Mario Pinggera ist Pfarrer in Richterswil.
Kommentar

Mario Pinggera: Ich erwarte von meiner Alma Mater klare Worte – Kyrill soll silberne Rose zurückgeben

Der Priester Mario Pinggera hat an der Uni Freiburg studiert – an der Fakultät, wo Jahre später Barbara Hallensleben den heutigen Patriarchen Kyrill mit der silbernen Rose ehrte. Ein Mann mit KGB-Vergangenheit, der wie Putin den Weltfrieden gefährdet. Zum Jahrestag des Kriegsbeginns erwartet Mario Pinggera klare Worte aus Freiburg. Ein Gastkommentar.

Mario Pinggera*

Vor Kurzem machten Nachrichten die Runde, die eigentlich keine sind, die aber – besonders in unserem Land, denn wir können Empörung besonders gut – Schlagzeilen machen: Der Moskauer Patriarch Kyrill war laut Schweizer Bundespolizei Agent des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Nun ist es also evident: sowohl der russische Präsident Putin als auch der geistige Führer Russlands, Patriarch Kyrill, sind ehemalige KGB-Agenten. 

DDR-Nostalgie und Putin-Versteher

Wobei, so ehemalig sind die beiden dann doch nicht. Wer in Berlin-Hohenschönhausen von der Bushaltestelle Freienwalder Strasse zur Gedenkstätte Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit der DDR («Stasi-Knast») läuft, wird nicht selten von älteren Menschen gefragt, wohin man denn wolle. Wenn man dann sagt, zur Gedenkstätte, wird in der Regel entgegnet: was dort geboten werde, sei alles inszeniert und nicht wahr. 

Aus der SED wurde die PDS und aus der PDS die Linke.
Aus der SED wurde die PDS und aus der PDS die Linke.

Wenn einem das passiert, dann ist man mit Sicherheit einem der zahlreichen Mitarbeitenden der Stasi begegnet, die einst an diesem Ort, dem Untersuchungsgefängnis, ihren Dienst taten. In einem einstigen militärischen Sperrgebiet, das auf keiner Karte verzeichnet war und selbst für DDR-Verhältnisse höchst geheim war. 

«Landesverräterische Nachrichtenübermittlung»

Seit Jahren darf ich Gruppen aus der Schweiz unter anderem auch an diesen Ort bringen, zuletzt die Dekanatsfortbildung des Dekanates Albis oder auch die Kirchenpflege Richterswil. Ein mittlerweile befreundeter Herr, ehemals inhaftiert in diesem Gefängnis, gewährt uns dann eine Führung. 

Allein der Wunsch, nach dem Tode seiner Grosseltern nach West-Berlin auszureisen, bescherte ihm über ein Jahr Haft wegen «landesverräterischer Nachrichtenübermittlung». Die Zeit in Hohenschönhausen war gleichzeitig Tiefpunkt seines Lebens: übelste psychische Folter über Monate hinweg. 

Kyrill ist der Hofkaplan des Kreml

Nach 1989 und der Wende verschwanden weder der KGB noch die Stasi im Nichts. Beide existierten in anderer Form weiter. So ist die Partei «Die Linke» in Deutschland nichts anderes als die Nachfolge der SED der DDR. In Russland sind Putin oder auch Kyrill nicht wenige von vielen lebenden Zeugnissen der diktatorischen Sowjetzeit. 

Putin und Kyrill im November 2021.
Putin und Kyrill im November 2021.

Kyrills Tätigkeit in den 1980er-Jahren für den KGB sollte also nicht verwundern. Besonders tragisch ist, dass er heute nicht viel mehr zu sein scheint, als der Hofkaplan des Kreml – und damit ein Adlatus des Kriegsverbrechers Putin. Papst Franziskus kritisiert das als «Staatskleriker».

Hetze gegen Homosexuelle

Diktaturen und die, die sie einst am Leben hielten, verdunsten mitnichten so einfach. Auch in Deutschland waren nach der NS-Zeit deren Exponenten noch über Jahrzehnte aktiv, sei es in der Industrie, in der Kirche oder im Staatsapparat. Die Tatsache, dass das Urteil gegen Dietrich Bonhoeffer erst im Jahre 1998 formell aufgehoben wurde, stimmt mehr als nachdenklich. 

Dietrich Bonhoeffer ist das Gesicht der Bekennenden Kirche. Er widersprach den "Deutschen Christen".
Dietrich Bonhoeffer ist das Gesicht der Bekennenden Kirche. Er widersprach den "Deutschen Christen".

