Pater Martin Werlen
Schweiz

Martin Werlen möchte zwischen Monika Schmid und Bischof Joseph Bonnemain vermitteln

Mit Sorge beobachtet Martin Werlen (60) den Zoff zwischen Monika Schmid (65) und Bischof Joseph Bonnemain (74). Er warnt vor einer toxischen Konfrontation – und bietet ein vermittelndes Gespräch in St. Gerold an. Die ausführliche Berichterstattung von kath.ch findet Martin Werlen wichtig.

Raphael Rauch

Fangen wir mal bei kath.ch an: Sind wir schuld, dass nun eine kanonische Voruntersuchung läuft?

Martin Werlen*: Ja. Es gibt da einen Zusammenhang. Ohne die mediale Berichterstattung wäre nichts passiert. Aber ich finde es gut, dass es nun eine Debatte gibt.

Nicht alle sehen das so. Vor allem Frauen der Junia-Initiative finden die mediale Berichterstattung verantwortungslos.

Werlen: Die Alternative wäre zu sagen: Wir machen im Verborgenen weiter – stehen aber öffentlich nicht dazu. Doch so kommen wir als Kirche nicht weiter! Das wäre auch nicht ehrlich. Es geht nicht, dass wir uns mit einem Nischendasein begnügen. Erst recht nicht, wenn es um eine Perle geht, die die Pfarrei St. Martin in Effretikon ist.

Monika Schmid in Effretikon.
Monika Schmid in Effretikon.

«Die Geheimnistuerei muss ein Ende haben!»

Der Freiburger Theologe Daniel Bogner wirft Laiinnen und Laien zum Teil unbewusstes klerikales Verhalten vor. Solange die Schäfchen brav den Hirten folgen oder, wie die Junia-Initiative, eine mediale Auseinandersetzung scheuen, unterstützen sie ungewollt patriarchale Machtverhältnisse. Stattdessen sei «pastoraler Ungehorsam» gefragt.

Werlen: Jahrzehntelang war es nicht erlaubt, Baustellen in der Kirche zu benennen und erst recht nicht, Lösungen vorzuschlagen. Mit Papst Franziskus können wir offen über Baustellen sprechen. Und der Papst bittet alle, miteinander Wege für das Weiterbauen zu suchen. Doch daran müssen wir uns erst gewöhnen. Lange war es angebracht, spirituelle Oasen im Kleinen zu leben und darüber ja nicht zu berichten, um diese zu schützen. Doch die Geheimnistuerei muss ein Ende haben! Wir müssen Lust auf das Diskutieren, Lust auf die kirchlichen Baustellen bekommen.

Warum sollte eine Baustelle Lust bereiten?

Werlen: Baustellen sind grossartig: Hier können wir kreativ werden. Hier kann etwas Neues entstehen. Das darf ich zurzeit in unserer Propstei St. Gerold lernen.

«Ich warne davor, in alte Muster der toxischen Konfrontation zurückzufallen.»

Trotzdem blicken Sie mit Sorge auf den Zoff zwischen Monika Schmid und Bischof Joseph Bonnemain. Warum?

Werlen: Ich warne davor, in alte Muster der toxischen Konfrontation zurückzufallen. Wir kommen in eine Schlagabtausch-Spirale, wo wir am Ende nur Frust produzieren und nichts gewinnen. Bei aller Sympathie für Monika Schmid werde ich auch die Solidaritäts-Petition nicht unterzeichnen.

Synodaler Prozess: Bischof Joseph Bonnemain (rechts) im Gespräch mit Viktor Diethelm.
Synodaler Prozess: Bischof Joseph Bonnemain (rechts) im Gespräch mit Viktor Diethelm.

Warum nicht?

Werlen: Sie steigt in das gewohnte System ein und bringt Bischof Joseph Bonnemain in die Defensive. Sie betont das Trennende, nicht das Verbindende. Wenn wir uns alle an einen Tisch setzen würden, kämen wir weiter als mit Petitionen und kanonischen Voruntersuchungen. Die Schnittmengen von Monika Schmid und Bischof Joseph Bonnemain sind viel grösser als das Trennende. Beide wollen eine lebendige Liturgie und dass die Menschen vom Evangelium begeistert werden. Darauf kommt es an. Beide können voneinander lernen.

«Bischof Bonnemain konnte nicht anders.»

Der Bischof von Chur hat nicht das Gespräch mit Monika Schmid gesucht, sondern über die Medien eine kanonische Voruntersuchung angekündigt. Auch gilt keine Unschuldsvermutung, sondern er ist überzeugt, dass ein «liturgischer Missbrauch» stattgefunden hat. Sind Sie von Bischof Joseph Bonnemain enttäuscht?

