Mario Pinggera
Kommentar

Pfarrer Mario Pinggera antwortet den Bischöfen auf ihren Rüffel-Brief

Der Priester Mario Pinggera war entsetzt, als er den Rüffel-Brief mit liturgischem Zeigefinger im Briefkasten fand. Er kritisiert in einem Offenen Brief das unsynodale Schreiben der Bischöfe. Und er fragt sich: Warum unternehmen die Bischöfe nichts gegenüber formal korrekten, aber lieblos gestalteten Gottesdiensten?

Mario Pinggera*

Sehr geehrte Herren Bischöfe, liebe Mitbrüder Felix, Joseph und Markus

Darf ich Folgendes vorausschicken: Es hätte Sinn gemacht, euren Brief zuerst mit einer erfahrenen Person aus dem Bereich Kommunikation – am besten aus dem nichtkirchlichen Umfeld – zu besprechen. Die Person hätte euch vom Versand in dieser Form bestimmt abgeraten. 

Das Thema ist emotional aufgeladen

Warum? Das behandelte Thema ist bereits seit längerer Zeit emotional aufgeladen. Und in Stimmungen emotionaler Aufladung greifen (sachliche) Argumente kaum mehr. Im Gegenteil – das Klima könnte weiter angeheizt werden, was auch nach eurem Brief so sein wird. Ein Sturm von negativen Nachrichten füllt wieder wochenweise die Medien.

Monika Schmid während ihres Abschiedsgottesdienstes.
Monika Schmid während ihres Abschiedsgottesdienstes.

Jene Gläubigen, die das Ganze überhaupt noch wahrnehmen, schütteln bestenfalls den Kopf. Viele sind ohnehin schon nicht mehr dabei, sie sind aus der Kirche ausgetreten, weil sie den ganzen Unsinn schon lange nicht mehr ertragen können. Ich warte darauf, wie viele Austritte uns das jetzige Manöver wieder kostet, nicht nur hier in Richterswil. Und das ist definitiv nicht nötig. Was mich ebenfalls verwundert ist, dass der Brief an alle Seelsorgenden geht. Das wäre etwa so, wie wenn das Steueramt Zahlungserinnerungen vorsorglich an alle Steuerpflichtigen versendet. 

Die Gläubigen haben eine guten Gottesdienst verdient

Vor fast zwei Jahrzehnten durfte ich als «Kurseelsorger» wirken und zwar auf der deutschen Hochseeinsel Helgoland. Im Schreiben des Ordinariates wurden wir Kurseelsorger vorab instruiert: «Die Priester werden gebeten, den Gläubigen eine wiedererkennbare Form der Messe zu bieten.»

Es ist gut vorstellbar, welch massive Reklamationen das Ordinariat zu solchen Worten veranlasste. Was muss da alles passiert sein?! In der Tat darf es nicht Sache des Zufalls sein, dass Gläubige einen «guten» Gottesdienst erwischen – sie haben ein Recht darauf! Bisweilen habe ich die Gelegenheit, im Urlaub Gottesdienste in anderen Kirchen mitzufeiern, in der Schweiz und im Ausland.

Lieblos gestaltete Gottesdienste zum Abgewöhnen

Dabei erlebe ich Unterschiedliches. Einerseits werden Gottesdienste auf höchstem Niveau angeboten – in jeder Hinsicht Balsam für die Seele. Andererseits erlebe ich das Gegenteil, in grösseren, auch Bischofskirchen im In- und Ausland. Dabei ist weder die Laien- noch die Frauenfrage tangiert.

Liturgie mit Liebe: Priorin Irene Gassmann feiert im Kloster Fahr die Karfreitagsliturgie.
Liturgie mit Liebe: Priorin Irene Gassmann feiert im Kloster Fahr die Karfreitagsliturgie.

Es sind Gottesdienste (Wortgottesdienste oder Eucharistiefeiern) nach allen «Vorgaben», allerdings derart lieblos gestaltet, dass es zum Abgewöhnen ist. Und deswegen – liebe Bischöfe, da dürft ihr gelassen sein: Die Gläubigen werden sich auch in Zukunft die Orte aussuchen, wo sie geistige und geistliche Tiefe vorfinden. Sonst wäre es an manchen Orten in den Gottesdiensten nicht so voll und andernorts – eben weniger.

Was ist mit der Qualität unserer Ausbildung?

Solche und andere Fragen begegnen mir immer im Zusammenhang mit unserem Pastoralkurs. Die Kandidatinnen und Kandidaten sind sehr durstig nach einer gelingenden liturgisch-musikalischen Gestaltung. Allerdings kommen die Angebote dafür sowohl im Studium als auch im Pastoralkurs zu kurz, um den Seelsorgenden ausreichend Material in die Hände zu geben, welches sie aus etwas Vollerem schöpfen liesse.

