Hubert Wolf
Theologie konkret

Hubert Wolf: «Wenn die Bischöfe nicht um ein Indult bitten, müssen sie auch nicht jammern»

Die katholische Kirche könnte verheiratete Männer zu Priestern weihen – und sogar geweihten Priestern die Ehe erlauben, sagt der Kirchenhistoriker Hubert Wolf. Das war lang Tradition. In pastoraler Not ist ein Bischof verpflichtet, den Papst um ein Indult zu bitten. «Weiter tatenlos zusehen, ist für Nachfolger der Apostel schlicht unwürdig.Ebenso sollten die Bischöfe in der Schweiz das Frauendiakonat einfordern.

Jacqueline Straub

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Stimmen, die die Aufhebung des Zölibats forderten. Wollen diese – darunter auch Bischöfe – wirklich den Zölibat aufgeben?

Hubert Wolf*: Den Zölibat als Charisma der Ehelosigkeit aufheben, will niemand in der katholischen Kirche.

Sondern?

Wolf: Es geht um das Junktim priesterliches Amt und Ehelosigkeit, das aufgebrochen werden soll: Neben zölibatär lebenden Männern soll es wieder verheiratete Priester geben, wie es unserer Tradition entspricht, weil Enthaltsamkeit – wie es im Zweiten Vatikanum treffend heisst – nicht zum «Wesen des Priestertums» gehört und es «hochverdiente Priester im Ehestand gibt».

«Dafür müsste der Papst gar nicht viel tun.»

Hiesse?

Wolf: Die Zielrichtung ist völlig richtig. Mir ist nur der Sprachgebrauch «Zölibat aufheben» viel zu unspezifisch. Meint man damit, die Ehe als Weihehindernis oder die Weihe als Ehehindernis zu beseitigen oder beides? Gilt das ab jetzt? Oder auch rückwirkend?

Seit wann ist die Weihe ein Ehehindernis?

Wolf: Definitiv seit dem Zweiten Laterankonzil im Jahr 1139: Wer bereits geweiht ist, kann nicht mehr um das Sakrament der Ehe bitten. Andersherum ist aber erst seit dem Codex des katholischen Kirchenrechts (CIC) von 1917 die Ehe definitiv ein Weihehindernis. Bis dahin konnten Verheiratete prinzipiell um die Weihe bitten, was heute in den katholischen Ostkirchen noch gilt. Dafür müsste der Papst gar nicht viel tun, er müsste nur das von ihm approbierte Kirchenrecht für die Ostkirchen (CCEO) auch für die lateinische Kirche übernehmen. Kein wirklich grosser Aufwand.

Das Kirchenrecht (Codex Iuris Canonici, Cic) hinter roten Buchdeckeln.
Das Kirchenrecht (Codex Iuris Canonici, Cic) hinter roten Buchdeckeln.

Dass ein verheirateter Mann zum Diakon geweiht werden kann, diese Tradition haben wir in der katholischen Kirche ja bereits.

Wolf: Richtig. Das bräuchte nur auf die Priesterweihe ausgedehnt werden.

Was ist aber jetzt, wenn bereits Geweihte um die Ehe bitten?

Wolf: Da ist der Weg etwas komplizierter, weil wir kein aktuelles Modell in der unierten Ostkirche oder beim Diakon haben, welches eins zu eins umgesetzt werden könnte. Aber bis 1139 war die Eheschliessung bereits Geweihter ebenfalls Teil unserer Tradition. Es gäbe drei Möglichkeiten: eine generelle Regelung für die Weltkirche, ein Indult für eine Kirchenprovinz oder einzelne Diözesen oder Dispensen für Einzelfälle. Im ersten Fall müsste der Papst das Kirchenrecht grundsätzlich ändern.

«Ein Indult ist als generelle Lösung für ein kirchliches Gebiet von einem solchen Dispens zu unterscheiden.»

In einem früheren Interview sagten Sie mir, dass die Schweizer Bischöfe den Papst um ein Indult bitten sollten. Was heisst das konkret?

