Maria Regli.
Porträt

Maria Regli: «Ich musste gehen, weil bleiben keine Option mehr war»

Maria Regli ist am 14. Juni aus der Kirche ausgetreten. Der Bruch fiel der Theologin nicht leicht. In den letzten Jahren sei der Handlungsspielraum immer kleiner geworden. Zuletzt sei ihr «schlicht der Atem ausgegangen». Mit ihrer Erfahrung ist Regli nicht alleine. Ihr Porträt ist auch das Porträt einer Generation katholischer Frauen.

Annalena Müller

Maria Regli (62) ist ein Energiebündel. Mit dynamischem Schritt betritt sie die Terrasse des Berner Restaurants. Bewegung sei ihr schon immer wichtig gewesen, sagt sie. Zweimal hat sie den «Jungfrau-Marathon» und den «Glacier-3000»-Run absolviert. Man glaubt es ihr sofort.

Die studierte Theologin hat einen grossen Teil ihres Berufslebens in der Kirche verbracht. Als Seelsorgerin war sie zwei Jahrzehnte in Pfarreien, der Bildungsarbeit und der Alters- und Spitalseelsorge tätig. Aber seit einigen Jahren wehe in der Kirche «ein kalter Wind».

Katholische Kindheit – rebellischer Geist

Regli wächst am Fusse des Gotthards in Andermatt UR auf. Ihre Kindheit ist katholisch und nicht frei von Konflikten. Schon ihre Mutter hadert mit der Kirche und der festgelegten Rolle der Frauen. «Aber sie hat sich damit arrangiert».

Maria Regli nachdem sie den Glacier-3000 Lauf absolviert hat.
Maria Regli nachdem sie den Glacier-3000 Lauf absolviert hat.

Ab ihrem 13. Lebensjahr besucht Regli das Gymnasium im katholischen Internat des Klosters Ingenbohl (SZ). Diese Zeit hat sie geprägt. In den 1970er Jahren herrscht dort ein strenger Ton. «Es gab Gebote und Verbote». Sie leidet unter der Härte der Nonnen und dem von ihnen gelebten Katholizismus. Gleichzeitig fasziniert sie deren religiöses Wissen.

Theologiestudium und feministischer Aufbruch

Trotz – oder gerade wegen – ihrer Zeit im Internat, entscheidet sich Regli für ein Theologiestudium. «Ich wollte verstehen, was diese Klosterfrauen antreibt, der Gottesfrage näherkommen und mich mit dem Theologie- und Bibelverständnis kritisch auseinandersetzen», sagt sie.

Es sind die 1980er – eine Zeit des Aufbruchs von unten. Die Befreiungstheologie ist en vogue. Und die feministische Theologie hält selbst im konservativen Freiburg Einzug. Mary Dalys Buch «Jenseits von Gottvater, Sohn & Co.» wird zur Bibel dieser Generation junger feministischer Theologinnen. 1986 geht Regli für ein Studienjahr nach Nijmegen (NL). Dort lehrt Katharina Halkes, die erste Professorin für feministische Theologie in Europa. Zurück in Freiburg gründet sie mit Kolleginnen «das feministische Theologinnen-Forum».

Maria Regli studierte in Freiburg Theologie.
Maria Regli studierte in Freiburg Theologie.

In diesen Jahren erkennt Regli: Es gibt ein Bibelverständnis «jenseits einer patriarchalen klerikalen Interpretation»; und Katholizismus muss nicht so starr sein wie im Klosterinternat. Es gibt Räume jenseits des Hochamtes, der Gebote und Verbote. In diesen Räumen fühlt sich Regli – wie viele andere feministische Theologinnen ihrer Generation – wohl. Dort findet sie ihre spirituelle und ihre berufliche Heimat.

Arbeit für und in der Kirche

Aber es ist kein gradliniger und, vor allem, kein konfliktfreier Weg. Als Wolfgang Haas 1988 die Leitung des Bistum Chur übernimmt, droht dies die Schweizer Katholiken und Katholikinnen zu spalten. In einem Komitee mit Studierenden der drei Schweizer katholischen Fakultäten engagiert sich auch Regli für den Widerstand.

Protest vor der Kathedrale in Chur gegen Bischof Wolfgang Haas am 17. Juni 1990.
Protest vor der Kathedrale in Chur gegen Bischof Wolfgang Haas am 17. Juni 1990.

Im Bistum Basel weht in diesen Jahren ein progressiverer Geist als in Chur. 2003 tritt sie eine Stelle als Seelsorgerin in der Pfarrei St. Josef in Köniz (BE) an. Dort hat sie viel Freiraum. Freiraum heisst in den Nuller-Jahren auch Flexibilität. Je nach Zielgruppe gestaltet Regli traditionelle Wortgottesdienste und Seelsorge, zum Beispiel in Altersheimen. Für Menschen, deren spirituelle Bedürfnisse von der rituellen Liturgie nicht gedeckt werden, entwickelt Regli andere Inhalte.

Kirche St. Josef in Köniz (BE).
Kirche St. Josef in Köniz (BE).

Regli schaut dabei auch über die konfessionellen und religiösen Grenzen hinaus. Sie absolviert einen MAS-Studiengang in angewandter Spiritualität und erhält Einblicke in andere Formen gelebter Spiritualität. Sie bietet Meditationen und Exerzitien an, baut einen spirituellen Lauftreff auf, geht «klosterwandern» und gestaltet ein neues Predigtformat mit Menschen am «Puls der Gesellschaft».

