Bischof Bonnemain, Lea Hollenstein, Léa Burger, Vreni Peterer und Stefan Loppacher (von links nach rechts)
Schweiz

Missbrauchspodium: Klare Worte, Teflon-Lächeln und ein Hoffnungsschimmer

An der Podiumsdiskussion in der Paulus-Akademie finden die Missbrauchsbetroffene Vreni Peterer und der Kirchenrechtler Stefan Loppacher klare Worte. Bischof Joseph Maria Bonnemain will schweigen und redet viel von Rom. Aber es bewegt sich etwas: Der Bischof votiert für ein interdiözesanes Gericht und schliesst Kontrollbefugnisse der geplanten Meldestelle nicht mehr aus.

Annalena Müller

Der grosse Saal der Paulus-Akademie  ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Ungefähr 140 Personen sind zur Podiumsdiskussion gekommen, die gemeinsam von der Paulus-Akademie und forum-Pfarrblatt organisiert wurde. Auf der Bühne Platz genommen haben Vreni Peterer (62), Missbrauchsbetroffene und Präsidentin von IG-MikU; Bischof Joseph Maria Bonnemain (75), Kirchenrechtler Stefan Loppacher (44) und die Spezialistin für institutionelle Prävention, Lea Hollenstein. Durch den Abend führt SRF-Religionsexpertin Léa Burger (36) mit professioneller Ruhe. Diese ist auch nötig, denn die Stimmung im Saal ist angespannt.

Teflon-Lächeln und Misstrauen

Das Set-up in der Paulus-Akademie erinnert an das des «SRF Club» vor einer Woche. Mit dem Unterschied: Am Montagabend sitzt das Publikum nicht hinter den heimischen Bildschirmen, sondern im Saal. Die Diskutanten und Diskutantinnen bekommen einen direkten Eindruck der Stimmung an der Basis. Und die ist, das sei vorweggenommen, nicht auf Seiten von Bischof Bonnemain.

Jeder Platz besetzt: Die Podiumsdiskussion zieht viele Menschen in die Paulus-Akademie.
Jeder Platz besetzt: Die Podiumsdiskussion zieht viele Menschen in die Paulus-Akademie.

Joseph Maria Bonnemain lächelt viel. Er spricht davon, dass er medial lieber schweigen würde. «Gegen das Misstrauen in die Kirche können nur Taten helfen.» Auf die Frage, wie sie die Worte und Taten der Bischöfe seit Studienveröffentlichung wahrgenommen habe, findet Vreni Peterer klare Worte. Vor allem in Richtung des Basler Bischofs Felix Gmür.

Schweigen wollen und Schweigen sollen

«Felix Gmür spricht, aber es wäre besser, er würde schweigen», sagt sie. Peterer bezieht sich auf Gmürs Aussagen im Podcast «Laut + Leis» zum Fall «Denise Nussbaumer». Besonders Gmürs Weigerung, sich bei Denise Nussbaumer persönlich zu melden, bevor Rom die Untersuchung abgeschlossen hat, stösst bei Peterer auf Unverständnis.

Vreni Peterer fühlte sich "im falschen Film" angesichts Felix Gmürs Lavieren im Podcast "Laut + Leis".
Vreni Peterer fühlte sich "im falschen Film" angesichts Felix Gmürs Lavieren im Podcast "Laut + Leis".

«Als ich das hörte, fühlte ich mich wie im falschen Film. Bischof Gmür hat nachweislich die Tagebucheinträge und Kontaktdaten der Betroffenen an den Täter weitergegeben. Das haben wir Schwarz auf Weiss. Dennoch findet er es unnötig, von sich aus Kontakt aufzunehmen. Er reagiert nur auf medialen Druck. Da kann ich nur den Kopf schütteln und mich wiederholen: Er würde besser schweigen.»

Für diese deutlichen Worte erhält Vreni Peterer spontanen Applaus des Publikums. Es wird nicht der einzige Zwischenapplaus an dem Abend bleiben. Die Zuhörenden positionieren sich am Montagabend mehrfach – und zwar auf Seiten derjenigen, die klare Worte finden. Das sind: Vreni Peterer und Stefan Loppacher. Den Worten Bischof Bonnemains begegnet das Publikum mit distanziertem Misstrauen.