Wolf: Das bedeutet, dass die Bischöfe den Papst bitten, dass sie für ihre Kirchenprovinz jenseits von Einzelfällen generell von der verbindenden kirchenrechtlichen Verpflichtung zum Zölibat für Priester freigestellt werden möchten, so dass es künftig verheiratete und zölibatäre Priester in der Schweiz geben kann und die Bischöfe sowohl verheiratete Männer zu Priestern weihen können als auch gegebenenfalls geweihte Priester zum Ehesakrament zulassen.

Schon heute können Bischöfe eine Zölibats-Dispens für verheiratete Männer, die Priester werden wollen, in Rom beantragen.

Wolf: Ja, dabei handelt es sich meist um evangelische Pfarrer, die zum katholischen Glauben konvertieren. Das sind aber Einzelfälle und Einzelentscheidungen. Ein Indult ist als generelle Lösung für ein kirchliches Gebiet von einem solchen Dispens zu unterscheiden.

Diakon mit diagonal über die Albe gelegte Stola.
Diakon mit diagonal über die Albe gelegte Stola.

Was schlagen Sie vor?

Wolf: In den deutschsprachigen Ländern gibt es seit Jahren in Glauben und Leben bewährte ständige Diakone und auch Pastoralreferenten. Diese verfügen auch über eine entsprechende theologische Ausbildung. Sie könnten in einem ersten Schritt geweiht werden.

Ständige Diakone und Pastoralreferenten gibt es aber nicht in allen Ländern der Weltkirche. Wie soll es dort vonstattengehen?

Wolf: Man muss die Situation in jeder Ortskirche genau anschauen und Voraussetzungen definieren, die gegeben sein müssen, damit jemand als «vir probatus» überhaupt in Frage kommt.

Johannes Paul II. 1984 in Genf.
Johannes Paul II. 1984 in Genf.

Wie könnten die Kriterien hierfür aussehen?

Wolf: In «Sapientia Christiana» von Papst Johannes Paul II. werden menschliche Reife, theologische Kompetenz und spiritueller Tiefgang als Voraussetzungen für eine Zulassung zur Weihe genannt. Wie die theologische Kompetenz im jeweiligen kulturellen Kontext genau aussehen sollte, müssten die Kirchen vor Ort erarbeiten und festlegen. Hier kann es pluriforme Lösungen geben. Aber klar muss sein: Der Pfarrer ist der theologische Experte vor Ort.

Es gibt aber Regionen, in denen die Bevölkerung eh schon eine niedrige schulische Ausbildung hat. Wie soll dort die theologische Expertise aufrechterhalten werden?

Wolf: Das müssen Sie schon die Hirten vor Ort fragen. Über theologische Kompetenz sollten doch auch zölibatär lebende Priester verfügen. Oder ersetzt, Ihrer Ansicht nach, das Versprechen der Ehelosigkeit ein theologisches Studium?

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Selbstredend nicht. Wie würde diese Ausbildung aussehen?

Wolf: Gerne können wir uns über Tridentinische Seminare, Universitätsstudium oder Theologischen Fernkurs ein andermal unterhalten. Von Einheitsmodellen halte ich jedenfalls gar nichts.

Und wie sieht es mit verheirateten Priestern aus, die in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung leben?

Wolf: Das ist ein anderes, sehr komplexes Thema. Wollen Sie wirklich das Fass der kirchlichen Sexualmoral hier auch noch aufmachen (lacht)?

«Der Papst müsste in einem ersten Schritt eigentlich nur eine Tradition wieder aufleben lassen.»

Dann bleiben wir bei unserem Thema: Denken Sie, dass wegen dieses vermeintlichen Problems Papst Franziskus bislang noch nicht am Zölibat gerüttelt hat?