Werlen: Nein. Er konnte nicht anders. Er hat das gemacht, was aus Sicht des Wiener Liturgie-Professors Hans-Jürgen Feulmann und des bisherigen Kirchenrechts zu tun ist. Dabei lehrt uns Franziskus andere Wege: Es ist wichtig, zuzuhören, aufeinander zuzugehen, einander verstehen zu wollen – um dann gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Diese Vorgehensweise muss erst noch Eingang ins Kirchenrecht finden. Es wäre gut, wenn sich die Beteiligten und Bischof Joseph Bonnemain an einen Tisch setzen würden. Ich biete die Propstei St. Gerold mit einer grossen Baustelle als neutralen Boden an.

Können Sie nicht verstehen, dass ein Bischof rot sieht, wenn eine Frau das Hochgebet mitspricht?

Werlen: Es geht nicht nur um das Mitsprechen, es geht auch um die Gestaltung einer Eucharistiefeier. Diese hat eine Form, die nicht um der Form willen, sondern um des Inhalts willen gestaltet und gewahrt werden muss. Sie kann nicht einfach beliebig verändert werden. Die Gestaltung muss miteinander entwickelt werden, soll es nicht in einem Laissez-faire landen.

«Ich habe in Illnau Gottesdienste erlebt, wie ich sie sonst in keiner Pfarrei erlebe.»

Ein frei formulierter Gottesdienst kann genauso leer sein wie ein Gottesdienst, der sich an alles penibel hält. Es geht um die tiefe Spiritualität, die das Geheimnis des Glaubens erfahrbar macht. Ich kenne Effretikon nicht nur vom Video her, mit dem ich auch meine Mühe habe. Ich war mehrmals dort und habe Gottesdienste erlebt, wie ich sie sonst in keiner Pfarrei erlebe.

Die St. Martinskirche war voll besetzt.
Die St. Martinskirche war voll besetzt.

Was macht Effretikon so besonders?

Werlen: Ein Beispiel: Wenn ich als Priester sage «Lasset uns beten» und Raum zum persönlichen Gebet lasse, dann spüre ich oft verschiedene Reaktionen: betretenes Schweigen, Unruhe, Hust-Attacken. In Effretikon habe ich jeweils eine intensive, erfüllte Stille gespürt. Man merkt sofort: Die Menschen beten hier wirklich. Sie haben einen Sinn für die Liturgie, sie feiern diese mit.

Sie haben in Effretikon auch gefirmt. Können Sie sich an eine Firmung besonders erinnern?

Werlen: Einmal gab’s einen Jugendlichen, der kurz vor der Firmung abgesprungen ist mit der Begründung: «Ich bin noch nicht so weit.» Er hat dann aber bei der Firmung seiner Kolleginnen und Kollegen ministriert. Das hat mich umgehauen: Was für ein reflektierter Umgang mit dem Sakrament der Firmung! Monika Schmid hat die Firmlinge eng begleitet. Denen ging es nicht nur um das Ritual oder um Geschenke. Sondern wirklich um das Sakrament.

«Wir sind alle Konzelebrantinnen und Konzelebranten.»

Hat bei Ihnen mal ein Laie oder eine Laiin konzelebriert?

Werlen: Ja. In jeder Eucharistiefeier. Erwin Koller hat diesen Aspekt in seinem Offenen Brief wunderbar auf den Punkt gebracht. Er zitiert den Dominikaner Jean-Marie Tillard: «Tota communio concelebrat. – Die ganze Gemeinde konzelebriert.» Wir sind also alle Konzelebrantinnen und Konzelebranten! Der immer noch geläufige Begriff für das Tun des Priesters nimmt die Wirklichkeit der Feier nicht in Betracht, die im Zweiten Vatikanischen Konzil neu entdeckt wurde.

Sie weichen aus! Hat bei Ihnen mal ein Laie oder eine Laiin die Einsetzungsworte mitgesprochen?

Werlen: Nein. Das wäre für mich nicht stimmig. Die Liturgie besteht aus verschiedenen Teilen und verschiedenen Rollen. Damit hatte ich mit Monika Schmid nie Probleme. Wir haben unsere Gottesdienste im Vorfeld besprochen und waren uns einig: Es muss für uns beide stimmen.

«Wenn jemand die Gemeindeleitung innehat, soll er oder sie auch geweiht werden.»

Warum wäre es für Sie nicht stimmig, wenn ein Laie oder eine Laiin die Einsetzungsworte mitspricht?

Werlen: Bei der Messe geht es nicht um Aktivismus. Die verschiedenen Aufgaben sollen respektiert werden. Dazu gehört aber auch: Wenn jemand die Gemeindeleitung innehat, ist es für mich selbstverständlich, dass er oder sie auch geweiht werden sollte. Man kann nicht eine Aufgabe übertragen, ohne die dafür nötigen Kompetenzen weiterzugeben.

Gottesdienst in der Klosterkirche Einsiedeln
Gottesdienst in der Klosterkirche Einsiedeln

Sie sind Benediktiner. In Einsiedeln hält sich die Liturgie brav ans Messbuch.

