Paul Zulehner.
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Paul Zulehner: «Sensationeller Erfolg» der Synode ist möglich

Der Wiener Theologe Paul Zulehner will in der Kirche mehr «Leidenschaft für die Welt» sehen. Die aktuelle Krisen-Lage erfordere mehr «Weltzugewandtheit» und weniger Selbstbeschäftigung. Er verweist damit kritisch auf die Synode im Vatikan. Er hält aber auch einen «sensationellen Erfolg» für möglich.

Ein kritischer Geist ist er stets geblieben: Der Pastoraltheologe Paul M. Zulehner (83) arbeitet in seinem neusten Buch an der «Leidenschaft für die Welt». Und er wendet sich «Wider die Gottvergessenheit». Im Interview mit kath.ch kritisiert Zulehner die allzu langsame Umsetzung von Reformen im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils; die Kirche beschäftige sich zu sehr mit sich selbst.

Aufschiebung von Reformen fällt uns auf den Kopf

Diese zu lange Aufschiebung falle «uns genau in dieser heutigen Weltsituation auf den Kopf», so Zulehner. Er erinnerte an die im Zuge des Synodalen Prozesses durchgeführte Versammlung der Europäischen Bischofskonferenzen im Frühjahr 2023 in Prag.

Bischof Felix Gmür in Prag.
Bischof Felix Gmür in Prag.

Dort habe man sich über Genderideologie, den deutschen «Synodalen Weg» und andere kircheninternen Fragen gestritten, während zur gleichen Zeit das Europäische Parlament um Themen wie Krieg in der Ukraine, Klimakrise und Migration rang. «Und nichts davon auf der Synode in Prag», bemängelt der Theologe.

Albtraum «durchreformierte Kirche»

Zulehner nennt die Vorstellung einen Albtraum, dass die Kirche am Ende «durchreformiert» sei, während die Welt «in den Abgrund taumelt». Hier würden Prioritäten falsch gesetzt, das sei als Kirche «nicht unser Job», weil es primär um Gott und die Welt gehen müsste und nicht um die Befindlichkeit der Kirche, die letztlich nur «ein Instrument» sei.

Kirche müsste lernen, «mehr Franziskus» zu werden

Papst Franziskus habe dies klar erkannt und zuletzt mit «Laudate Deum» ein Update seiner ökologischen und sozialen Themen verbindenden Enzyklika «Laudato si» vorgelegt.

Präsentation des apostolischen Schreibens «Laudate Deum» in den Vatikanischen Gärten: Luisa Neubauer, Jonathan Safran Foer, Giorgio Leonardo Parisi, Matteo Bruni.
Präsentation des apostolischen Schreibens «Laudate Deum» in den Vatikanischen Gärten: Luisa Neubauer, Jonathan Safran Foer, Giorgio Leonardo Parisi, Matteo Bruni.

«Also die Kirche müsste lernen, mehr Franziskus zu werden.» Von Konservativen werde der Papst als «zu politisch» geprügelt. «Aber was soll die Kirche anderes tun, als sich um die Polis, das Gemeinwesen der Menschheit, zu kümmern?», so die rhetorische Frage des Theologen.

Hoffnungsplattformen bilden

«Wenn die Weltlage so zugespitzt ist, wie sie sich heute zeigt», müsste die katholische Kirche ihre Kräfte mit den anderen christlichen Kirchen, mit den anderen Religionen und mit den Menschen guten Willens bündeln und «Hoffnungsplattformen bilden», regte Zulehner an.

Angst, Vertrauen, Hoffnung
Angst, Vertrauen, Hoffnung

In einer Zeit, da auch die UNO angesichts des Krieges als konstruktive Weltorganisation versagt, sei die Kirche als «einer der grossen und vielleicht einzig noch funktionierenden Global Player» gefordert, die Krisen auslösenden Ängste zu mindern.

Junge Generation hat apokalyptische Ängste

Auch die junge Generation habe «unglaublich viele, geradezu apokalyptische Ängste», verwies der Theologe auf Bezeichnungen wie «Generation Z, also die letzte Generation», die Ausdruck einer als bedroht erlebten Zukunft seien. «In dieser Situation geht der Welt die Hoffnung aus», für die Religionen seit jeher Quelle seien.

Nicht am Thema Missbrauch «festnageln»

Zulehner plädiert auch vehement dafür, das für katastrophale Image-Werte der katholischen Kirche mitverantwortliche Thema Missbrauch offensiv «hinter sich zu bringen, statt sich dauernd selber darauf festzunageln.»

