Hubert Wolf
Story der Woche

Hubert Wolf: Schweizer Bischöfe sollen verheiratete Männer zu Priestern weihen

Die Bischöfe sollen ihre bischöfliche Macht in Anspruch nehmen, sagt der Kirchenhistoriker Hubert Wolf. Das bedeute, Papst Franziskus um einen Indult zu bitten, um verheiratete Männer zu Priestern oder auch Frauen zu Diakoninnen zu weihen. Ein Gespräch über den unsynodalen Papst Franziskus, Monika Schmid – und Sex.

Jacqueline Straub

Wie blicken Sie auf den synodalen Prozess der katholischen Weltkirche?

Hubert Wolf*: Ich bin sehr skeptisch. Nun werden die Gläubigen motiviert, sich zu beteiligen und mitzudenken. Es werden Hoffnungen geweckt. Es ist ein ganz gefährliches Spiel mit dem Feuer – wenn keine Reformen eintreten, wird die Kirche auch jene verlieren, die bislang noch willig waren, mitzumachen. Das gleiche ist beim Synodalen Weg in Deutschland erkennbar: Es wurde so viel diskutiert und schlussendlich kam nichts anderes dabei heraus, als den Heilige Vater wieder einmal zu bitten, das Ganze zu prüfen.

Bischof Johannes Vonderach von Chur (Mitte) eröffnet am 23. September 1972 in Zürich-Witikon die Synode 72.
Bischof Johannes Vonderach von Chur (Mitte) eröffnet am 23. September 1972 in Zürich-Witikon die Synode 72.

Schon bei der Würzburger Synode und bei der Synode 72 wurde viel gefordert…

Wolf: … und nichts ist eingetreten. Das kann sich die Kirche nicht noch einmal leisten. Das machen die Menschen nicht nochmals mit. Vor allem, weil Reformen nicht nur in Westeuropa gefordert werden. Bei der Amazonas-Synode 2019 wurde ich von den brasilianischen Bischöfen eingeladen, um mit ihnen Quellen zum Zölibat zu studieren. Die sehr konservativen Bischöfe wollten wissen, ob verheiratete Priester neben zölibatär lebenden Priestern zur Tradition der Kirche gehören oder nicht.

Zu welchem Ergebnis kamen Sie?

Wolf: Das Zweite Vatikanische Konzil sagt, dass der Zölibat nicht zum Wesen des Priesters gehört und dass es neben den zölibatär lebenden Priestern auch verheiratete gibt. Wir haben uns die Praxis der orthodoxen Ostkirchen angeschaut oder auch, dass evangelische Geistliche nach ihrer Konversion einen Dispens aus Rom erhalten. 80 Prozent der Bischöfe sprachen sich für die Einführung verheirateter Priester im Amazonasgebiet aus.

Papst Franziskus und Synodenteilnehmer in der Synodenaula am 26. Oktober 2019 im Vatikan.
Papst Franziskus und Synodenteilnehmer in der Synodenaula am 26. Oktober 2019 im Vatikan.

Papst Franziskus ist dem aber nicht gefolgt.

Wolf: Die Bischöfe haben sich genau an die von Papst Franziskus vorgegebene Ordnung für die Bischofssynode gehalten: Das Treffen fand in Rom statt, nur die Stimmen der Bischöfe zählten und Voraussetzung war eine 2/3-Mehrheit. Die Bischöfe aus dem Amazonasgebiet haben sich sehr schwer getan mit ihrer Entscheidung, aber haben sich im Interesse der Pastoral und der Seelsorge in ihren Diözesen für verheiratete Priester ausgesprochen. Und dann setzte Papst Franziskus das Ergebnis nicht um. Wenn der Papst sich an seine eigenen Vorgaben gehalten hätte, hätte er diesen Entscheid umsetzen müssen. Das lässt mich in Hinblick auf den synodalen Prozess weltweit skeptisch sein.

«Synodalität ist für ihn eigentlich ignatianische Aktivierung.»

Wo sehen Sie das Problem?

Wolf: Der Papst versteht unter Synodalität keinen synodalen Prozess, der dann Beschlusskompetenz hat. Ich habe eine gewagte These: Papst Franziskus ist ja Jesuit. Synodalität ist für ihn eigentlich ignatianische Aktivierung. Wenn es im Orden ein Problem gibt, sollen sich alle Mitglieder Gedanken machen. Am Schluss entscheidet aber der Generalobere der Jesuiten.

Welche Reformen durchlebte die Kirchengeschichte, von denen Zeitgenossen sagten, dass diese nie eintreten werden, weil der Papst dies bereits für unmöglich eingestuft hat?

Wolf: Ihre Frage ist falsch gestellt.

Achja?

