Theologe Ansgar Gmür appelliert an die Kirchen, wirtschaftlicher zu denken.
Schweiz

«Man muss ja nicht wuchern – aber man kann Immobilien zu fairen Preisen verkaufen»

Die katholische und reformierte Kirche in der Schweiz verfügen über Immobilienbesitz von enormem Wert. In Zeiten von Mitgliederschwund könnten durch Verkäufe und Vermietungen neue Einnahmen generiert werden. Ansgar Gmür (69), selbst reformierter Theologe und Immobilienexperte, sagt, wie Kirchen aus ihrem Besitz Kapital schlagen könnten – ohne das Gesicht zu verlieren.

Wolfgang Holz

«Die Kirchen vernachlässigen ihr Immobilien-Portfolio komplett», kritisierte der reformierte Theologe Ansgar Gmür in seiner Masterarbeit an der Uni Zürich. Dabei befragte er 158 Kirchgemeinden. Der ehemalige Direktor des Hauseigentümerverbands geht davon aus, dass die erfassten kirchlichen Immobilien einen Wert von mindestens 2,5 Milliarden Franken haben. 

«Andere verdienen mit Immobilien Geld, die Kirchen verlieren damit Geld.»

Ansgar Gmür, reformierter Theologe

Kurioserweise seien die Immobilien für die Kirchen zumeist nur eine erhebliche finanzielle Last, geht aus der Studie hervor. «Andere verdienen mit Immobilien Geld, die Kirchen verlieren damit Geld», lautet Gmürs Fazit. Allein die reformierte Kirche des Kantons Zürich gibt laut Studie 49 Millionen Franken im Jahr für ihren Gebäudepark aus. «Für die Kirchen sind die Immobilien oftmals der drittgrösste Ausgabenposten», rechnet Gmür vor.

Einnahmen generieren

Stattdessen schlägt der reformierte Theologe und ehemaliger Hauseigentümerverbands-Direktor den Kirchgemeinden vor, durch ihre Immobilien Einnahmen zu generieren. Im Angesichts schwindender Mitgliederzahlen und demzufolge sinkender Kirchensteuereinnahmen eine gute Idee.

«Es braucht auf jeden Fall ein Leitbild und eine Strategie.»

Ansgar Gmür, ehemaliger Direktor des Hauseigentümerverbands

Doch wie kann eine Kirche auf dem Immobilienmarkt aktiv werden? Gmür empfiehlt Kirchgemeinden, in denen sich heutzutage oftmals pensionierte Kirchenpfleger um die kirchlichen Liegenschaften kümmern, sich zuerst einmal im Kirchenrat darüber klar zu werden, wohin die Reise gehen soll. Nach dem Motto: Was wollen wir mit unseren Immobilien? Wollen wir verkaufen oder vermieten? Welche weiteren Möglichkeiten gibt es?

«Sakralgebäude sind heilig»

«Es braucht auf jeden Fall ein Leitbild und eine Strategie», ist Gmür überzeugt. Für rund 40 Prozent der Kirchgemeinden seien solche Fragen, gemäss seiner Recherche, überhaupt kein Thema. Katholische Kirchgemeinden hätten durchaus positiv auf die Vermarktungsvorschläge reagiert. «Für die katholische Kirche ist es sicher schwieriger, Immobilien zu veräussern, weil Sakralgebäude ja heilig sind», sagt Gmür. Hier sei das Stichwort: Abriss. Das sei in der Reformierten Kirche nicht so ein grosses Problem.

Während seines Theologiestudiums in Zürich: Ansgar Gmür.
Während seines Theologiestudiums in Zürich: Ansgar Gmür.

Sollte eine Kirchgemeinde zu dem Schluss gekommen sein, Gebäude oder Liegenschaften verkaufen oder vermieten zu wollen, rät Gmür, sich mit anderen Kirchgemeinden in einer Stiftung oder AG zusammenzuschliessen, um ein breiteres Immobilien-Portfolio anbieten zu können. «Denn Profis können ein breites Immobilien-Portfolio meist besser vermarkten als die Kirchgemeinden selbst.»

«Höfliche Hartnäckigkeit»

Wenn der Denkmalschutz Einwände gegen den Verkauf geschützter Objekte erhebe, ist Gmür überzeugt, dass man mit «höflicher Hartnäckigkeit» einiges erreichen könne. «Man darf sich bloss nicht abwimmeln lassen, viele geben zu schnell auf.»

Aber können Kirchen Immobilien zu Marktpreisen verkaufen oder vermieten? Besteht da nicht die Gefahr, moralische Skrupel zu bekommen? Oder zu erzeugen? Ansgar Gmür als Theologe, selbst aktiv in der Funktion als Pfarrer im Urnerland, denkt pragmatisch.

Mehr wirtschaftlich denken

«Wenn eine Kirchgemeinde kein Geld mehr hat, muss sie es sich angesichts des andauernden Mitgliederschwunds und der rückgängigen Kirchensteuereinnahmen überlegen, wie sie neue Geldquellen erschliessen kann.» Nur so könne sie dauerhaft ihre caritativen und seelsorgerlichen Dienste aufrechterhalten. Sprich: Kirchen müssten in diesem Sinne anfangen, mehr wirtschaftlich zu denken, sagt Gmür.

Lebensfroh und innovativ: Ansgar Gmür. Der 69-Jährige war früher Direktor des Hauseigentümerverbands (HEV).
Lebensfroh und innovativ: Ansgar Gmür. Der 69-Jährige war früher Direktor des Hauseigentümerverbands (HEV).

«Und wirtschaftlich zu denken, bedeutet ja nicht automatisch, Wucherpreise zu verlangen», ist Gmür überzeugt. Im Vergleich zu Marktpreisen könne man faire, mittlere Preise veranschlagen. «Einfach fair bleiben, um sozial das Gesicht wahren zu können!»

Tafelsilber nicht verscherbeln

Denn Kirchgemeinden dürften ihr Tafelsilber in Gestalt von Immobilien keinesfalls verscherbeln. «Auf dem angespannten Wohnungsmarkt sorgen gerade Dumpingpreise für Neid und Ärger unter jenen Miet- oder Kaufinteressenten, die dann nicht zum Zuge kommen», warnt Gmür.

Ansgar Gmür, der vormalige Direktor des Hauseigentümer-Verbands HEV, hat nach Ende seiner beruflichen Karriere an der Universität Zürich Theologie studiert und mit dem Master-Examen abgeschlossen. Seine Abschluss-Arbeit zum Thema «Kirche und Immobilien» stellte er am 24. Oktober anlässlich einer Medienkonferenz der Öffentlichkeit vor.



Theologe Ansgar Gmür appelliert an die Kirchen, wirtschaftlicher zu denken. | © zVg
28. Oktober 2022 | 15:13
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