Der § 175 (Strafen gegen männliche Homosexuelle; weibliche Homosexuelle spielten in der NS-Zeit so gut wie keine Rolle), 1935 durch die Nationalsozialisten erheblich verschärft, fiel erst 1994, nicht zuletzt auf Druck der WHO, aus dem deutschen Strafgesetzbuch. Hier seien kirchliche Potentaten auch in der heutigen Zeit klar davor gewarnt, mit regressiven Einstellungen nicht in die Denkwelt von einst zu verfallen. 

Laut Putin ist Pädophilie im Westen normal

Schon allein die Tatsache, dass in kirchlichen Kreisen nur daran gedacht wird, Homosexualität sei eine Sünde, erinnert bedenklich an ähnliche Laute nicht nur in Deutschland nach 1933. Und was hören wir dieser Tage aus Moskau? Putin behauptet allen Ernstes, Pädophilie sei im Westen normal und westliche Eliten wollten die russisch-orthodoxe Kirche angreifen.

"Public Eye" macht auf Verbindungen von Patriarch Kyrill zur Schweiz aufmerksam.
"Public Eye" macht auf Verbindungen von Patriarch Kyrill zur Schweiz aufmerksam.

Die Schweiz prahlt bisweilen ob ihrer hehren «Neutralität». Damals wie heute. Aber: Die DDR-Fluglinie «Interflug» unterhielt mehrere Linienverbindungen in die Schweiz, nach Zürich und Genf – und das wöchentlich. Dass deren Reisende nicht nur das Jungfraujoch besuchten, versteht sich von selbst. 

Die Landeskirche fühlt sich nicht zuständig

Auch in diesen Tagen wird der Geist der «Neutralität» wieder heraufbeschworen. Aber nur aus dem einen Grund, um sich vor notwendenden Schritten wegzudrücken. Dieses Feigenblatt vermag aber nicht darüber hinwegzutäuschen, dass es im Falle der Ukraine eher fünf Minuten nach als vor zwölf ist. Hier vermisse ich sehr die Stimme – einmal mehr – der Kirchenleitungen.

EKS-Präsidentin Rita Famos gilt als Befürworterin einer Schweizer Missbrauchsstudie
EKS-Präsidentin Rita Famos gilt als Befürworterin einer Schweizer Missbrauchsstudie

Stattdessen werden lieber Briefe geschrieben und innerkirchliche Nichtigkeiten exhumiert und zwangsbeatmet. Oder, obwohl man Landeskirche ist, fühlt man sich nicht zuständig. «Es ist nicht an der EKS, die politische Haltung der Eidgenossenschaft zur Neutralität zu kommentieren», sagt die oberste Reformierte Rita Famos in einem Interview. Ich halte diese Einstellung für falsch.

Klartext aus Österreich zur Neutralität

Wenigstens hat Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen eindeutig Stellung bezogen, als er bei der Neujahrsansprache vor dem Diplomatischen Corps in der Hofburg zu Wien mahnte: «Österreich ist militärisch neutral, aber: Wir sind nicht neutral gegenüber dem eklatanten Bruch des Völkerrechts und gegenüber Kriegsverbrechen. Neutralität ist nicht Gleichgültigkeit.» 

Barbara Hallensleben (links) überreicht Kyrill (rechts) die silberne Rose.
Barbara Hallensleben (links) überreicht Kyrill (rechts) die silberne Rose.

Kyrill hat mutmasslich eine KGB-Vergangenheit und möglicherweise auch Gegenwart. Aber er steht auch für jene Art von Geisteshaltung, welche kirchliche Obrigkeiten dazu verführt, gesellschaftlich-politische Unhaltbarkeiten religiös zu legitimieren – dazu gehören auch Kriege. Neu ist das allerdings nicht. Manchmal gibt’s dafür sogar die eine oder andere Auszeichnung. Etwa die silberne Rose durch die damalige Dekanin der Freiburger Fakultät, Barbara Hallensleben.

Symbole schaffen Wirklichkeit

Ich erwarte von meiner Alma Mater, dass sie zum Jahrestag von Putins und Kyrills Angriffskrieg auf die Ukraine klare Worte findet. Sie sollte Kyrill die Auszeichnung mit der silbernen Rose aberkennen. Gewiss, das ist Symbolpolitik. Doch auch Symbole schaffen Wirklichkeit. Und notwendige Klarheit.

* Mario Pinggera ist Pfarrer von Richterswil und Dozent für Kirchenmusik an der Theologischen Hochschule Chur. Er hat an der Universität Freiburg i.Ü. studiert und wurde von der Uni Zürich im Fach Musikwissenschaft zur NS-Geschichte promoviert.


Mario Pinggera ist Pfarrer in Richterswil. | © Christian Merz
22. Februar 2023 | 12:20
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