Befreiung nach Art von Franziskus

Lima, 22.1.18 (kath.ch) Frieden, Einheit, Hoffnung: Diese Schlagworte standen über der Reise von Papst Franziskus nach Chile und Peru. Beide Länder ringen mit etlichen Spanungen; auch die katholische Kirche erlebt Kontroversen. Der Besuch des Papstes war daher auch ein Versuch, die Kirche als Partnerin für die Lösung sozialer Probleme anzubieten und zugleich die eigenen Reihen zusammenzuhalten.

Burkhard Jürgens

Chiles Kirche ist von einem Missbrauchsskandal erschüttert. Im Brennpunkt steht der inzwischen 87-jährige charismatische Priester Fernando Karadima, dessen grosse Zeit in die Pinochet-Ära fällt. 2011 wurde er verurteilt. 2015 ernannte Franziskus einen geistlichen Zögling Karadimas, Bischof Juan Barros, zum Leiter des südchilenischen Bistums Osorno. Doch Barros wird beschuldigt, von Karadimas Taten gewusst zu haben. Jetzt steht auch der Papst in der Kritik.

«Schmerz und Scham»

Franziskus ging das Thema offensiv an. «Schmerz und Scham» bekundete er angesichts der Vergehen an Minderjährigen in seiner Begrüssungsrede vor der scheidenden Präsidentin Michelle Bachelet und dem künftigen Staatschef Sebastian Pinera. Die Bischöfe bestärkt er in ihrer Vergebungsbitte und ihrer Hilfe für die Opfer. Später traf er mehrere Missbrauchsopfer. Franziskus habe «sie angehört, mit ihnen gebetet und geweint», sagte Vatikansprecher Greg Burke.

Kritik an Papst

Tage später liess sich der Papst von einem Lokalreporter zu einer Verteidigung von Bischof Barros hinreissen. Die Vorwürfe gegen Karadima seien nicht bewiesen. Franziskus sprach von Verleumdung. In Chile sorgte das teilweise für scharfe Kritik am Papst.

Universität mit Wissen der Ahnen verbinden

Ein zweites Thema war die Lage der indigenen Mapuche. Im Präsidentenpalast lobte er die «Weisheit der angestammten Völker». In der Katholischen Universität, einer der Top-Hochschulen Lateinamerikas, riet er der Bildungselite auf, sich den indigenen Traditionen zu öffnen – den Hörsaal mit dem Wissen der Ahnen zu verbinden. Die Mapuche selbst mahnte er zu einem friedlichen Kampf um ihre Rechte. Gewalt, so der Papst, «verkehrt die gerechteste Sache in Lüge».

Jenseits des Höflichkeitsbesuchs

Den indigenen Völkern wandte er sich auch in Peru zu. Noch vor dem üblichen Höflichkeitsbesuch beim Staatsoberhaupt flog er nach Puerto Maldonado in der Amazonasregion, um die Gier nach Öl, Gas, Gold und Edelhölzern als «Massenvernichtung» von Naturraum zu verurteilen. Raubbau sowie Monokulturen bedrohten Amazoniens Völker mehr als je zuvor. Zugleich wandte er sich gegen eine Art von Naturschutz, die die Eingeborenen von der Nutzung ihres Landes abhalten will.

Lasst euch nicht eures katholischen Glaubens berauben.

Ein etwas überraschender Aspekt seiner Reden in Puerto Maldonado war der Aufruf an die Indigenen, sich nicht ihren katholischen Glauben rauben zu lassen. Die Kirche Amazoniens brauche die Prägung durch die angestammten Völker, betonte der Papst vor den Bischöfen der Region, die 2019 zu einer eigenen Synode zusammenkommen sollen.

«Überholtes Entwicklungskonzept»

Die Glaubwürdigkeit gegenüber den Indigenen verlangte es, dass Franziskus bei Perus Präsident Pablo Kuczynski deutliche Worte wählte. Und so insistierte er auch vor den politischen Eliten auf Anerkennung und Mitbeteiligung dieser Bevölkerungsgruppe. Die auf Rohstoffexport konzentrierte Wirtschaft tat er als «überholtes Entwicklungskonzept» ab. Vor allem aber prangerte er Korruption an, eine Geissel, die vor allem «die Armen und die Mutter Erde» treffe.

Hoffnung beibehalten

Die einfachen Peruaner, die seit Jahrzehnten unter der politischen Cliquenwirtschaft leiden, hätten «kein Recht, sich die Hoffnung rauben zu lassen», sagte der Papst bei einer Messe im Norden des Landes. Dort leiden noch viele an den Folgen einer Flutkatastrophe im vergangenen Frühjahr. Die pointierte Formulierung wurde umgehend zur Titelschlagzeile in Zeitungen.

Perus bequeme Bischöfe

Klare Botschaften hatte der Papst für die Bischöfe Perus, unter denen nach Jahrzehnten des Widerstands gegen die Befreiungstheologie weiterhin ein konservativer Geist regiert. Franziskus legte ihnen nahe, die «Bequemlichkeit des Bischofshauses» zu verlassen und «Strassenbischof» zu werden.

Abgenutzte Schuhsolen

Nicht nur abgenutzte Schuhsohlen sollen das Merkmal eines guten Hirten sein: Dem Papst geht es darum, dass Glaubensverkündigung nicht echt ist, wenn nicht auch die Schuld gegenüber den Schwächsten «benannt und verurteilt» wird.

Mut zur Politik

Eine Kirche, die näher am Menschen ist und in Kauf nimmt, politisch zu sein – eine solche wünscht sich Franziskus für die besuchten Länder. Zugleich soll dies die katholische Botschaft wieder glaubwürdiger machen. Der Papst weiss, dass er dazu Priester und Ordensleute braucht – und sie zuerst aus nostalgischer Isolation und moralischen Überlegenheitsgefühlen befreien muss.

Diese seine Ansprache an die Geistlichen in Chile war mit Abstand die längste und eindringlichste der Reise. Vielleicht sogar eine der grundsätzlichsten seines Pontifikats. (cic)

 

Papst verlässt Peru | © kna Romano Siciliani
22. Januar 2018 | 09:18
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