Werlen: Liturgie habe ich nie als Korsett empfunden. Liturgie ist aber weit mehr als das Einhalten von Vorschriften. Das Feiern nach Messbuch kann genau so leer sein wie das Feiern ohne Messbuch, nicht so sehr leer an Menschen, sondern leer an Tiefe und an Erfahrung der Gegenwart Gottes.

«Der Bischof von Feldkirch erlaubt Pfarreien, etwas auszuprobieren.»

Im Abschlussdokument des synodalen Prozesses der Schweiz sind auch Erwartungen an die Liturgie formuliert: «Die Sprache und Formen der Liturgie sollen den kulturellen Kontexten angepasst und ihre Schönheit und ihr Reichtum bewusster und kulturell angemessen gefördert werden. Die Vielfalt liturgischer Feiern und spiritueller Formen soll gefördert werden, um unterschiedliche Menschen zu erreichen. Die synodale Dimension der Liturgie soll stärker geachtet und klerikale Engführungen sollen unterbunden werden.» Ist Monika Schmid ihrer Zeit voraus?

Werlen: Ja! Das meine ich in Bezug auf meine Erfahrungen in Effretikon, nicht in Bezug auf den dokumentierten Ausschnitt aus dem Hochgebet. Ich lebe seit 2020 in Vorarlberg und habe in der Diözese Feldkirche etwas Spannenendes kennengelernt, was auch für die Schweiz fruchtbar sein könnte: Pilotprojekte. Der Bischof erlaubt einzelnen Pfarreien, etwas auszuprobieren. Und er lässt das begleiten. Dadurch entstehen Freiräume, ohne dass es dann gleich heisst: Das ist ein Präzedenzfall – was die dürfen, das können auch wir. Ich würde mir solche Pilotprojekte auch in der Schweiz wünschen. Das Pastoralinstitut der Theologischen Hochschule Chur könnte das wissenschaftlich begleiten. Und St. Martin in Effretikon wäre ein grossartiger Ort für ein Pilotprojekt.

Auch ohne Monika Schmid? Sie ist seit einer Woche in Pension!

Werlen: Ja, allein schon wegen des Kirchenpatrons! Der Heilige Martin ist vom Volk zum Bischof gewählt worden. Und er hat sich Gängigem widersetzt, weswegen er bei anderen Bischöfen in Ungnade gefallen ist. Er konnte nichts mit pompösem Getue anfangen. Er hat sich nicht auf eine Kathedra gesetzt, sondern auf einen einfachen Sklavenstuhl. Es braucht immer wieder Neuanfänge, Pilotprojekte – St. Martin in Effretikon könnte ein geeignetes Laboratorium sein.

* Der Benediktiner Martin Werlen (60) war von 2001 bis 2013 Abt des Klosters Einsiedeln und des Klosters Fahr. Seit 2020 steht er der Propstei St. Gerold im Grossen Walsertal in Vorarlberg vor.

Abt Martin Werlen erwähnte Monika Schmid in seiner Abschiedspredigt

Am 17. November 2013, kurz vor Ende der Amtszeit von Martin Werlen als Abt, erwähnte er in seiner Abschiedspredigt auch Monika Schmid:

«Am 27. August, dem Festtag der heiligen Monika, fiel mir am späten Abend eine Monika ein, die bei Verantwortungsträgern in der Kirche nicht einen guten Namen hat: Monika Schmid, Gemeindeleiterin, Initiantin der Pfarreiinitiative. Ihr schrieb ich folgende Nachricht per E-Mail:

Liebe Frau Schmid

Zu Ihrem heutigen Namenstag sende ich herzliche Segenswünsche aus Einsiedeln!

Im Gebet mit Ihnen verbunden

Abt Martin

Und einen Tag später erhielt ich folgende Rückmeldung:

Lieber Abt Martin

Das ist ja unglaublich, dass Sie bei aller Arbeit an mich gedacht haben. Ganz herzlichen Dank für Ihre Segenswünsche zum Namenstag. Die heilige Monika ist mir sehr nah und ich bin glücklich ihren Namen zu tragen. Danke für Ihr Gebet. Ich hätte da ein Anliegen im Zusammenhang mit der heiligen Monika. Eine Familie in unserer Pfarrei leidet an ihrem Sohn … Die Mutter weint um diesen Sohn… Es ist sehr, sehr schlimm, was der Sohn dieser Mutter im Moment antut, man kann es nur der Krankheit zuschreiben. Vielleicht können sie diese Familie auch ins Gebet einschliessen. Danke ganz, ganz herzlich für alles und für Ihr Wirken.

Mit einem herzlichen Gruss

Monika Schmid

Das berührt. Weil wir eine Seelsorgerin wahrnehmen, die sich um die Menschen in ihrer Not kümmert.»


Pater Martin Werlen | © Ueli Abt
5. September 2022 | 13:44
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