kath.ch-Redaktionsleiter Raphael Rauch
Kommentar

Mit dem Rüffel-Brief haben die Schweizer Bischöfe die katholische Fasnacht eröffnet

Papst Franziskus empfiehlt, Rüffel-Briefe aus Rom zur Kenntnis zu nehmen – aber weiterzumachen: «Reisst die Türen auf!» Dasselbe gilt für einen bischöflichen Rüffel-Brief aus Basel, Chur und St. Gallen. Das Schreiben ist so grotesk, dass es an Realsatire erinnert. Dabei gehört es zur Realität einer Kirche, die offenbar den Schuss nicht gehört hat.

Raphael Rauch

Der Tod des emeritierten Papstes Benedikt XVI. war der Schweizer Bischofskonferenz 493 Zeichen wert. Die Sorge um die liturgische Ordnung führen die Bischöfe Joseph Bonnemain, Markus Büchel und Felix Gmür indes auf 4477 Zeichen aus

«Mission Statement» der Bischöfe?

Und das, weil Monika Schmid in einer Eucharistiefeier das Hochgebet mitgesprochen hat. Und weil Charlotte Küng-Bless im Fernsehen sagte, sie habe schon mal gegen das Kirchenrecht verstossen.

Monika Schmid während ihres Abschiedsgottesdienstes.
Monika Schmid während ihres Abschiedsgottesdienstes.

Sind das wirklich die Probleme, vor denen die katholische Kirche am Anfang des Jahres 2023 steht? Ist der Rüffel-Brief wirklich das «Mission Statement» der Bischöfe, ihre Vision einer missionarischen Kirche?

Die Schweizer Kirche hat ganz andere Probleme

Wie wäre es, über die Schweizer Flüchtlingspolitik zu sprechen? Wären die blutleeren Predigten der meisten Deutschschweizer Gottesdienste nicht Grund genug, einen sorgenvollen Brief zu schreiben? Wenn selbst der offizielle Nachruf auf einen Papst so lieblos ausfällt – wie soll dann eine Kommunikation der Hoffnung gelingen? 

Der Kniefall von Chur: Bischof Joseph Maria Bonnemain bittet am 19. März 2021 das Volk um den Segen.
Der Kniefall von Chur: Bischof Joseph Maria Bonnemain bittet am 19. März 2021 das Volk um den Segen.

Sollten wir nicht die halbleeren Gottesdienste am Heiligen Abend und die steigenden Austrittszahlen thematisieren? Wäre der synodale Prozess kein besseres Thema für einen Neujahrsbrief? Was ist mit dem Personalengpass wegen Seelsorgerinnen wie Veronika Jehle und anderen, die gekündigt haben? Was ist mit dem mittelmässigen oder fehlenden Nachwuchs? Was ist mit der Missbrauchskrise? Wo ist das «Uscire», wo ist der diakonische Imperativ, den Bischof Joseph Bonnemain an seiner Bischofsweihe versprochen hat?

Die Frau schweige in der Gemeinde!

Stattdessen empfehlen die Schweizer Bischöfe allen Ernstes: «Nutzen Sie die Vielfalt liturgischer Feierformen, die die Kirche anbietet. Und nutzen Sie Orte in der Liturgie wie Besinnung, Predigt, Meditation, Fürbitten, Liedgut, Musik, Stille, um sich persönlich eingeben zu können.» Das klingt ja fast wie bei Paulus: Die Frau schweige in der Gemeinde!

Charlotte Küng-Bless setzt sich im Bistum St. Gallen für Reformen ein.
Charlotte Küng-Bless setzt sich im Bistum St. Gallen für Reformen ein.

Der einzige Punkt, den die Bischöfe für sich verbuchen können: Mit Blick auf den synodalen Prozess in Prag ist der Brief ein taktisches Manöver – mit entsprechenden Chancen und Risiken. Das Risiko ist der massive Kollateralschaden, den die Bischöfe mit ihrem Rüffel-Schreiben anrichten. Sie demotivieren ihre Seelsorgenden und rufen zu pastoralem Ungehorsam auf. 