Die neue Homepage missbrauchsmuster.de
Die neue Homepage missbrauchsmuster.de

Sie müsse mit dem Fehler aufhören, dieses gesamtgesellschaftlich relevante Thema am Köcheln zu halten – etwa durch zahlreiche Einzel-Studien in jeder Diözese wie in Deutschland. Zulehner empfahl den Verantwortlichen, alle kirchlichen Archive zu öffnen und den Staat zu ersuchen, eine unabhängige Kommission für das ganze Land einzusetzen und das Thema «ein für alle Mal zum Wohl aller Kinder in dieser Gesellschaft» anzugehen.

Monarchistische Sozialform verschüttet das Evangelium

Die Übernahme absolutisch-monarchistischer Sozialformen in die äussere Verfasstheit der Kirche hat nach Zulehners Überzeugung «das Evangelium mehr verschüttet als freigesetzt».

Der britische König Charles III. zieht in Westminster Abbey ein.
Der britische König Charles III. zieht in Westminster Abbey ein.

Es gelte zu unterscheiden zwischen dem Ereignis der Bewegung Jesu, der mit seiner Reich-Gottes-Theologie «den Himmel auf die Erde bringen wollte», und deren notwendiger Institutionalisierung. Er halte es für verfehlt, die Institution Kirche als solche zu verteufeln – nach dem Muster «Jesus ja, Kirche nein». Es brauche beides, «weil die Institution ja nichts anderes ist als der Aufstand gegen das Vergessen».

Vielfalt statt Zentralismus

Wohl aber müsse ein jahrhundertelang vorherrschender «uniformistischer Zentralismus» in der römischen Kirche überwunden werden durch eine «inkulturierende Dezentralisierung», die auf regionale Erfordernisse unter Wahrung des unverzichtbar Gemeinsamen Rücksicht nimmt. «Und dann wird es eine Kirche mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten geben», prognostizierte Zulehner.

Papst Franziskus mit indigenen Teilnehmern der Amazonassynode im Vatikan, 2019.
Papst Franziskus mit indigenen Teilnehmern der Amazonassynode im Vatikan, 2019.

Vielfalt gebe es ja bereits heute, sie sei «sozusagen der Schlüssel, um die katholische Kirche aus der Stagnation rauszubringen». Bei «heißen Eisen» wie Zölibat oder Weihe von Frauen kann sich Zulehner gut vorstellen, dass diese hinkünftig regional geregelt werden.

Bekenntnis: eine Taufe, ein Glaube, ein Herr Jesus Chistus

Wie die Einheit bei dieser wachsenden Ungleichzeitigkeit und Vielfalt bewahrt werden kann, ist laut Zulehner eine Herausforderung, vor der das Christentum seit Anfang steht. «Wir werden uns – wie die gesamte Ökumene – zurückziehen auf die harten Kernaussagen: eine Taufe, ein Glaube, ein Herr Jesus Christus, das wird genug sein», so der Theologe. «Wer dieses Bekenntnis hat, gehört dazu.» Unterschiede dürfe es geben in den äusseren Formen des Lebens der Priester oder der Frage der Segnung der Homosexuellen. «Das zerstört die Einheit meines Erachtens nicht.»

Sensationeller Erfolg der Synode möglich

Damit verbunden sei eine Transformation des Papstamtes weg vom monarchistischen Herrscher in einer uniformierten Weltkirche hin zu einem «Ermutiger zu regionalen Entwicklungen, um die Kluft zwischen Kultur und Evangelium zu überbrücken». Auch kirchenrechtlich mehr Gewicht käme dann den Patriarchen, den kontinentalen Bischofskonferenzen oder in manchen Fragen sogar den Ortskirchen zu.

Weltsynode: Die neue Sitzordnung und die erstmalige Teilnahme von Frauen sind für Michael Meier nicht mehr als «Kosmetik».
Weltsynode: Die neue Sitzordnung und die erstmalige Teilnahme von Frauen sind für Michael Meier nicht mehr als «Kosmetik».

Man wird sehen, wie weit diese Art der Synodalisierung bei den beiden Weltbischofssynoden 2023 und 2024 umgesetzt werden kann, so Zulehner. Er höre von Kirchenrechts-Fachleuten der laufenden Synode, dass genau daran gearbeitet werde. «Und ich glaube, wenn das gelingt, war die Synode ein sensationeller, gigantischer Erfolg.» In diese Richtung denke auch der Papst aus Argentinien, so Zulehners Einschätzung. (kap/cm)

Der Band «Leidenschaft für die Welt. Wider die Gottvergessenheit» von Paul M. Zulehner ist im Patmos Verlag erschienen.


Paul Zulehner. | © KNA
21. Oktober 2023 | 17:00
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