihr mutiger Einsatz für die Menschenrechte betrifft uns alle», betont Rössler.

Kleider für Flüchtlinge im Laden von "Are You Syrious?" in Zagreb.
Kleider für Flüchtlinge im Laden von "Are You Syrious?" in Zagreb.

Der mit 12’000 Franken dotierte Menschenrechtspreis «Offene Alpen» wird an Personen und Gruppen verliehen, die sich aktiv für die Rechte von Geflüchteten, anderer benachteiligter Menschen und von bedrohten Minderheiten in Europa einsetzen.

Treffpunkt für Flüchtlinge in Zagreb.
Treffpunkt für Flüchtlinge in Zagreb.

Flüchtlingskaplan lancierte Menschenrechtspreis

Ins Leben gerufen wurde der Preis auf Initiative des Flüchtlingskaplans Cornelius Koch (1940-2001). Geboren als Sohn eines Auslandschweizers und einer Rumänin kam Koch 1948 mit seiner Familie in die Schweiz. 1968 wurde er in Ennetbaden AG zum Priester geweiht, wie Michael Rössler berichtet. Koch sei zeitlebens von der Erfahrung des Verlustes seiner Heimat geprägt gewesen.

Der Geistliche habe 1973 landesweit Bekanntheit erlangt, weil er nach dem Militärputsch in Chile gemeinsam mit der Genossenschaftsbewegung «Longo maï» die «Freiplatzaktion für Chile-Flüchtlinge» gegründet habe. Gegen den Willen des Bundesrates habe die Aktion über 2000 Verfolgte gerettet und in die Schweiz gebracht.

Mexikanischer Bischof sollte Friedensnobelpreis bekommen

1995 setzte sich Cornelius Koch mit einer Kampagne für die Nobelpreis-Kandidatur des mexikanischen Bischofs und Friedensaktivisten Samuel Ruiz Garcia (1924-2011) ein. «Er war mit Ruiz seit langem freundschaftlich verbunden und wollte den Friedensvermittler zwischen den zapatistischen Rebellen und der mexikanischen Regierung stärken.»

Samuel Ruiz Garcia, mexikanischer Bischof, in einer Aufnahme von 2004.
Samuel Ruiz Garcia, mexikanischer Bischof, in einer Aufnahme von 2004.

Doch der mexikanische Bischof ging leer aus. Cornelius Koch sei darüber sehr enttäuscht gewesen, berichtet Rössler, der von 1980 bis 2001 mit dem Flüchtlingskaplan zusammenarbeitete. Koch habe deshalb beschlossen, einen eigenen Preis ins Leben zu rufen.

«Die Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge war eine Ausnahme»

Michael Rössler (66), früherer Mitarbeiter des verstorbenen Flüchtlingskaplans Cornelius Koch, engagiert sich für Flüchtlinge. Er findet, dass sich die Schweiz immer mehr abschottet. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider müsste die Dublin-Ausschaffungen nach Kroatien stoppen, fordert der Aktivist.

Am Samstag ist nationaler Flüchtlingstag. Die Schweiz steht international in der Kritik, nicht genug zu tun. Wie sehen Sie das?

Michael Rössler: Leider ist es so, dass die Schweiz sich immer mehr abschottet. Dies ist keine neue Entwicklung – eine Ausnahme war der grosszügige Empfang der ukrainischen Kriegsflüchtlinge. Doch bei allen anderen Schutzsuchenden versucht die Schweiz, es ihnen immer möglichst schwer zu machen. Das Warum ist schwer zu begreifen. Wir sind ein reiches Land und alle grossen Städte und auch kleinere Gemeinden waren bereit, zum Beispiel mehr Geflüchtete von den griechischen Inseln aufzunehmen. Der Bund hat das torpediert.

Michael Rössler.
Michael Rössler.

Die neue Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider versucht, ihren Spielraum ein wenig zu nutzen, um gewisse Erleichterungen für bestimmte Gruppen zu erreichen. Doch das geht nicht weit genug. Zum Beispiel müsste sie die Dublin-Ausschaffungen nach Kroatien stoppen, weil dort die Menschenrechte mit Füssen getreten werden.

Elisabeth Baume-Schneider möchte, dass Italien Flüchtlinge aus der Schweiz zurücknimmt. Wie sehen Sie diese Forderung?

Rössler: Es ist mir unbegreiflich. Italien ist ein Ankunftsland für sehr viele Flüchtlinge und man sollte eher überlegen, dass andere Länder – wie zum Beispiel die Schweiz – Geflüchtete aus Italien aufnehmen. Ausserdem ist es mir schleierhaft, wie die Bundesrätin, die ja eher von einer links- progressiven Seite herkommt, es mit ihrem Gewissen vereinbaren will, schutzsuchende Menschen an eine rechtsextreme beziehungsweise faschistoide Regierung auszuliefern. (bal)

Michael Rössler hat die Fragen schriftlich beantwortet.


Übergabe des Schweizer Menschenrechtspreises «Offene Alpen» 2023 in Bern. | © Vinzenz Schwab
17. Juni 2023 | 16:07
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