Nuntius Martin Krebs in Bern.
Nuntius Martin Krebs in Bern.

Ich kann mir gut vorstellen, dass es hier Änderungen geben kann und muss. Ein Gleiches gilt für das grosse Gefäss des Vierwochenkurses: Dieses wäre eine grosse Chance, um Verstimmungen wie die Derzeitige konstruktiv und miteinander anzugehen – und eben nicht brieflich.

Erinnerungen an das II. Vaticanum

Zur Thematik eures Briefes darf ich euch noch aus dem Brief des damaligen Erzbischofs von Freiburg, Hermann Schäufele (1958–77) zitieren. Der Brief ging  an alle Seelsorgenden und ist datiert auf den 24. September 1963:

Brief von Erzbischofs Hermann Schäufele

«Ich stehe vor der Abreise nach Rom. Doch ich möchte mir noch einige Dinge von der Seele reden, die mir Sorgen machen. Mit diesem Brief an meinen Klerus möchte ich Anfängen wehren, die in einen falschen Weg einzumünden drohen, ich möchte auch schon bereits bestehende Missstände beheben. Dabei rechne ich mit dem guten Willen jedes meiner Priester.

Kardinal Walter Brandmüller (Mitte) zelebriert in Rom mit dem Rücken zur Gemeinde eine Messe nach dem alten Ritus, Mai 2011.
Kardinal Walter Brandmüller (Mitte) zelebriert in Rom mit dem Rücken zur Gemeinde eine Messe nach dem alten Ritus, Mai 2011.

Nach dem kirchlichen Recht sind Änderungen in der Liturgie dem Heiligen Stuhl bzw. dem Diözesanbischof vorbehalten. Darüber setzen sich nun unbekümmert vielfach Pfarrer und Vikare hinweg. (…) Da erwartet einer von der celebration versus populum alles Heil; er stellt vor den Hochaltar, vor dem vielleicht viele Generationen gebetet, einen primitiven Holztisch und «feiert Eucharistia». Ein anderer singt im feierlichen Amt die Präfation und das Pater noster in deutscher Sprache (…). Einer schreckt sogar nicht zurück, selbst den Kanon und die Wandlungsworte zu verdeutschen. In welchem Ausmass die Muttersprache in der Liturgie verwendet werden darf, ist Sache des Konzils bzw. der Bischofskonferenz. Die diesbezügliche Regelung muss daher abgewartet werden. 

Ein seltenes Bild aus der Konzilszeit: Joseph Ratzinger (ganz links) und Hans Küng (rechts). Ivo Fürer war beim Konzil als Berater dabei.
Ein seltenes Bild aus der Konzilszeit: Joseph Ratzinger (ganz links) und Hans Küng (rechts). Ivo Fürer war beim Konzil als Berater dabei.

Nur zu viele Seelsorgepriester sind es, welche die Richtlinien der deutschen Bischöfe für die Feier der heiligen Messe gar nicht beobachten oder nur in eigenwilliger Auswahl (…). Wer sich hier schuldig bekennen muss, der muss sich von seinem Bischof, von dem allein er seine Sendung hat, sagen lassen, dass er nicht aufbaut, sondern zerstört. (…).

Ich bitte darum, über folgendes Wort des heimgegangenen Papstes Johannes XXIII. eingehend nachdenken zu wollen: «Ein Fortschritt der Kirche ist weniger von sensationellen Neuerungen als von geistiger Vertiefung der Verantwortung für das Reich Gottes zu erwarten.»

Erzbischof Hermann Schäufele wird spätestens nach Beendigung des Konzils sicher erstaunt darüber gewesen sein, wie sehr seine Worte vom 24. September 1963 von einer anderen Welt zeugten.

Liebe Bischöfe Felix, Joseph und Markus, ich wünsche uns allen ein gesegnetes Jahr 2023 mit vielen konstruktiven Begegnungen, offenen Ohren, staunenden Augen, wachen Sinnen und so wenigen Briefen, E-Mails und WhatsApps wie möglich.

Euer Don Mario Pinggera

Pfarrer in Richterswil»

Mario Pinggera in Richterswil ZH. Er ist nicht nur Pfarrer sondern auch Kirchenmusiker. Sein Lieblings-Weihnachtslied ist "Stille Nacht".
Mario Pinggera in Richterswil ZH. Er ist nicht nur Pfarrer sondern auch Kirchenmusiker. Sein Lieblings-Weihnachtslied ist "Stille Nacht".

* Mario Pinggera ist Pfarrer von Richterswil und Dozent für Kirchenmusik an der Theologischen Hochschule Chur.


Mario Pinggera | © Christian Merz
7. Januar 2023 | 16:20
Lesezeit: ca. 4 Min.
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