Kardinal Kurt Koch
Theologie konkret

Kardinal Kurt Koch: «Ein Konzil hat eine viel grössere Autorität als eine Synode»

Kardinal Kurt Koch hat die Offenheit der Synode 23 geschätzt. Trotz der breiten Verankerung in der Weltkirche fehle aber der Synode die gesetzgebende Autorität, die einem Konzil zukommt. Auch unter früheren Päpsten habe es keine Tabu-Themen gegeben. «Sowohl mit Papst Johannes Paul II. als auch mit Papst Benedikt XVI. konnte ich immer alle Fragen ansprechen.»

Annalena Müller

Herr Kardinal Koch, was sind Ihre Eindrücke nach vier Wochen Synode?

Kardinal Kurt Koch*: Die vier Wochen waren nur der erste Teil. Der zweite wird nächstes Jahr folgen. Ich habe die Atmosphäre, in der die Synode stattgefunden hat, sehr positiv empfunden. Es wurde in Offenheit über die Fragen, Schwierigkeiten und Herausforderungen in der Kirche heute gesprochen. Kontrovers, aber dennoch in einer Art und Weise des gegenseitigen Zuhörens und Verstehen-Wollens. Es war gut, dass man nicht sofort pro und contra gegeneinandergestellt hat, sondern dass man versucht hat, intensiv aufeinander zu hören in einem wirklichen Geist der Synodalität.

Kurt Koch war früher Bischof von Basel – heute ist er Kurienkardinal.
Kurt Koch war früher Bischof von Basel – heute ist er Kurienkardinal.

Aus dem Kreis der Synodalen konnte man immer wieder hören, dass diese Offenheit der Diskussionskultur ein Novum sei. Dass es unter früheren Päpsten Themen gegeben habe, deren Diskussion tabu gewesen sei. Teilen Sie diese Einschätzung?

Koch: Ich teile sie nur halb. Auf der einen Seite ist es richtig: Der Geist der Synodalität, der jetzt gelebt wird, ist durch Papst Franziskus eingebracht worden. Auf der anderen Seite finde ich es falsch, diesen Unterschied einfach den Päpsten zuzuschieben. Sowohl mit Papst Johannes Paul II. als auch mit Papst Benedikt XVI. konnte ich immer alle Fragen ansprechen.

«Ich habe nie den Eindruck gehabt, dass es Fragen gebe, die man nicht besprechen darf.»

Ich habe nie den Eindruck gehabt, dass es Fragen gebe, die man nicht besprechen darf. Wenn das früher nicht gemacht worden ist, hängt das nicht einfach an den Päpsten, sondern auch an den Bischöfen, die sich vielleicht eine Selbstzensur auferlegt haben.

Wie häufig finden eigentlich Synoden statt, an denen Bischöfe aus aller Welt teilnehmen?

Koch: Bischofssynoden finden in der Regel alle drei Jahre statt. Es sind immer Bischöfe aus der ganzen Welt anwesend. Jede Bischofssynode hat sich einem bestimmten Thema gewidmet, zum Beispiel dem Bischofsamt, dem Priesteramt, dem Wort Gottes oder der Eucharistie. Jetzt war «Synodalität» das Thema.

Die Synodenaula gleicht einem Höersaal...
Die Synodenaula gleicht einem Höersaal...

An der jetzigen Synode haben sich Bischöfe und nichtgeweihte Personen zusammengefunden – wie stark ist das ein Bruch mit dem bisher Dagewesenen?

Koch: Schon bei früheren Synoden gab es sogenannte Delegierte, zum Beispiel Repräsentanten anderer Kirchen, die auch Rederecht hatten. Bei der Jugendsynode waren viele Jugendliche dabei, die einen neuen Geist eingebracht haben. Auch bei der Amazonassynode waren verschiedene Laien dabei. Neu war jetzt, dass die vom Papst Eingeladenen zahlreicher waren und auch Stimmrecht hatten.

Hat es die Atmosphäre dieser Bischofssynode verändert, dass nicht-geweihte Personen stimmberechtigt waren?