«Kirche sitzt auf der Anklagebank»

Man müsse endlich realistisch werden, fordert der Präventionsbeauftragte Stefan Loppacher. «Die Kirche sitzt auf der Anklagebank. Nicht nur die Kirche der Vergangenheit, auch die Verantwortlichen der Gegenwart.» Bischof Bonnemains Beteuerungen, er werde sich bald in Rom für Veränderungen einsetzen, weist Loppacher als unrealistisch zurück.

Stefan Loppacher steht intern in der Kritik, erfährt aber auch sehr viel Unterstütuung.
Stefan Loppacher steht intern in der Kritik, erfährt aber auch sehr viel Unterstütuung.

«Die Idee, dass ein 86-jähriger Mann in Rom die Kirche in der Schweiz retten wird, gehört ins katholische Märchenbuch. Diese Vorstellung ist doch infantil. Das ist einer Erwachsenen-Diskussion zu einem so ernsthaften Thema nicht würdig.» Man könne nicht immer nach Rom schauen. Die Bischöfe hier müssten jetzt handeln. Zwischenapplaus aus dem Publikum. Und Teflonlächeln vom Bischof.

Wie dieses Handeln realistischerweise aussehen kann, damit hadert Loppacher. Ein unabhängiges interdiözesanes Gericht, wie von der RKZ gefordert und von den Bischöfen in Aussicht gestellt, sei sicher der richtige Weg. Aber es fehle in der Schweiz am «Know-How». Man habe in den letzten Jahren schlicht versäumt, Kirchenrechtler – und Kirchenrechtlerinnen – auszubilden. «Die Kirche braucht Fachleute. Aber sie hat traditionell ein gestörtes Verhältnis zu ihnen.» Wieder Zwischenapplaus.

Bewegung auf Seiten der Bischöfe

Allerdings: Die Stimmung der Basis und der Druck der Öffentlichkeit perlen nicht an den Bischöfen ab. Sie scheinen bereit, sich zu bewegen. Das zeigt zum einen die neue Bereitschaft, einem unabhängigen interdiözesanen Gericht zuzustimmen. Und auch die von der RKZ geforderten Kontrollkompetenzen der Meldestelle scheinen in den Bereich des Möglichen zu rücken.

Ein Hoffnungsschimmer - Bischof Bonnemain schliesst Kontrollbefugnisse nicht mehr aus.
Ein Hoffnungsschimmer - Bischof Bonnemain schliesst Kontrollbefugnisse nicht mehr aus.

In der Woche der Studienveröffentlichung lehnte Bischof Bonnemain noch jegliche Kontrollbefugnisse mit dem Hinweis ab: «Eine Meldestelle ist eine Meldestelle». Diese habe keine weiteren Befugnisse. «Das gehört nicht zum Wesen einer Meldestelle.» Von kath.ch am Montag erneut gefragt, sagte der Bischof:

«Eine Kontrollfunktion der Meldestelle schliesse ich nicht aus»

«Eine Kontrollfunktion der Meldestelle schliesse ich nicht aus. Es ist noch zu überlegen, ob die Kontrollfunktion direkt durch die Meldestelle oder durch eine andere Stelle ausgeübt wird.» Auf die Nachfrage, ob die etwaige andere Stelle eine von den Bischöfen unabhängige wäre, nickt Bonnemain.

Es sind solche Aussagen, die zeigen: Hinter dem Teflon-Lächeln, den Verweisen auf Rom und den schönen Worten bewegt sich vielleicht doch etwas. Das wäre ein Hoffnungsschimmer – nicht nur für die Zuhörenden in der Paulus-Akademie und die Missbrauchsbetroffenen. Sondern für die Römisch-katholische Kirche der Schweiz insgesamt.


Bischof Bonnemain, Lea Hollenstein, Léa Burger, Vreni Peterer und Stefan Loppacher (von links nach rechts) | © Paulus Akademie
26. September 2023 | 17:00
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