Monika Schmid, Theologin.
Kommentar

Monika Schmid: Ich will nicht provozieren – Gottesdienst ist Heiliger Boden!

Der Neujahrsbrief der Bischöfe von Chur, Basel und St. Gallen hat die Diskussion um die liturgische Ordnung neu entfacht, die nach meinem Abschiedsgottesdienst entbrannt ist. Es ist Zeit für eine Richtigstellung und für einen neuen Blick. Die Menschen wollen keinen Medizinmann am Altar, sondern Räume für die ganz eigene Gotteserfahrung. 

Monika Schmid*

Die Bischöfe schreiben: Die Gläubigen hätten das Recht auf eine Liturgie, die nach den Regeln der römisch-katholischen Kirche gefeiert wird. Gottesdienste seien kein Experimentierfeld. Ich möchte dabei nur erwähnen, dass sich Liturgie im Laufe der Geschichte immer wieder verändert hat und zwar nicht von oben herab, sondern von der Basis her. 

Die Liturgiereform ist nicht vom Himmel gefallen

Denken wir an die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils: der Reformstau war gross. Jahre vor dem Konzil haben Studierende und wahrscheinlich auch Pfarreien neue Formen ausprobiert: die Liturgie in der Muttersprache gefeiert, den Menschen zugewandt, neue Gebete formuliert. Sie haben Liturgie nicht nur als Geheimnis des Glaubens gelebt, sondern auch als Feier der Gemeinschaft miteinander in Jesus, dem Christus. 

Felix Hunger und Monika Schmid: Die langjährige Gemeindeleiterin lässt sich von ihrem Nachfolger segnen.
Felix Hunger und Monika Schmid: Die langjährige Gemeindeleiterin lässt sich von ihrem Nachfolger segnen.

Die Liturgiereform ist nicht während des Konzils vom Himmel gefallen, was etwa Romano Guardinis «Vom Geist der Liturgie» zeigt, das erstmals 1918 erschienen ist.

Die offizielle Kirche bleibt hinter den Menschen zurück

Was schon an Erfahrungen da war, wurde diskutiert, umgesetzt und neu geregelt. Und die Ministrantinnen? Verboten auf alle Zeiten. Und doch wurden in den Pfarreien immer mehr auch Ministrantinnen zugelassen. Jahre später wurden diese von Rom «approbiert». Mit den Lektorinnen war es genau gleich. Für die Pfarrei längst eine Selbstverständlichkeit. Die offizielle Kirche bleibt hinter den Menschen zurück. 

Die Gläubigen hätten das Recht auf eine Liturgie nach den Regeln der katholischen Kirche, schreiben die Bischöfe. Haben die Gläubigen nicht auch ein Recht auf gottesdienstliches Feiern, das die Menschen abholt in ihrem Alltag, in ihrer Sprache und ihrem Selbstverständnis? 

Räume öffnen für die ganz eigene Gotteserfahrung

Eine Frau sagte mir kürzlich: «Ich kann nicht mehr in eine Eucharistiefeier. Diese patriarchale, klerikale Demonstration ertrage ich nicht mehr. Jede Eucharistie führt mir die Diskriminierung von uns Frauen vor Augen.»

Ein Kirchenfenster in Effretikon.
Ein Kirchenfenster in Effretikon.

Viele Frauen und auch Männer sehnen sich nach Gottesdiensten auf Augenhöhe. Sie wollen keinen Medizinmann am Altar, sondern Menschen, die aus ihrer eigenen tiefen Spiritualität einen Gottesdienst begleiten, Räume öffnen für die ganz eigene Gotteserfahrung. 

Es ist Zeit für eine Richtigstellung und eine neue Ausrichtung

Am 9. Januar 2022 erschien hier auf kath.ch ein Artikel mit dem Wortlaut: «Die liberale Theologin (Monika Schmid) hatte im Vorfeld angekündigt, beim Abschlussgottesdienst zu konzelebrieren. Schliesslich habe sie auch in der Vergangenheit immer wieder Messen gefeiert.»

Monika Schmid während ihres Abschiedsgottesdienstes.
Monika Schmid während ihres Abschiedsgottesdienstes.

Es stimmt schlicht nicht, dass ich im Vorfeld zu meinem Abschiedsgottesdienst irgendwo angekündigt hätte zu konzelebrieren. Dies ist eine Unterstellung, die nun immer wieder breitgetreten wird. Ich distanziere mich von dieser Aussage. 

Das tiefe Christusgeheimnis feiern

Nie habe ich einen Hehl daraus gemacht, im biblischen Sinn Abendmahl zu feiern. Wenn man mich aber gefragt hätte: Feierst du eine römisch-katholische Eucharistie, hätte ich verneint. Das kann ich als Frau nicht. 

