Jacques Nuoffer
Schweiz

Erfolg dank Hungerstreik: Opferorganisation reagiert empört

Die Opferorganisation Sapec ist enttäuscht, dass der Walliser Chorherr Gilles Roduit mit einem Hungerstreik erreicht, was er wollte: Er darf wieder Pfarrer von Saint-Maurice sein. Dabei seien die Missbrauchsvorwürfe gegen ihn nicht geklärt, findet die Sapec.

Regula Pfeifer

Empört ist die Westschweizer Opferorganisation über den Hungerstreik – und dessen Erfolg, wie aus einer Medienmitteilung hervorgeht. Falsch verhalten haben sich demnach der betreffende Chorherr sowie der Bischof von Sitten, Jean-Marie Lovey.

Unterzeichnet haben das Schreiben Jacques Nuoffer und Marie-Madeleine Zufferey-Sudan vom Präsidium der Gruppe Sapec. Der Name der Opferorganisation leitet sich ab von der Abkürzung der französischen Bezeichnung «Groupe de Soutien aux abusé-e-s par des prêtres de l´Eglise catholique» (zu Deutsch: «Unterstützungsgruppe für Personen, die von Priestern der katholischen Kirche missbraucht wurden»).

Hungerstreik als Protestmittel

Die Sapec kritisiert das extreme Mittel, das der Chorherr Gilles Roduit anwandte, um sein Ziel zu erreichen. Mit einem Hungerstreik ab dem 3. Mai in der Chapelle du Scex erlangte er die Wiedereinsetzung als Pfarrer von Saint-Maurice. Jesus habe sich trotz Unschuld nicht gegen sein Todesurteil gewehrt, schreibt die Opferorganisation. Und sagt damit implizit: Roduit hat sich mit seinem Hungerstreik deplatziert verhalten.

Gilles Roduit
Gilles Roduit

Das lange Warten habe eine Ursache gehabt, so die Sapec: Laufende Untersuchungen auf gerichtlicher und pastoraler Ebene galt es abzuwarten. Diese waren nach der RTS-Sendung «Mise au point» vom November 2023 initiiert worden, die über Missbrauchsfälle von neun Chorherren von Saint-Maurice berichtete.

Mädchen zeigte den Chorherrn an

Der Missbrauchsverdacht gegen Gilles Roduit hat laut der Opferorganisation eine lange Geschichte. «Vor etwa zwanzig Jahren zeigte ein kleines Mädchen Gilles Roduit bei der Polizei an. Die Aussage wurde als glaubwürdig eingestuft, sechs Monate nach den Ereignissen.» Die Übergriffe hatten sich demnach nach der Taufe des kleinen Bruders jenes Mädchens während des Festessens ereignet. Ein Zeuge, der Patenonkel des Mädchens, habe den Pfarrer gebeten, sich vom Mädchen fernzuhalten.

Ein Mädchen versteckt sich.
Ein Mädchen versteckt sich.

Vor Gericht wurde das Verfahren wegen fehlender Beweise eingestellt. «Eine Einstellung des Verfahrens bedeutet nicht, dass die angeklagte Person unschuldig ist», befindet die Sapec. Man sei damals wohl vom Grundsatz ausgegangen: Im Zweifel für den Angeklagten. «Wenn der Fall heute stattfinden würde, wäre die Sache sicherlich anders verlaufen. Auch das Schweizer Strafgesetz hat sich geändert.»

Kinder machen «sehr selten Falschbeschuldigungen»

Die Opferorganisation weist zudem darauf hin, «dass Fälle von Falschbeschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs durch Kinder sehr selten zu sein scheinen». Es gebe allgemein wenig Anzeigen wegen sexuellen Missbrauchs und von diesen würden nur wenige mit einer Verurteilung enden, meist mangels Beweisen. «Das Gerichtsverfahren ist zudem mit hohen emotionalen Kosten verbunden für die Opfer, die ihre traumatischen Erlebnisse immer und immer wieder neu durchleben müssen», gibt die Sapec zu bedenken.

Der Bischof von Sitten reagierte wenige Tage nach Beginn des Hungerstreik von Chorherr Gilles Roduit. Er setzte diesen wieder in seine Funktion als Pfarrer von Saint-Maurice ein. Dabei habe die Zeitung «Nouvelliste» wenige Tage zuvor – mit Berufung auf Generalstaatsanwältin Béatrice Pilloud – geschrieben, es sei eine Ermittlung über sexuellen Missbrauch in der Kirche am Laufen. Bischof Lovey wartete also nicht auf die Ergebnisse dieser Untersuchung, schliesst die Sapec.

Bischof Jean-Marie Lovey
Bischof Jean-Marie Lovey

Die Wiedereinsetzung des Chorherrn als Pfarrer begründet das Bistum damit, dass der Fall juristisch abgeschlossen sei. Das sei zu berücksichtigen, befindet die Sapec. Doch gleichzeitig müsse der Bischof seinen Entscheid «auf andere Kriterien pastoraler Art» abstützen. Das tue er aber nicht.

Falsches Zeichen seitens Bistum

Mit dem Entscheid zugunsten des Chorherrn setze die Kirche im Kanton Wallis ein falsches Zeichen, findet Sapec. Den Chorherr habe sie angehört und berücksichtigt, das Opfer hingegen nicht. «Ihr Wort wird schlichtweg nicht beachtet», so die Sapec. Dabei habe die betreffende Frau sich in der RTS-Sendung mutig als Missbrauchsopfer geoutet. «Auch sie hat einen Imageschaden erlitten», schreibt Sapec. Insbesondere, da der Chorherr sie als Lügnerin bezeichnet habe. Der Chorherr selbst hatte seinen Kampf für die Pfarrstelle mit seiner verlorenen Würde begründet.

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Jacques Nuoffer | © Bernard Hallet
14. Mai 2024 | 16:01
Lesezeit: ca. 3 Min.
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