Wolf: Sie haben ein Kirchenbild im Kopf, dass es erst seit 1870 gibt, und setzen die Kirche mit der Papstkirche gleich.

Beichtstuhl in der Kirche St. Maria, Biel
Beichtstuhl in der Kirche St. Maria, Biel

Dann formuliere ich meine Frage anders: Hat eine abweichende Praxis in einer bestimmten Ortskirche die Einheit der Kirche bedroht?

Wolf: In der Spätantike konnte man nur einmal im Leben die Beichte ablegen. Wer die Busse in Anspruch nehmen wollte, musste öffentlich vor der Gemeinde die Sünden bekennen und wurde dann öffentlich exkommuniziert. Danach mussten Busswerke abgearbeitet werden. Frühestens nach einem Jahr konnte man wieder in die Gemeinde aufgenommen werden. Bei erneutem Rückfall gab es keine zweite Chance mehr. Zur selben Zeit entstand in Irland die Praxis der mehrmaligen Beichtmöglichkeit. Im Mittelmeerraum erfolgte die Lossprechung durch den Bischof, in Irland sprachen Nonnen und Mönche von den Sünden frei. Das sind zwei ganz unterschiedliche Modelle ein- und desselben Sakraments. Die Einheit der Kirche hat das aber nicht bedroht.

«Ist das Umschreiben des Hochgebets eine Tradition im Bistum?»

In der Schweiz ist es völlig normal, dass Frauen eine Gemeinde leiten und sogar Gottesdienst feiern. In anderen Teilen der Welt nicht. Im vergangenen Jahr betete die Seelsorgerin Monika Schmid bei der Zelebration ihres Abschiedsgottesdienst mit. Was sagen Sie dazu?

Wolf: Ich kenne nur Berichte darüber. Ich weiss nicht, was genau passiert ist. Als Historiker müsste ich wissen: Hat Frau Schmid den Kelch bei der Doxologie zusammen mit dem Hauptzelebranten hochgehalten oder nicht? Wenn sie das nicht getan hat, hat sie ein wesentliches Merkmal von Konzelebration gar nicht erfüllt. Auch müsste ich wissen: Ist es in der Gemeinde oder in der Diözese üblich, dass eine Frau die Einsetzungsworte spricht? Wer hat das Hochgebet mitgebracht? Ist das Umschreiben des Hochgebets eine Tradition im Bistum, also machen das auch andere Priester? Kirchenrechtlich gesehen muss der Bischof immer einschreiten, wenn ein Zelebrant das Hochgebet umschreibt – ganz egal, ob eine Frau mitmacht oder nicht.

«Die Äbtissinnen hatten eine sakramentale Weihe.»

Gab es in der Kirchengeschichte schon Frauen, die konzelebriert haben?

Wolf: Über die Amtsstufe der Priester wissen wir in der Spätantike und im frühen Mittelalter am allerwenigsten. Weil sie eigentlich gar nicht gebraucht wurden. In einer Stadtkultur wie im Mittelalter ist der Bischof nämlich der Priester. Die Stadt hat ein paar tausend Einwohner und ist das Bistum. Und derjenige, der der Eucharistie vorsteht, ist der Bischof. Und er hat Diakone neben sich, die ihm als Taufspender dienten. Das kann auch ein weiblicher Diakon sein – diese wurden nach demselben Weiheformular geweiht wie die männlichen Diakone. Aber Priester brauchte es in diesem Modell nicht.

Die Diakoninnen-Weihe verschwindet aber im Westen.

Wolf: Diese rutscht meiner Meinung nach in die Äbtissinnen-Weihe hinein. Die Äbtissinnen bei den Benediktinerinnen und Zisterzienser haben eine sakramentale Weihe. Sie haben Ring und Stab erhalten. Das wurde erst durch das Zweite Vatikanische Konzil abgeschafft.

Priester feiert Eucharistie.
Priester feiert Eucharistie.

Inwiefern?

Wolf: Weil das Zweite Vatikanum die Bischofsweihe als Sakrament erfindet und die Jurisdiktion an die Weihe bindet. Das Konzil von Trient oder auch Thomas von Aquin kennen die Bischofsweihe als Sakrament nicht. Es gibt zwei Weihestufen: Diakonat und Priesterweihe. Der Bischof ist einfach nur ein Aufseher. Thomas von Aquin sagt: Das Höchste, was ein Priester machen kann, ist, durch die Wandlung den Leib Christi und das Blut Christi herzustellen. Mehr kann der Bischof nicht. Bis zum Zweiten Vatikanum gab es eine Trennung: Die Weihevollmacht gibt die Möglichkeit Sakramente zu spenden. Um Jurisdiktion in der Kirche auszuüben, braucht es aber keine Weihe. Es gab viele Bischöfe ohne Weihe. Und Äbtissinnen agierten in ihrem eigenen Territorium ganz selbstverständlich wie Bischöfinnen.