Der Abschiedsgottesdienst war eine römisch-katholische Eucharistie, weil ein Priester diese gefeiert hat und das ganze Team auf wunderbare Art und Weise einbezogen hat. Es ging mir nie darum und es geht mir nie darum mit einem Gottesdienst zu provozieren. Ein Gottesdienst ist Heiliger Boden. Mein Anliegen war und ist mit Menschen zusammen das tiefe Christusgeheimnis zu feiern: eins werden mit Christus in der einen Liebe. Menschen berühren, das ist meine Motivation.

Seelsorgerin mit Leib und Seele

Fast 40 Jahre habe ich in der Kirche als Seelsorgerin gearbeitet und ich bin es noch immer: Seelsorgerin. Mit Leib und Seele bin ich in diesem Beruf aufgegangen. Das war und ist meine Berufung. Immer war es die Botschaft Jesu, die mich neu herausgerufen und damit berufen hat, meinen Weg zu gehen.

Monika Schmid hinterlässt in Effretikon eine blühende Pfarrei.
Monika Schmid hinterlässt in Effretikon eine blühende Pfarrei.

Mit Menschen auf dem Weg sein mit der Liebe im Herzen, die Himmel und Erde verbindet, das ist Seelsorge. Die Freude von Eltern erleben über die Geburt eines Kindes, Familien mittragen, die ein Kind verloren haben oder deren Kind mit einer Behinderung geboren wurde. Abschied nehmen von lieben Menschen, die Angehörigen begleiten und dazwischen das ganze Leben: Glück und Hoffnung, Sorgen und Ängste ernst nehmen und einfach: da-sein.

Eintauchen in den Raum der Liebe Gottes

So wie es im Konzilstext über die Kirche in der Welt von heute – Gaudium et Spes – zum Ausdruck kommt: «Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger*innen Christi.»

In der Pfarrkirche von Effretikon.
In der Pfarrkirche von Effretikon.

So waren auch die Gottesdienste in unserer Pfarrei Ausdruck dieses Miteinanders: gemeinsam immer wieder eintauchen in den Raum der Liebe Gottes, Kraft tanken, miteinander beten, singen und das Brot teilen, Christus selbst mit uns. 

Oft wird einfach daher geplappert

Auch der Abschiedsgottesdienst war eine wunderbare Feier in spiritueller Tiefe und es macht mich und die ganze Pfarrei traurig, dass dieser Gottesdienst in der Öffentlichkeit derart zerfetzt wird. Da nehmen es sich Menschen heraus, diesen Gottesdienst zu kommentieren, die keine Ahnung haben von dieser Pfarrei, die keine Ahnung haben von der Glaubenstiefe dieser Eucharistiefeier. 

Die Schuhe ausgezogen auf Heiligem Boden
Die Schuhe ausgezogen auf Heiligem Boden

Oft wird einfach daher geplappert und das Wort «Konzelebration» mantramässig wiederholt, obwohl die meisten wohl keine Ahnung haben, was eine Konzelebration wirklich ist. Aufgrund eines Filmausschnittes, den kath.ch ohne das Wissen aller Beteiligten ins Netz gestellt hat, meinen alle nun mitreden zu können. Und einige sehen schon rot, wenn sie auf einem Foto eine Frau am Altar stehen sehen.

Klarstellung der Bischöfe 

Die Bischöfe der drei Bistümern Basel, Chur und St. Gallen haben im Neujahrsbrief die Seelsorgenden auf die römisch-katholische Linie eingeschworen. «Ermutigung» nennt Bischof Felix Gmür den Brief und ganz auf der Linie des synodalen Weges. Ich frage mich, welche Vorstellung von synodal hinter einer solchen Aussage steckt. Der Brief war ein Alleingang der Bischöfe. 

Brennstab und Kühlelement? Bischof Felix Gmür und Monika Schmid in Freiburg.
Brennstab und Kühlelement? Bischof Felix Gmür und Monika Schmid in Freiburg.

Die Kirche müsse sich entscheiden zwischen synodal und klerikal, sagte der Theologe Paul Zulehner kürzlich. Synodal und hierarchisch, das beisst sich. Vielleicht müsste man vor der gross angekündigten Synode, die dieses und nächstes Jahr in Rom stattfinden wird, nochmals über die Bücher. Sonst zerfällt das Wort synodal sehr bald in eine reine Worthülse, wenn es nicht schon längst zerfallen ist. Diskussionen zum Frauenpriesteramt wurden jedenfalls rechtzeitig vor der Synode von höchster Stelle abgewürgt, ganz und gar synodal! 

