Thierry Moosbrugger (r.) und Thom Luz
Schweiz

«Inferno» des Sterbens theatralisch und theologisch beleuchtet

Basel, 24.5.17 (kath.ch) Eine theatralische Umsetzung von Dantes gigantischem «Inferno», dem ersten Teil seiner «Göttlichen Komödie», ist eine Herausforderung. Das Schauspielhaus Basel nahm diese an. Die kirchliche «Fachstelle katholisch bl.bs» lud zu einer Diskussion über die «Hölle» mit Regisseur Thom Luz ein.

Georges Scherrer

Der US-Bestseller-Autor Dan Brown jagt in seinem Buch «Inferno» den Hauptdarsteller Robert Langdon auf den Spuren Dantes in wahnsinniger Schnelle durch halb Europa. Der Schweizer Regisseur Thom Luz setzt in seiner Inszenierung am Basler Schauspielhaus auf Langsamkeit. Dort schreitet Dante, begleitet von Vergil und einer sehr ruhigen Musik, durch eine ewige Wiederkehr des Gleichen über eine sich leerende Bühne, ohne dass die Figur Dante, von Mitleid überwältigt, helfend eingreifen kann.

Zur Erinnerung: In Dantes «Inferno» schreitet der Dichter durch die Hölle und begegnet dort zahlreichen Gestalten aus der Mythologie und dem wirklichen Leben, die wegen ihrer Vergehen oder ihres liederlichen Verhaltens Höllenqualen ausgesetzt sind. Das vom Schauspielhaus aufgenommene Thema war ein willkommener Anlass für die Fachstelle katholisch bl.bs, religiös interessierte Menschen und Theaterleute zusammenzuführen.

Erschreckend realistisch

Die Fachstelle bemüht sich unter anderem auch um die Vermittlung gesellschaftlicher oder kultureller Entwicklungen und Ereignisse an die Mitglieder der Kirchen in Basel-Stadt und Basel-Landschaft oder an religiös interessierte Menschen. So lud es denn vor der Aufführung zu einer Begegnung mit Regisseur Luz ein. Was nicht ganz unnütz war. Denn die Einführung erlaubte es, sich besser mit der gebotenen Inszenierung auseinander zu setzen. Diese war modern, aber schlüssig – und, für jene, die sich die Voten des Regisseurs angehört hatten, erschreckend realistisch.

Vor den Gästen der Fachstelle brachte der Regisseur die von ihm in Szene gesetzte Vision Dantes des «Höllische» mit folgenden Worten auf den Punkt: Auf der Bühne sind zwischen alten Requisiten, die weggestellt und entsorgt werden, einige Figuren aus dem Werk Dantes «abgestellt», warten also selber darauf, beseitigt zu werden. Mit keinem einzigen Wort stellte Luz jedoch eine Verbindung zu den Sterbehilfeorganisationen her. Vielmehr wies er auf den eigentlichen Vorgang des Sterbens hin und benützte dabei das Wort «Amnesie», den Ausfall des Gedächtnisses.

«Unbefreiendes Mitleid»

Der Zufall wollte es, dass genau an dem Tag, an dem das Stück im Schauspielhaus im Januar seine Premiere hatte, der Vater des Regisseurs starb. Thom Luz erlebte den Vorgang des Sterbens direkt mit und machte sich dabei seine eigenen Gedanken über Dantes göttliche Komödie. Er beobachtete, wie die Erinnerungen langsam entschwanden. Wie «Dante» im Stück «Inferno» konnte der Regisseur seinem Vater nicht helfen. Thom Luz sprach von einem «unbefreienden Mitleid». Auf diese «grösst mögliche Verdichtung des Mitleids» und der Auswegslosigkeit folgte, so Luz, der Übergang in den Fluss des Vergessens.

Mit seiner Interpretation verwirklichte Luz gemäss seinen Worten keine «theologische Deutung der Hölle». Sein Ziel beschrieb er mit den Worten: «Vergessen in der Amnesie ist ein furchtbarer, aber auch paradiesischer Zustand. Ich wollte (auf der Bühne, die Red.) einen Raum bauen, auf dem der Zuschauer wie auf einem Grat gehen kann, denn ich predige nicht und schlage keine Lösungen vor.»