Wann entstand das Priesteramt dann?

Wolf: In dem Moment, in dem das Christentum den Sprung über die Alpen vollzieht. Dort gab es keine Stadtkultur. Der Bischof konnte am Sonntag aber nicht gleichzeitig an unzähligen Orten Eucharistie feiern. Deshalb entstand das Priesteramt als eigenes Amt. Wir wissen nicht, ob Presbyterat und Episkopat vorher identisch waren.

«Re-form heisst zurück-bilden.»

Wie sollten Reformen Ihrer Meinung nach angegangen werden?

Wolf: Wie ich bereits gesagt habe, gibt es in der Geschichte immer wieder gleichzeitig unterschiedliche Antworten auf die ein und dieselbe Frage – ohne, dass dadurch die Einheit der Kirche in Gefahr geraten ist. Das ist durch und durch katholisch.

Sollte also einfach getan werden, bis sich etwas in einer Ortskirche etabliert hat?

Wolf: Nein. Denn Re-form heisst zurück-bilden. Wir stellen ein Konzept, das es schon gegeben hat, wieder her. Verheiratete Priester etwa waren in der Kirchengeschichte selbstverständlich. Es ist also kein Bruch mit Schrift oder Tradition. Wenn es historisch plausibel begründbar ist, dann sehe ich keinen Grund, warum etwas, was 1000 Jahre gut war, jetzt plötzlich schlecht sein soll.

Schweizer Bischöfe bei Papst Franziskus.
Schweizer Bischöfe bei Papst Franziskus.

Was schlagen Sie konkret vor?

Wolf: Die Bischöfe müssen ihre bischöfliche Macht anwenden, anstatt irgendwelche synodalen Prozesse vorzuschieben. Sie sollten endlich mal Rückgrat zeigen und mutig sein. Folgendes sollten sie nach Rom schreiben: Wir Bischöfe von Basel, St. Gallen und Chur werden in sechs Monaten 30 verheiratete Männer zu Priestern weihen. Dafür erbitten wir für unsere Bistümer ein Indult, Heiliger Vater.

Und dann?

Wolf: Dann muss der Papst endlich mal entscheiden. Ein Nein muss er öffentlich begründen.

Petitionsübergabe #outinchurch an die Deutsche Bischofskonferenz.
Petitionsübergabe #outinchurch an die Deutsche Bischofskonferenz.

Sollte es nicht auch eine Art «Out in Church» für Priester geben, die heimlich eine Beziehung mit einer Frau haben?

Wolf: Das ist eine persönliche Entscheidung. Von einem Massen-Outing halte ich nichts. Wenn sich einige Priester gleichzeitig outen, dass sie in einer Beziehung mit einer Frau leben, ist der Bischof gezwungen, sie zu suspendieren. Wir sollten von solchen emotionalen Coming-Out-Storys wegkommen und stattdessen nüchtern Zahlen, Daten und Fakten anschauen: Wir haben in unserer Tradition neben zölibatär lebenden Priestern verheiratete Priester.

Wie viele Priester können eigentlich ohne Sex leben?

Wolf: Sexualität gehört zum Menschen. Niemand kann Priester werden, der keine reife sexuelle Beziehung hat. Dennoch: Eine bestimmte Gruppe von Männern sind von dem priesterlichen Amt angezogen, weil sie keine reife sexuelle Beziehung zu einem erwachsenen Partner aufbauen können. Sie haben eine defizitäre Sexualität. Ein Grundproblem ist sicherlich, dass in der Priesterausbildung lange die Haltung galt: Lieber nicht über Sexualität reden.

«Der Synodale Weg ist ein Debattierklub.»

Sie kritisieren den Synodalen Weg in Deutschland. Warum?

Wolf: Der Synodale Weg hat für mich einen Geburtsfehler. Ich finde, es hätte ein Plenarkonzil gebraucht – so wie es die Australier gemacht haben. Dann hätten zwar nur die Bischöfe abgestimmt, aber ein Plenarkonzil mit einer 2/3-Mehrheit bindet auch das eine Drittel, das den Ergebnissen nicht zustimmt. Der Synodale Weg ist ein Debattierklub, der keinerlei rechtliche Kompetenzen hat. Das führt zu viel Frustration.

* Hubert Wolf (63) ist der gefragteste katholische Kirchenhistoriker in Deutschland. Er lehrt an der Universität Münster und ist Priester der Diözese Rottenburg-Stuttgart. 2019 erhielt er von der Universität Bern die Ehrendoktorwürde. Er war in Bern bei einer Tagung zum Christkatholizismus zu Gast.


Hubert Wolf | © Jacqueline Straub
24. März 2023 | 05:00
Lesezeit: ca. 6 Min.
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