Isabel Vasquez
Schweiz

Isabel Vasquez: «In der Kirche fehlt es an interkultureller Kompetenz»

Die Nationaldirektorin von Migratio, Isabel Vasquez, setzt sich zusammen mit ihrem Team für die katholischen Migrantinnen und Migranten ein. Sie will eine Brücke bauen zwischen diesen und den Pfarreien. «Es braucht ein gegenseitiges Lernen und Zugehen.» Integration fordert Vasquez von beiden Seiten.

Jacqueline Straub

Im ehrwürdigen Haus der Schweizer Bischofskonferenz in Freiburg hat seit einem Jahr die Migratio-Nationaldirektorin Isabel Vasquez im obersten Stock des Gebäudes ihr Büro. Die lichtdurchfluteten Büroräume sind klein – sie waren früher die Zellen der Novizen. Doch: Die Nationaldirektorin hat aus ihrem Büro einen atemberaubenden Blick auf die Altstadt von Freiburg und die St. Niklaus Kathedrale. Nach einem langen Arbeitstag geniesst sie dort gerne noch den Sonnenuntergang. Denn Arbeit gibt es genügend.

Isabel Vasquez blickt auf die Freiburger Kathedrale
Isabel Vasquez blickt auf die Freiburger Kathedrale

Ihr Ziel ist es, Migrantinnen und Migranten in der Kirche sichtbarer zu machen – 40 Prozent der Katholikinnen und Katholiken in der Schweiz haben eine Migrationsgeschichte. Aber auch Brückenbauerin zwischen Katholikinnen und Katholiken will sie sein. Zwischen jenen in den Pfarreien und den anderssprachigen Missionen und Gemeinschaften. Es brauche ein Aufeinanderzugehen beider Seiten.

Im Raum nebenan sitzt Miriam Stawski. Sie ist für die Dokumentation und Digitalisierung zuständig. Als «Hüterinnen der Traditionen von Migratio» bezeichnet Vasquez die Sekretärin Ruth Wicky und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Mirjam Kromer. Neu im jungen, interkulturellen Team sind die Bernerin Yolande Ngabada, die das «Gesamtkonzept Migrationspastoral» zusammen mit der Nationaldirektorin umsetzt, und der für Finanzen zuständige Ingmar Kummrow.

Das Team von Migratio
Das Team von Migratio

«In der Kirche haben die Männer das Sagen, hier bei uns sind die Frauen in der Überzahl», sagt Isabel Vasquez lachend. Dennoch: Die Arbeit findet auf Augenhöhe statt. Den kollegialen Austausch pflegt sie auch bei einer kurzen Kaffeepause mit dem Team – oder beim gemeinsamen Kochen in der Mittagspause.

Das Team von Migratio nimmt sich Zeit für Kaffeepausen
Das Team von Migratio nimmt sich Zeit für Kaffeepausen

Wer der Nationaldirektorin von Migratio zuhört, merkt schnell: Das Thema Migrationspastoral ist komplex. Sie gibt ihr Bestes, um den Missionen und anderssprachigen Gemeinschaften gerecht zu werden. Darüber hinaus ist Migratio auch für die Fahrendenseelsorge, die Circusseelsorge und die Seelsorge in den Bundesasylzentren zuständig. Das Arbeitsfeld ist also weit.

Migratio ist bei der Schweizer Bischofskonferenz angesiedelt. Bis vor ein paar Wochen lief auch die Kommunikation über die SBK. Vasquez und ihr Team haben nun aber ein eigenes Kommunikationskonzept entwickelt. Sie betreiben Facebook und Instagram und versuchen auch dort, Menschen zu erreichen – und zusammenzubringen.

Besuch bei den Missionen

Das wollen sie auch analog machen. So wollen sie in Zukunft regelmässig Gottesdienste besuchen, um den Pfarreien vor Ort den Schatz der Missionen und der Migrantinnen und Migranten näher zu bringen. Gleichzeitig besucht die Nationaldirektorin auch Festlichkeiten der Missionen. So war sie kürzlich bei einer Wallfahrt der tamilisch-katholischen Mission im Kloster Mariastein.

Viele Frauen haben einen Sari getragen bei der Wallfahrt in Mariastein
Viele Frauen haben einen Sari getragen bei der Wallfahrt in Mariastein

Isabel Vasquez wird am «Tag der Migrantinnen und Migranten», der am 24. September begangen wird, die Pfarrei St. Christophorus in Niederhasli ZH besuchen. Das diesjährige Motto lautet: «Frei in der Entscheidung auszuwandern oder zu bleiben».

Entschieden für diesen Slogan hat sich Papst Franziskus. Er hat auch für die Weltkirche bestimmt, dass immer am letzten Sonntag im Monat September der «Tag der Migrantinnen und Migranten» stattfindet. Bis 2018 hiess er in der Schweiz «Sonntag der Völker». Auf der Homepage von Migratio können Plakate, liturgische Anregungen und die Kollektenansage heruntergeladen werden.   

