Jacqueline Fehr über den Holocaust: Die Schweiz ist mitschuldig
Eine Jüdin trennt sich von ihrem Mann und wird ausgeschafft. Während des Holocausts wird sie ermordet. An dieses Schicksal erinnern nun drei Stolpersteine in Winterthur. Es sind die ersten in der Eulachstadt.
Sarah Stutte
Therese, Bertha und Lina Levitus: So heissen die Mutter und ihre zwei Töchter, denen die Stadt Winterthur nun ein besonderes Denkmal setzt. Für jede von ihnen wurde am Mittwoch ein Stolperstein in den Boden vor ihrem früheren Wohnhaus in der Marktgasse eingelassen.
Heimatstadt Winterthur
Das Ehepaar Levitus wohnte mit ihren insgesamt fünf Kindern zwischen 1893 und 1908 in Winterthur und davon am längsten in der belebten Marktgasse. Die Kinder wurden in der Stadt geboren und eingeschult. Winterthur kann als ihre Heimatstadt angesehen werden, auch wenn sie hier nie ein Bürgerrecht besassen.
Nachdem sich Therese Levitus 1908 von ihrem Mann getrennt hatte und wegzog, wurde sie später mit ihren Kindern ausgeschafft. Danach lebte die Familie in Prag und versuchte, nach der Besetzung durch die Nationalsozialisten eine Ausreise nach Shanghai zu organisieren. Diese kam jedoch nicht zustande.
Mitte 1942 wurden Therese und ihre zwei Töchter in die Vernichtungslager Theresienstadt und Auschwitz deportiert. Hier wurden sie ermordet.
Neben der Rede von Stadtpräsident Michael Künzle trug Kurt Nordmann, Rabbiner der Israelitischen Gemeinde Winterthur, ein Gebet auf Hebräisch und Deutsch vor. Auch Regierungsrätin Jacqueline Fehr hielt eine kurze Ansprache.
Mitschuld der Schweiz
Darin betonte die Politikerin das damalige Behördenversagen und kritisierte die zu jener Zeit gültige Gesetzgebung und Methodik, jüdische Flüchtlinge an den Grenzen abzuweisen. Sie sprach von einer Mitschuld der Schweiz an den Schicksalen unzähliger Jüdinnen und Juden und betonte, dass dies nie wieder vorkommen dürfe.
Nach den Ansprachen, den musikalischen und lyrischen Zwischeneinlagen von Berufsschülerinnen und Berufsschülern wurden die Gedenksteine im Kopfsteinpflaster der Altstadt von zwei städtischen Mitarbeitern eingebaut.
Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus
Stolpersteine werden seit den 1990er-Jahren durch den Berliner Künstler Gunter Demnig zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus verlegt. Die Namen der Opfer, ihr Geburtsjahr und ihr Schicksal werden in knappen Worten auf den Stein graviert – ähnlich einem Grabstein.
Mittlerweile gelten die Stolpersteine als grösstes dezentrales Mahnmal der Welt, das aus über 90’000 Steinen in 27 Ländern besteht. Der 2021 gegründete Verein Stolpersteine Schweiz bemüht sich, diese Erinnerungskultur auch in der Schweiz zu etablieren. (sas)
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