Koch: Bei der jetzigen Synode hat es eine besondere Stimmung gegeben. Ich denke, dass dies zwei Gründe hat. Frühere Synoden haben in der Synoden-Aula stattgefunden, in der die Anwesenden hintereinander wie in einem Hörsaal einer Universität sitzen und nach vorne zu den Leitenden blicken. Bei der jetzigen Synode sind es runde Tische gewesen, an denen jeweils zwölf Personen miteinander gesprochen haben. Da waren zweitens Bischöfe und Kardinäle, Experten und Vertreter anderer Kirchen und Laien und Ordenschristen und – christinnen dabei. Diese Anordnung hat es ermöglicht, dass man anders miteinander redet.

Bei der Weltsynode im Oktober 2023 sassen die Teilnehmenden um runde Tische.
Bei der Weltsynode im Oktober 2023 sassen die Teilnehmenden um runde Tische.

Inwiefern?

Koch: Früher sind die Bischöfe nach Rom gekommen und hatten ihr Votum, das sie abgeben wollten, schon vorbereitet. Man musste das Votum auch schriftlich einreichen. Bei dieser Synode war viel Raum für Gespräche auch in den Gruppen und auch für freie Äusserungen. Dies hat eine andere Atmosphäre ermöglicht. Auch die Anwesenheit von sogenannten «Nicht-Bischöfen» und ihre Redebeiträge haben wesentlich dazu beigetragen. Ich finde übrigens diese Negativ-Definition kein gutes Wort; wir haben aber bisher kein Besseres gefunden.

Aus Synodenkreisen war zu hören, dass nicht alle Bischöfe diese Meinung geteilt haben. Manchen Laien sei gesagt worden, dass es sich um keine richtige Bischofssynode handle. Was sagen Sie dazu?

Koch: Bei einer Bischofssynode hat der Papst das Recht, auch andere Mitglieder der Kirche einzuladen, wie es in der Apostolischen Konstitution «Episcopalis Communio» vorgesehen ist. Von daher ist meines Erachtens der Charakter der Bischofssynode nicht in Frage gestellt gewesen.

«Es gibt in dem Dokument so viele offene Fragen, dass man sich fragen kann, wie sie in den nächsten elf Monaten geklärt werden können.»

Beim Abschlussdokument sind die heissen Eisen «Frauen» und «sexuelle Minderheiten» nicht so zentral thematisiert wie viele es sich in der Schweiz gewünscht haben. Müssen wir erst lernen, wie Weltkirche funktioniert?

Koch: Erstens müssen wir bedenken, dass es sich nicht um ein Abschlussdokument handelt, sondern um einen Zwischenbericht. In ihm wird festgehalten, was während den vier Wochen besprochen worden ist. Dies ist die Basis, auf der der Prozess in den nächsten elf Monaten zu planen und der zweite Teil der Synode im kommenden Oktober vorzubereiten ist. Es gibt dabei in dem Dokument so viele offene Fragen, dass man sich fragen kann, wie sie in den nächsten elf Monaten geklärt werden können. Der Bericht hat zweitens nicht die Aufgabe, irgendetwas zu entscheiden, sondern aufzulisten, was diskutiert worden ist und welches die offenen Fragen sind, die jetzt zu bearbeiten sind. In diesem Sinn hat der Bericht die geführten Gespräche in ehrlicher Weise wiedergegeben. Nach meiner Meinung wird man im kommenden Jahr allerdings bei der Diskussion des Dokumentes mehr Zeit einräumen müssen.

Inwiefern?

Koch: Die Synodenteilnehmer haben während drei Wochen intensiv miteinander gesprochen. In der vierten Woche stand man unter einem gewissen Zeitdruck, den Bericht zu schreiben und zu diskutieren. Nach der Lesung der ersten Version wurden immerhin 1200 Änderungswünsche eingebracht, die während eines Tages und einer Nacht eingearbeitet werden mussten. Mir scheint, dass man für diese Phase beim nächsten Mal mehr Zeit einräumen muss.