Tag der Migrantinnen und Migranten

«In der Kirche fehlt es noch immer an interkultureller Kompetenz», sagt Vasquez. Das habe sie nicht, weil sie Migrantin ist. «Das muss man lernen und anwenden.» An solchen Tagen wie dem «Tag der Migrantinnen und Migranten» könne das eingeübt werden, ist sich die Spanierin sicher. Sie kritisiert, dass viele Pfarreien in letzter Sekunde Pfarreimitglieder mit anderer Erstsprache bitten, die Fürbitten in ihre Sprachen zu übersetzen.

Isabel Vasquez und ihr Team von Migratio in Freiburg
Isabel Vasquez und ihr Team von Migratio in Freiburg

«Warum sind die Menschen mit Migrationsgeschichte nicht schon von Anfang an partizipativ integriert?», fragt Isabel Vasquez. Anstatt sich mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen, werde lieber darauf verzichtet, am «Tag der Migrantinnen und Migranten» im Gottesdienst auch die migrantische Seite der Kirche zu zeigen.

«Nur weil die Migrantinnen und Migranten oftmals wenig sichtbar sind in der Pfarrei vor Ort, heisst das nicht, dass sie keine Kirchensteuer zahlen oder nicht Teil der Gemeinschaft sein wollen», sagt Vasquez.

Stärker sensibilisieren

Sie kritisiert zudem, dass in kirchlichen Gremien kaum Menschen mit einer Migrationsgeschichte vertreten sind. «In der Kirche braucht es in Entscheidungspositionen definitiv mehr Migrantinnen und Migranten.» Hierfür will Migratio künftig stärker sensibilisieren und die Migrantinnen und Migranten auf ihre Teilhabemöglichkeiten hinweisen.

Um auf das Thema Migration und den Tag selbst aufmerksam zu machen, schickt Migratio im Vorfeld zum «Tag der Migrantinnen und Migranten» Informationen an die Bistümer, die diese dann an die Missionen und Pfarreien weiterleiten. «Ich frage mich aber, wie die Kirchgängerinnen und Kirchgänger zu diesen Infos kommen», sagt Isabel Vasquez. Denn viele kennen Migratio nicht – und wissen auch nicht, was mit der Kollekte an diesem Tag passiert.

Broschüren von Migratio
Broschüren von Migratio

Damit wird die Migrationspastoral unterstützt. Im Moment vor allem die ukrainisch-griechisch-katholische Seelsorge. In diesem Jahr werden auch zwei Projekte in Nigeria und Burundi unterstützt. Migratio sucht immer ganz gezielt nach Projekten für Menschen auf der Flucht.  

Dass die Kollekte im kommenden Jahr weniger werden könnte – weil durch die veröffentlichte Pilotstudie zu sexuellem Missbrauch viele enttäuscht der Kirche den Rücken kehren und die Spenden abnehmen – ist durchaus ein Thema bei Migrato. Allerdings betont die Nationaldirektorin: «Die Solidarität und die Spendenbereitschaft der Gläubigen ist wirklich sehr gross.»

Gegenseitiges Lernen

Trotzdem bestehen häufig Unterschiede zwischen den finanziellen Möglichkeiten der Missionen und der anderssprachigen Gemeinschaften und denen der Pfarreien. «Manche Pfarreien lassen sich für zwei Millionen Franken ein Pfarreizentrum errichten. Und die Missionen sammeln Gelder unter ihren Mitgliedern, um einen Raum oder die Kapelle für ein Fest zu mieten.» Das schmerzt Isabel Vasquez. «Sind wir so noch Kirche? Das darf doch nicht sein.»

Der Nationaldirektorin von Migratio ist es ein Anliegen, dass die Migrantinnen und Migrantinnen ihren Glauben auch in ihrer Muttersprache feiern können. «Aber sie müssen sich auch integrieren. Oft sind sie distanziert.» Es brauche ein gegenseitiges Lernen. Bei beiden Seiten sei manchmal Angst zu spüren.

Vitrine mit Broschüren in den Büroräumlichkeiten von Migratio
Vitrine mit Broschüren in den Büroräumlichkeiten von Migratio

Angst, dass die eigene Kultur und Wurzeln verschwimmen oder die Traditionen in der Pfarrei verloren gehen könnten. Isabel Vasquez lässt sich nicht von der Angst treiben: «Ich sehe nur eine Bereicherung.» Sie selbst besucht gerne Gottesdienste der spanischsprachigen und der französischsprachigen Mission – ist aber auch in ihrer Ortspfarrei verwurzelt.

Wenn Pfarreien sich der Integration nicht öffnen, bleiben sie in der Isolation, so Vasquez. Es brauche eine Willkommenskultur. Sie wünscht sich, dass zukünftig Missionen und Migrantinnen und Migranten nicht nur als Gast in den Pfarreien gesehen werden, sondern Teil der Kirche sind. «Denn wir sind alle Kirche. Wir sind Geschwister im Glauben.»


Isabel Vasquez | © Jacqueline Straub
17. September 2023 | 15:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
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