Auch die Kinder protestierten. Kundgebung 1970 für bessere Arbeitsbedingungen für Saisonniers.
Filmtipp

Leben im Verborgenen: «Im Land der verbotenen Kinder»

Nur nicht entdeckt werden! Jahrzehntelang lebten zehntausende Kinder von Gastarbeitenden heimlich in der Schweiz. Das Gesetz verbot es Saisonniers, ihre Familien in die Schweiz zu holen. Unglaublich, wenn man bedenkt, dass es die moderne Schweiz ohne ihre Arbeitskraft nicht gäbe. «Im Land der verbotenen Kinder» beleuchtet dieses finstere Kapitel der Schweizer Geschichte.

Natalie Fritz

Nie draussen im Schnee spielen, keine Familienausflüge in den Kinderzoo, keinen Kontakt zu Gleichaltrigen. So ging es nicht nur Luigi Fragale, der als Kind eines süditalienischen Saisonniers zweieinhalb Jahre lang heimlich in der Schweiz lebte. Die ersten Jahre seines Lebens waren geprägt von Angst; Angst davor, entdeckt zu werden. Saisonniers war es damals per Gesetz verboten, die Familie nachzuziehen. Aber neun oder gar zehn Monate ohne Frau und Kind in der Fremde, das wollten und konnten viele nicht. Und so holten sie ihre Liebsten heimlich in die Schweiz und versteckten sie so gut es eben ging.

Luigi Fragale lebte zweieinhalb Jahre im Verborgenen bis die Familie aufflog.
Luigi Fragale lebte zweieinhalb Jahre im Verborgenen bis die Familie aufflog.

Im Saisonnier-Internat nahe der Grenze

Andere, wie etwa der Musiker Fernando D’Amico, wuchsen bei den Grosseltern auf, sahen die Eltern nur wenige Monate im Jahr. Als D’Amicos Grossmutter krank wurde, verlegten ihn die Eltern in ein Internat in Domodossola, nahe der Schweizer Grenze. Ein weiterer tiefer Einschnitt in seiner kindlichen Biografie, der bis heute Emotionen weckt. In Domodossola lebte D’Amico in einem von Kapuzinern geführten Internat, das vor allem Knaben aufnahm, deren Eltern als Saisonniers die Schweiz der Nachkriegszeit aufbauten.

Rechte hatten die Saisonniers keine, ihre Lebensumstände waren häufig prekär und sie waren meist vollkommen abhängig von ihren Arbeitgebern. Nicht selten wurde zwischen Ämtern und Baufirmen Abmachungen getroffen, damit die Arbeiter keine Aufenthaltsbewilligungen und somit bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt bekamen.

Familienfoto der Familie Fragale. Nicht immer war es so heiter Sonnenschein bei der Saisonnierfamilie aus Süditalien.
Familienfoto der Familie Fragale. Nicht immer war es so heiter Sonnenschein bei der Saisonnierfamilie aus Süditalien.

Illegale Migration – ein hochaktuelles Thema

Die beiden Dokumentarfilm-Cracks Beat Bieri und Jörg Huwyler beleuchten in ihrem gut 50-minütigen Film ein wirklich dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte, das leider nur wenig an Aktualität verloren hat; schliesslich leben auch heute gegen 90’000 Sans Papiers in der Schweiz.

Im Wahlkampfjahr stellt «Im Land der verbotenen Kinder» ein wichtiges Zeitdokument dar, weil es aufzeigt, dass die Schweiz ihren Wohlstand zu einem Gutteil den Arbeiterinnen und Arbeiter aus dem Ausland zu verdanken hat; St. Moritz etwa wird von gut 3’000 Portugiesinnen und Portugiesen am Laufen gehalten. Sie alle erledigen Arbeiten, für die sich Schweizerinnen und Schweizer häufig zu gut sind.

Andererseits regt der Film dazu an, unsere Migrationsgesetze gerade hinsichtlich Familie, Kindern und Jugendlichen zu hinterfragen. Verbesserungspotenzial gäbe es nämlich durchaus…

«Im Land der verbotenen Kinder» Schweiz 2023; Regie: Beat Bieri und Jörg Huwyler; ProtagonistInnen: Luigi Fragale, Fernando D’Amico, Isabelle da Silva; Lindenfilm; gekürzte Version (50 Min) auf playsuisse.ch

Gratis zum Streamen auf www.playsuisse.ch

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Auch die Kinder protestierten. Kundgebung 1970 für bessere Arbeitsbedingungen für Saisonniers. | © Beat Bieri/Jörg Huwyler
17. August 2023 | 06:00
Lesezeit: ca. 2 Min.
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