Flüchtlingscamp in Bosnien
Schweiz

Warum sich Kirchenleute gegen den Frontex-Ausbau engagieren

Die Schweizer Bischofskonferenz und die Landeskirchen halten sich mit Äusserungen zum Frontex-Ausbau zurück. Einzelne Kirchenleute an der Basis engagieren sich im Bündnis «Kirchen gegen Frontex-Ausbau». Die Abstimmung ist am 15. Mai.

Eva Meienberg

Am 15. Mai stimmen die Schweizerinnen und Schweizer über mehr Geld für die Grenzschutzagentur Frontex ab. Seit 2004 hilft die Agentur den Schengen-Staaten bei der Kontrolle der europäischen Aussengrenzen. Die Schweiz gehört zum Schengen-Raum.

2021 hat die Schweiz Frontex mit 24 Millionen unterstützt. Bis 2027 soll die Unterstützung auf 61 Millionen pro Jahr erweitert werden. Zudem will die Schweiz den Einsatz von Grenzschützerinnen und Grenzschützern von heute sechs Vollzeitstellen auf 40 Stellen erhöhen.

Bischofskonferenz sieht sich nicht kompetent

Diesen Ausbau will ein Referendum verhindern. Zu den Unterstützerinnen und Unterstützern gehört das Bündnis «Kirchen gegen Frontex-Ausbau» – ein loser Zusammenschluss von verschiedenen Kirchenleuten. Mit dabei ist auch der eritreische Priester Mussie Zerai. Er war früher in der Schweiz tätig und arbeitet nun im Vatikan. Er hat den Spitznamen «Father Moses»: Wenn Menschen in Seenot geraten, rufen sie ihn an. Er verbindet die Flüchtlinge dann mit der lokalen Küstenwache.

Mussie Zerai
Mussie Zerai

Die Schweizer Bischofskonferenz hält sich beim Thema Frontex-Ausbau zurück. Zu beurteilen, ob ein Ausbau des Frontex-Engagements richtig sei, liege nicht in der Kompetenz der Bischofskonferenz, sagt Wolfgang Bürgstein, Generalsekretär von «Justitia et Pax». Die Laienkommission «Justitia et Pax» hat noch nicht entschieden, ob sie sich zur Frontex-Abstimmung äussern will.

Bundesrat und Parlament für Ausbau

Der Bundesrat und das Parlament unterstützen den Ausbau und argumentieren unter anderem damit, dass sonst der offene Schengen-Raum in Gefahr sei. Zudem werde durch verstärkte Kontrollen an den europäischen Aussengrenzen die Sicherheit in der Schweiz erhöht und die Grundrechte der Flüchtenden besser geschützt.

«Ich erwarte von Frontex klar, dass Flüchtlinge immer korrekt, fair und menschenwürdig behandelt werden.»

Ständerätin Andrea Gmür

Zu den Befürwortern zählt die Luzerner Ständerätin Andrea Gmür (Mitte). «Ich erwarte von Frontex klar, dass Flüchtlinge ausnahmslos immer korrekt, fair und menschenwürdig behandelt werden. Deshalb wird es mit der Revision von Frontex künftig auch Grundrechtsbeauftragte geben, die dafür sorgen, dass wirklich sämtliche Rechte der Flüchtlinge eingehalten werden», schreibt sie auf Anfrage.

Die Luzerner Ständerätin Andrea Gmür.
Die Luzerner Ständerätin Andrea Gmür.

Die Schweiz könne ihren Beitrag am besten leisten, wenn sie Mitglied des Schengen-Raums bleibe, Verantwortung übernehme und somit aktiv an der Reform der europäischen Grenzschutzagentur Frontex mitarbeiten könne.

Christian Walti, reformierter Pfarrer
Christian Walti, reformierter Pfarrer

Auch Organisationen, die die Schweizer Flüchtlingspolitik sonst kritisch sehen wie «Operation Libero», unterstützen den Schweizer Frontex-Ausbau, um Schengen nicht zu gefährden. Umso kritischer fallen manche Voten von der kirchlichen Basis aus. Christian Walti ist Pfarrer in der reformierten Kirchgemeinde Frieden in Bern. Im März ist er nach Bihac in Bosnien gereist und hat dort das Flüchtlingslager Lipa besucht.

Illegale «Pushbacks» in Kroatien

«Die Flüchtenden warten dort vergeblich auf die Möglichkeit, nach Kroatien und somit in die EU einreisen zu können», sagt Christian Walti. Um die Grenze zu passieren, hausten sie in den angrenzenden Wäldern in Zelten, in verlassenen Hütten ohne Wasser und Strom.

Sobald sie kroatischen Boden betreten, würden sie von den dortigen Behörden aufgegriffen und zurückgeschickt. In der Fachsprache sind das «Pushbacks», «Zurückschieben». Laut EU-Recht sind die «Pushbacks» illegal: denn die Flüchtenden haben das Recht, in Kroatien einen Asylantrag zu stellen, sobald sie EU-Boden betreten haben.

«Wie soll ein junger Afghane zurück nach Hause gehen in Turnschuhen und ohne Geld?»

Christian Walti, reformierter Pfarrer

«Wir haben keine Flüchtende getroffen, die noch keinen Pushback erlebt hatten», sagt Christian Walti über seine Erfahrungen in Bosnien. Die Menschen würden an den EU-Aussengrenzen ohne Perspektive hingehalten: «Wie soll ein junger Afghane zurück nach Hause gehen in Turnschuhen und ohne Geld?»

Nicola Neider Ammann unterstützt das Bündnis "Kirche gegen Frontex-Ausbau".
Nicola Neider Ammann unterstützt das Bündnis "Kirche gegen Frontex-Ausbau".

Auch die katholische Theologin Nicola Neider Ammann unterstützt das Anti-Frontex-Bündnis. Sie leitet den Bereich Migration und Integration der katholischen Kirche in Luzern und engagiert sich im Vorstand der Plattform «Sans Papiers», die sich für Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung einsetzt. In ihrer täglichen Arbeit ist sie mit den Schicksalen vieler Flüchtenden konfrontiert.

Geld für humanitäre Korridore

Die restriktive europäische Flüchtlingspolitik verursache grosse menschliche Tragödien, sagt Nicola Neider Ammann. Anstatt Menschen auszusperren und deren Tod zu riskieren, sollte Geld in die Errichtung humanitärer Korridore investiert werden. Durch diese könnten Flüchtende auch in der Schweiz aufgenommen werden. Von den Bischöfen wünscht sich die Seelsorgerin ein klares Votum gegen die Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen Europas.

Die Kampagne «Kirchen gegen Frontex-Ausbau» ist ein ökumenisches Bündnis, in dem sich unter anderen der Jesuit Christoph Albrecht, der Seelsorger Chika Uzor, der Luzerner Pfarreileiter Herbert Gut, die Berner Theologin Andrea Meier, die reformierte Pfarrerin Catherine McMillan, Anne-Catherine Reymond von Sant’Egidio und der Priester Mussie Zerai Yosief («Father Moses») engagieren. 


Flüchtlingscamp in Bosnien | © Simon Brechbühler
13. April 2022 | 10:14
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