Wolf: Das glaube ich nicht. Für mich ist das eine andere Frage, die nicht mit unserem Thema vermischt werden sollte. Es ist eine bewährte Taktik von Reformverweigerern und «Reaktionären», die mit dem Thema der «Homo-Ehe von Priestern» davon ablenken wollen, dass der Zölibat nach der Lehre der Kirche nicht zum Wesen des Priestertums gehört. Nochmals: Der Papst müsste in einem ersten Schritt eigentlich nur eine Tradition wieder aufleben lassen, die erst 1917 abgeschafft worden ist. Kardinal Pietro Gasparri schrieb bei den Beratungen über den CIC 1917: «Das bisherige Recht ändernd, nehmen wir den verheirateten Mann, den ‘vir uxoratus’, der um die Weihe bittet, nicht mehr auf.» In einem zweiten Schritt sollten geweihte Priester die Möglichkeit bekommen zu heiraten. In einem dritten sollten wegen Heirat suspendierte Priester wieder in ihr Amt zurückkehren.

Könnten Sie sich vorstellen, dass dann Enkelkinder der Bischöfe und Päpste zukünftig im Petersdom herumspringen, die dann als Ministrantinnen und Ministranten dem Papst, ihrem Opa, dienen?

Wolf: Es ist schön, wenn Sie sich darüber schon so fantasievolle Gedanken machen. Aber meine Überlegungen sind viel banaler. Als Kirchenhistoriker frage ich – weil mir die spekulative Kraft eines Systematikers fehlt – ganz praktisch: Was wäre jetzt konkret zu tun, wenn man wirklich verheiratete Priester wollte? Welche unterschiedlichen Modelle und Wege gibt es? Wo kann uns die Geschichte der Kirche helfen?

Papst Franziskus mit indigenen Teilnehmern der Amazonassynode im Vatikan, 2019.
Papst Franziskus mit indigenen Teilnehmern der Amazonassynode im Vatikan, 2019.

Dennoch muss gefragt werden, was ist, wenn eine Ehe eines verheirateten Priesters scheitert.

Wolf: Ja natürlich, denn Scheitern gehört zu Menschen und zu Priestern gleichermassen. Aber nach Kirchenrecht gilt ja für jede Ehe: Eine «Trennung von Tisch und Bett» ist erlaubt. Dass etwas scheitert, kommt vor. Wenn es zu einer neuen Beziehung kommt, stünde dem Priester wie jedem Christenmenschen der Weg der Annullierung seiner ersten Ehe offen. Doch: Zahlreiche katholische Ehen gelingen auch heute noch. Warum sollte das mit Gottes Hilfe bei Priestern anders sein?

Bei der Amazonassynode haben 80 Prozent der Bischöfe verheiratete Priester gefordert. Warum ist Franziskus diesem Appell nicht nachgekommen?

Wolf: Ich frage anders herum, warum sind diese Bischöfe nach Ende der Coronapandemie nicht zum Papst und haben um ein Indult für Amazonien gebeten? Wenn zu den Amazonasbischöfen noch fünf Schweizer Bischöfe und 20 Bischöfe aus anderen europäischen Ländern hinzukommen würden, dann möchte ich sehen, wie Franziskus reagiert. Darf man Katholikinnen und Katholiken in Amazonien länger die Feier der sonntäglichen Eucharistie vorenthalten und sie damit eines zentralen Gnadenmittels berauben, wie es schon seit Jahren geschieht? Die Bischöfe als Nachfolger der Apostel müssen hinstehen, brauchen Rückgrat.

«Über theologische Kompetenz sollten doch auch zölibatär lebende Priester verfügen.»

Offensichtlich ist die pastorale Not noch nicht so gross in der Weltkirche, wenn sowas noch nicht passiert ist. Oder sind dort machtpolitische Motive ausschlaggebend?