Um den Abend abzurunden hatte Thierry Moosbrugger, bei der Fachstelle katholisch bl.bs zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, als Einführung im Gespräch mit Thom Luz einige «theologische Deutungen der Hölle» vorgestellt. In der Bibel ist von Finsternis, Heulen, Zähneklappern und einem «Feuersee» die Rede. Der katholische Katechismus hält fest, dass es die Hölle gebe und diese ewig dauere.

Reinigung und Paradies

Die neuere Theologie bemühe sich, so Moosbrugger, das «Höllendogma» aus einer anderen Perspektive anzugehen. Der Schweizer Theologe Karl Rahner sprach von der Möglichkeit, dass die Hölle «am Ende leer» ist, denn die ewige Verdammnis werde verbindlich nicht gelehrt.

In die Nähe von Thom Luzs Inszenierung setzte Moosbrugger eine Interpretation, die der Theologe Hans Küng wagte. Er bezeichnete die Hölle als den Moment eines sterbenden Menschen. In diesem Augenblick begegne der unfertige und unvollkommene Mensch dem heiligen, unendlichen und liebevollen Gott. Diese Begegnung stelle sich Küng als zutiefst beschämend, schmerzhaft und deswegen «reinigend» vor.

Diese Reinigung setzte Luz in seinem Inferno mit dem Eintritt seiner Figuren in den Fluss des Vergessens «Lethe» um, wie er in der griechischen Mythologie heisst. Dante bewegt sich in der «Göttlichen Komödie» in Richtung des «Purgatorio», der Läuterung, weiter. Der Schluss des Stücks «Inferno» lässt den Zuschauer zwischen «unbefreiendem Mitleid» und Hoffnung den Theatersaal verlassen.

Das Stück «Inferno» wird noch einmal am 20. Juni im Schauspielhaus Basel aufgeführt.

Thierry Moosbrugger (r.) und Thom Luz | © Georges Scherrer
24. Mai 2017 | 08:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Eine Kirche, die unters Volk geht

Es ist nicht das ersten Mal, dass die Fachstelle katholisch bl.bs die Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus Basel umsetzt. «Theater und Kirche haben viele gemeinsame Beziehungspunkte», sagte Thierry Moosbrugger gegenüber kath.ch. In jedem Theaterstück gehe es immer um religiöse Fragen, um Leben und Tod. Aus diesem Grund seien Kooperationen mit dem Theaterbasel «spannend». Moosbrugger begrüsst es, dass sich die Theaterleute in Basel auf den Dialog mit der Kirche einlassen.

Die Begegnung mit dem Stück «Inferno» sei gewählt worden, «weil die Hölle in der Kirche zu einem Tabuthema geworden ist.» Es sei darum verlockend gewesen, Leute, die in der Kirche zu Hause sind, mit der Sichtweise des Infernos durch heutige Theaterleute zu konfrontieren.

Vor einem Jahr fand eine solche Begegnung im Zusammenhang mit der Aufführung des Musicals «Jesus Christ Spuerstar» statt. Moosbrugger würde es wünschen, wenn derartige Begegnungen zwei Mal jährlich organisiert werden könnten. «Denn das Theater möchte auch mit uns eine solche Kooperation pflegen. Sie dient beiden», so Moosbrugger. «Wir bringen zusätzliches Publikum, das sich zudem auf eine ganz spezielle Art mit den vorgestellten Themen auseinandersetzt.» Dies ermögliche dem Schauspielhaus andererseits, die Theraterstücke aus einem anderen Blickwinkel, jenem der Kirchen, in die Gesellschaft einzubringen.

Bedrohte Fachstelle

Diese Öffnung auf verschiedene gesellschaftliche Bereiche wie die Kultur kommt in der Region Basel nicht überall gut an. Der Landeskirchenrat der römisch-katholischen Landeskirche Baselland will die Zusammenarbeit mit der Fachstelle kündigen. Der Landeskirchenrat begründete seinen Entscheid mit Umstrukturierungen aufgrund der Bildung von Pastoralräumen und mit anderen Bedürfnissen auf dem Land. (gs)