Klarstellung eröffnet Raum für wichtigere Themen

Die Chance indes besteht darin, dass sich die Bischöfe klar von liturgischer Irregularität distanzieren. Das eröffnet die Chance, über andere Themen zu sprechen und an anderen Stellen Punktgewinne zu machen. Bischof Joseph Bonnemain hat in Rom die Erfahrung gemacht, selbst von südafrikanischen Bischöfen auf Monika Schmid angesprochen worden zu sein.

Das Reformtempo im Vatikan.
Das Reformtempo im Vatikan.

kath.ch wird den Rüffel-Brief ins Englische übersetzen, damit die Bischöfe sich auch international klar genug ausgedrückt haben und künftig wichtigere Themen beackern können.

Eine rote Ampel kann zugleich grün leuchten

Kann eine rote Ampel zugleich grün leuchten? Ja, eine katholische Ampel kann das. Ein Beispiel aus der jüngsten Kirchengeschichte: Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn hat mit seinem diplomatischen Geschick die Familiensynode gerettet: indem er klarstellte, dass niemand die Absicht habe, die Lehre der katholischen Kirche zu ändern – und dennoch Konzessionen an die pastorale Realität möglich seien.

Joseph Bonnemain gibt auch der obersten Reformierten der Schweiz die Kommunion: EKS-Präsidentin Rita Famos.
Joseph Bonnemain gibt auch der obersten Reformierten der Schweiz die Kommunion: EKS-Präsidentin Rita Famos.

Daraus entstand ein nachsynodales apostolisches Schreiben «Amoris laetitia», auf das sich Bischof Joseph Bonnemain berufen kann, wenn er der Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz Rita Famos die Kommunion gibt – obwohl diese als oberste Reformierte wohl kaum an die katholische Transsubstantiationslehre glaubt. Übrigens: Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat beim Papst-Requiem die Kommunion empfangen, obwohl sie unverheiratet mit einem Mann zusammenlebt und mit ihm eine Tochter hat. «Amoris laetitia» und pastorale Klugheit machen’s möglich!

Die Bischöfe sollten die Kraft der Stille tanken

Den Schweizer Bischöfen ist das zu raten, was sie den Frauen raten: die Kraft der Stille zu tanken, bevor sie am Tag des Papst-Requiems solch einen Unsinn verzapfen.

Die Allmacht der Kleriker ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts
Die Allmacht der Kleriker ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts

Die Schweizer Seelsorgerinnen und Seelsorger hingegen sollten die Fasnachtszeit dazu nutzen, den pastoralen Ungehorsam in Fülle auszuleben und zu geniessen. Dabei können sie sich getrost auf Papst Franziskus berufen.

Auf Papst Franziskus hören

Am 6. Juni 2013 erzählten lateinamerikanische Bischöfe, Papst Franziskus habe zu ihnen in einer Audienz sinngemäss gesagt: «Reisst die Türen auf…. Reisst die Türen auf! Ihr werdet Fehler machen, ihr werdet anderen auf die Füsse treten. Das passiert. Vielleicht wird sogar ein Brief der Glaubenskongregation bei euch eintreffen, in dem es heisst, dass ihr dies oder jenes gesagt hättet… Macht euch darüber keine Sorgen. Erklärt, wo ihr meint, erklären zu müssen, aber macht weiter… Macht die Türen auf. Tut dort etwas, wo der Schrei des Lebens zu hören ist. Mir ist eine Kirche lieber, die etwas falsch macht, weil sie überhaupt etwas tut, als eine Kirche, die krank wird, weil sie sich nur um sich selbst dreht…»

Synodaler Prozess: Der Basler Bischof Felix Gmür bei der Eröffnung der Kampagne "Wir sind Ohr".
Synodaler Prozess: Der Basler Bischof Felix Gmür bei der Eröffnung der Kampagne "Wir sind Ohr".

Liebe Seelsorgerinnen und Seelsorger: Reisst weiter die Türen auf! Vielleicht lassen sich eure Bischöfe dann auch mitreissen! Bei der kath.ch-Leserschaft jedenfalls hat die Fasnacht bereits begonnen. Eine Leserin wertet in einer E-Mail an die Redaktion den Rüffel-Brief als erstes Wunder des verstorbenen emeritierten Papstes Benedikt XVI.


kath.ch-Redaktionsleiter Raphael Rauch | © KNA
6. Januar 2023 | 19:34
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