Wolf: Ich frage zurück: Wenn 80 Prozent der Bischöfe auf der Amazonassynode dafür gestimmt haben, dann müssten doch jetzt 80 Prozent dieser Bischöfe genau dies tun – also um ein Indult für die Weihe verheirateter Männer bitten. Das wäre doch die logische Folge. Die Bischöfe müssen ihren Job machen. Wenn die Bischöfe nicht um ein Indult bitten, müssen sie auch nicht jammern, dass sie das Gebot Jesu, zu seinem Gedächtnis so oft wie möglich Eucharistie zu feiern, mit Füssen treten. Kann Bischöfen, die das glauben, was sie verkünden, ein Kirchengesetz wirklich wichtiger sein als ein Gebot Jesu?

Können auch verheiratete Frauen zur Priesterinnen geweiht werden?

Wolf: Sie möchten schon wieder ein neues Fass aufmachen. Wenn Sie die Frauenfrage mit dem Zölibat verbinden, vermischen Sie Äpfel mit Birnen. Ich wäre froh, wenn der Ankündigungsrhetorik mancher Bischöfe beim Thema Zölibat endlich Taten folgen würden. Und verheiratete Diakone (weiblich und männlich) kann ich mir durchaus vorstellen.

Gemeindeleiterin Dorothee Becker leitet die Kommunionfeier in der Kirche St. Franziskus in Riehen BS, Juli 2021
Gemeindeleiterin Dorothee Becker leitet die Kommunionfeier in der Kirche St. Franziskus in Riehen BS, Juli 2021

Was wäre der erste Schritt?

Wolf: Wir haben den Beschluss der Amazonassynode. Wir haben in unserer Kirche – insbesondere in den unierten Ostkirchen – verheiratete Männer als Priester. Diesen ersten Schritt sollten wir nun umsetzen, und zwar, wenn notwendig, in durchaus unterschiedlicher Geschwindigkeit in den verschiedenen Regionen der Weltkirche, katholisch eben! Und die Bischöfe in der Schweiz können auch gleich um ein zweites Indult bitten, Frauen zu Diakonen zu weihen. Diese gehören ebenfalls zur Tradition unserer Kirche.

Warum verwenden Sie die männliche Form und nicht Diakoninnen?

Wolf: Von manchen in Rom und anderswo wird gerne von Diakoninnen oder Diakonissen gesprochen und damit ein ‹Diakonat light› angedeutet. Ich spreche von «diaconos» als Amtsbegriff ohne Geschlechtsdifferenzierung: Der Diakonat ist die unterste Stufe der Weihe, sie gilt für männliche und weibliche Empfänger mit gleichen Rechten und Pflichten.

«Weiter tatenlos zusehen, ist für Nachfolger der Apostel schlicht unwürdig.»

Was passiert, wenn Ihr vorgeschlagenes Modell nicht umgesetzt wird?

Wolf: In Deutschland und der Schweiz werden immer mehr Pfarreien zusammengelegt. Das ist dramatisch. Die Verbindung von Seelsorge und Sakramentalität geht immer mehr verloren, was doch gerade Katholisch-Sein nach der Lehre der Kirche und dem Empfinden vieler Gläubigen ausmacht. Die immer wieder eingeschärfte Sonntagspflicht hat als Kehrseite ein Recht der Gläubigen auf eine Eucharistiefeier in ihrer Kirche. Und der Bischof hat gefälligst dafür zu sorgen, dass das möglich wird. Wenn nicht, würde ich von einer strukturellen Sünde unserer Kirche sprechen. Weiter tatenlos zusehen, ist für Nachfolger der Apostel schlicht unwürdig. Als Priester und Mitglied einer in ihrer Existenz gefährdeten Spezies steht man heute schon unter Artenschutz. Wenn nichts geschieht, wird man uns bald nur noch in speziellen zoologischen Gärten bewundern können.

* Hubert Wolf (64) ist der gefragteste katholische Kirchenhistoriker in Deutschland. Er lehrt an der Universität Münster und ist Priester der Diözese Rottenburg-Stuttgart. 2019 erhielt er von der Universität Bern die Ehrendoktorwürde.


Hubert Wolf | © Jacqueline Straub
10. März 2024 | 06:00
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