Der Wind beginnt zu drehen

Regli liebt die Seelsorge und die Projektarbeit. 2013 wechselt sie nach Biel (BE) als Leiterin der Bildungsstelle der katholischen Kirchgemeinde Biel und Umgebung. «Für mein kreatives Schaffen war es eine äusserst spannende Zeit!»

Beichtstuhl in der Kirche St. Maria, Biel
Beichtstuhl in der Kirche St. Maria, Biel

Die Kirche gerät immer mehr unter Druck. Die Missbrauchsskandale werden von einer massiven Welle an Austritten begleitet. Steuereinnahmen brechen weg und die Reputation der Kirche ist nachhaltig beschädigt. Weggefährten und feministische Theologinnen treten aus, darunter bekannte Namen wie Regula Strobel und Doris Strahm.

Fokus auf das Kerngeschäft

Zuerst gehen diejenigen, die mit den klerikalen Strukturen schon lange gefremdelt haben. Die Liberalen und Kulturkatholikinnen. Auch der Nachwuchs wird weniger. Wer sich seit Mitte der 2010er Jahre für ein Theologiestudium entscheidet, ist meist mehr traditionell als feministisch orientiert.

Priesterseminaristen an der Prozession katholischer Traditionalisten in Rom
Priesterseminaristen an der Prozession katholischer Traditionalisten in Rom

Die Pfarreien, denen weniger Geld zur Verfügung stehen, beginnen sich vermehrt auf «das Kerngeschäft» zu konzentrieren». Dieses, sagt Regli, «sind Gottesdienste und Spendung von Sakramenten». Regli arrangiert sich. Die Kirchgänger und Kirchgängerinnen sind zunehmend ältere Menschen, die für neue spirituelle Angebote weniger offen sind. Ans Austreten denkt sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Handlungsspielraum wird kleiner

Als auch in Biel gespart werden muss, bietet Regli 2018 an, zu gehen. Sie wird Pastoralseelsorgerin in Bern. Ihre neue Pfarrei engagiert sich in einem Projekt zum «ökumenischen Dialog im Quartier». Es ist genau das, was Regli mag: Austausch über die konfessionellen Grenzen hinweg. Ein Voneinander-Lernen. Und ein gemeinsames Weitergehen.

Auch in Bern geht es heute vermehrt "ums Kerngeschäft". In der Heiliggeistkirche aber wird Ökumene gelebt.
Auch in Bern geht es heute vermehrt "ums Kerngeschäft". In der Heiliggeistkirche aber wird Ökumene gelebt.

Aber der Wind habe gedreht, sagt sie. Anstelle von Austausch ging es um Abgrenzung, «um Wahrung der katholischen DNA». Die klassischen Formen der Liturgie müssen eingehalten werden. Auf die sprachlichen und rituellen Freiheiten, die in den Nullerjahren auch in Pfarreien willkommen waren, muss sie jetzt verzichten. «Eine lähmende Ängstlichkeit hat sich in der Kirche verbreitet», sagt sie.

Junia geht zu weit

Regli macht weiter. Sie engagiert sich im Frauenkirchenstreik 2019 und der Junia-Initiative, die das Frauenpriestertum fordert. Obwohl Regli selbst nie Priesterin werden wollte, unterstützt sie die Initiative. In ihrer Pfarrei und darüber hinaus, stösst beides auf wenig Verständnis.

Die freischaffende Theologin Maria Regli bei einer Trauung.
Die freischaffende Theologin Maria Regli bei einer Trauung.

Mit ihrer ökofeministischen Spiritualität eckt Regli nun zunehmend an. 2020 muss sie gehen. Es ist ein Bruch mit Nachwirkung. Wegen der «zunehmenden liturgischen Enge» und der «starren klerikalen Strukturen» sieht Regli keine Zukunft mehr für sich in der Kirche. Sie entscheidet sich, als freischaffende Theologin zu arbeiten.

Austritt als feministische Konsequenz

Wenn Regli über die Jahre spricht, die schliesslich zu ihrem Austritt führen, ringt sie sichtlich um Fassung. Sie hat ihr Leben in der Kirche verbracht, hat mit ihr um Grundsätzliches gerungen. Maria Reglis Generation hat der Strenge der Klosterinternate frauenfreundliche Räume und die Forderungen der feministischen Theologie entgegengesetzt.

«Der letzte Schritt zur Emanzipation»

Heute fühlt sich Regli wieder dort, wo sie am Anfang stand. «Die errungenen Räume werden geschlossen.» Und sie steht wieder vor der Wahl, den rigiden Klosterschul-Katholizismus, der ihr schon als junge Frau die Bewegungsfreiheit genommen hat, zu akzeptieren. Oder einen spirituellen Weg ausserhalb der katholischen Kirche zu gehen.

Sie zitiert Dorothee Sölle «Theologisches Nachdenken ohne politische Konsequenzen ist Heuchelei». Entsprechend sei der Austritt am Frauenstreik 2023 für sie konsequent und «der letzte Schritt zur Emanzipation».

Maria Regli ist keine Ausnahme. Die katholische Kirche in der Schweiz und Europa erlebt einen Exodus der Frauen. Meist geht dieser leise vonstatten. Aber das macht ihn nicht weniger substantiell. «Frauen sind der Kitt der Kirche. Ohne Kitt brechen früher oder später auch die Mauern ein. Möge die Kirche rechtzeitig daraus lernen!», sagt sie.


Maria Regli. | © Annalena Müller
27. Juni 2023 | 07:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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