Als Hirtin bei den Menschen sein

Auslöser für den bischöflichen Brief war wie erwähnt mein Abschiedsgottesdienst in Effretikon und die Solidarität einer Theologin aus dem Bistum St. Gallen, die offen dazu stand, die Grenzen kirchlicher Vorgaben dann und wann zu übertreten. Sie ist weiss Gott nicht die Einzige!

Mit diesen Gegenständen wird die Krankensalbung durch einen Priester gestaltet.
Mit diesen Gegenständen wird die Krankensalbung durch einen Priester gestaltet.

Es sind viele, die das genauso machen, die genau so oder ähnlich Eucharistie feiern, oder eine Brot- oder Abendmahlsfeier gestalten wie wir in Effretikon, die mit Sterbenden und Schwerstkranken in den Alters- und Pflegeheimen und in den Spitälern die stärkende Salbung feiern, weil sie zu diesen Menschen eine Beziehung aufgebaut haben. Es sind viele, die da und dort aus seelsorgerlichen Überlegungen über die Grenzen der kirchlichen Vorgaben gehen, sich aber nicht getrauen, offen dazu zu stehen. Stichwort: Angstkultur in der Kirche!

Ein wagemutiges Bistum

Das wünscht sich Bischof Joseph Bonnemain, so hat er es gesagt. Was er wohl darunter versteht? Der Konzils-Theologe Karl Rahner schreibt in einem Aufsatz, Mut zum Wagnis sei angesagt: «Wir leben in einer Zeit, wo es einfach notwendig ist, im Mut zum Neuen und Unerprobten bis zur äussersten Grenze zu gehen.»

Von links Sarah Paciarelli (Frauenbund), Monika Schmid und Bischof Joseph Bonnemain.
Von links Sarah Paciarelli (Frauenbund), Monika Schmid und Bischof Joseph Bonnemain.

Es ist gut, dass das Thema Liturgie diskutiert wird. Die Gläubigen haben ein Recht auf Gottesdienste, die aus grosser Glaubenstiefe gefeiert, Menschen berühren, Menschen stärken und in Beziehung bringen zum Göttlichen. Ich glaube nicht, dass Worte, allein weil sie von der Kirche als gültig abgesegnet sind, jene Identität stiften, die Kirche zusammenhält. Die Menschen müssen erkennen, dass das, was wir feiern, das tiefe Christusgeheimnis ist: Hingabe in reiner Liebe. Diese Erfahrung hält Kirche zusammen und da kommt es nicht mehr darauf an, ob eine Frau am Altar steht oder ein Mann und wer welche Worte letztlich spricht.

Warum ist kein Bischof in die Pfarrei gekommen?

Ich hätte mir gewünscht, dass auch nur einer der Bischöfe einmal einen solchen Gottesdienst mitgefeiert hätte. Ich hätte mir gewünscht, dass bevor eine sogenannte Voruntersuchung wegen liturgischen Missbrauchs (was für ein Wort!) eingeläutet wurde (wir haben es nur aus den Medien erfahren), der Bischof mit unserem ganzen Team das Gespräch gesucht hätte. 

Reformprozess: Auch Bischof Büchel will hinhören
Reformprozess: Auch Bischof Büchel will hinhören

Ich hätte mir gewünscht, der Bischof wäre in die Pfarrei gekommen und hätte sich mit Menschen ausgetauscht, die bei dieser Feier dabei waren, Menschen, die mit ihrem Leben die Pfarrei St. Martin prägen. 

Der Brief ist wahrscheinlich ein Beweisstück an die Adresse Vatikan

Stattdessen haben Sie einen Brief geschrieben. Dieser ist wohl weniger an die Seelsorgenden gerichtet. Der Brief ist wahrscheinlich vielmehr ein Beweisstück an die Adresse Vatikan: Seht her, wir haben es im Griff, wir halten uns an die Regeln, wir sind gute römisch-katholische Bischöfe.

* Monika Schmid war bis August 2022 Gemeindeleiterin in Effretikon ZH. Die ehemalige «Wort zum Sonntag»-Sprecherin hat sich immer wieder mit den Bischöfen angelegt. 2012 erhielt sie den «Herbert-Haag-Preis». Gegen sie läuft eine kanonische Voruntersuchung, weil sie bei ihrem Abschiedsgottesdienst das Hochgebet mitgesprochen hat.


Monika Schmid, Theologin. | © Christian Merz
10. Januar 2023 | 07:06
Lesezeit: ca. 6 Min.
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