Das Interview fand in Kardinal Kochs Besprechungszimmer in Rom statt.
Das Interview fand in Kardinal Kochs Besprechungszimmer in Rom statt.

Eine Synode kann keine Reformen beschliessen. Aber käme einer Synode wie der Weltsynode, deren Themen aus den Ortskirchen nach Rom und dann wieder über die Ortskirchen zurück nach Rom gehen, nicht gerade besondere Legitimität zu? Sogar mehr als einem Konzil – weil die Synode die Gesamtheit der Weltkirche besser abbildet?

Koch:  Nein, das glaube ich nicht. Denn ein Konzil hat eine viel grössere Autorität als eine Synode. Denn bei einem Konzil ist der gesamte Episkopat versammelt, der zusammen mit dem Papst wichtige Dokumente verabschieden kann.

«Bei einem Konzil ist der gesamte Episkopat versammelt, der zusammen mit dem Papst wichtige Dokumente verabschieden kann.»

Bei einer Synode werden die Bischofskonferenzen von einzelnen Mitgliedern vertreten, und sie hat beratenden Charakter. Auf der anderen Seite nehmen auch bei einem Konzil nicht allein Bischöfe teil. Beim Zweiten Vatikanischen Konzil sind auch Berater und Experten und auch Vertreter anderer Kirchen eingeladen gewesen, deren Beiträge man nicht unterschätzen sollte. Insofern ist das, was bei der jetzigen Synode geschehen ist, nicht ganz neu gewesen.

Was raten Sie den Schweizer Delegierten, den Katholiken und Katholikinnen in der Schweiz für die Zwischen-Synodenzeit der nächsten elf Monate?

Koch: Die Schweizer Delegierten werden jetzt berichten, wie sie die Synode erlebt haben, und wie sie in der Kirche in der Schweiz das Erfahrene einbringen wollen. Ich bin an der Synode Bischof Felix, Frau Jeppesen und Frau Jonard, die bei einer Gruppe, bei der ich dabei war, Moderatorin gewesen ist, hin und wieder begegnet und bin überzeugt, dass sie Wege suchen werden, wie sie die Bischofssynode weitertragen. Ich habe nicht zur Schweizer Delegation gehört, sondern war aufgrund meines Amtes in der Kurie Mitglied der Synode. Auch von daher steht es mir nicht zu, den Schweizer Delegierten nun Ratschläge oder «Koch-Rezepte» zu geben (lacht).

Die drei Delegierten an der Weltsynode in Rom: Helena Jeppesen-Spuhler, Claire Jonard und Felix Gmür
Die drei Delegierten an der Weltsynode in Rom: Helena Jeppesen-Spuhler, Claire Jonard und Felix Gmür

Was wünschen Sie sich persönlich von der Weltsynode, wenn sie 2024 zum Abschluss kommt?

Koch: Ich hoffe, dass der erlebte Geist der Synodalität, des Miteinander-Ringens um gemeinsame Wege nicht eine Episode bleiben wird, sondern weitergeführt werden kann und dass man noch tiefer fragt, was Synodalität ist, nämlich gemeinsam den Weg gehen. Da erinnere ich mich, dass die ersten Christen, wie wir aus der Apostelgeschichte wissen, sich selbst als «Weg» bezeichnet haben, und zwar deshalb, weil sie überzeugt gewesen sind: Jesus Christus selbst ist der Weg, und wir sind berufen, diesen Weg zu gehen. In diesem Sinn sollten wir die Synodalität noch vermehrt auf Christus beziehen, er ist die Mitte des kirchlichen Lebens. Sich darauf neu zu besinnen, dies scheint mir eine wesentliche Herausforderung zur Synodalität zu sein.

* Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch (73) ist Präsident des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen, also Franziskus’ Ökumene-Minister. 2010 wurde er vom damaligen Papst Benedikt XVI. auf diesen Posten berufen. Koch ist Protektor des Neuen Schülerkreises Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. e.V. Von 1995 bis 2010 war Koch Bischof von Basel. 


Kardinal Kurt Koch | © Annalena Müller
5. November 2023 | 07:00
Lesezeit: ca. 6 Min.
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