Die Schweizer Delegation in Prag: Von links Helena Jeppesen, Tatjana Disteli und Bischof Felix Gmür.
Schweiz

Helena Jeppesen und Tatjana Disteli: «Es braucht Gewaltenteilung in der katholischen Kirche!»

Die beiden Schweizerinnen waren als Delegierte in Prag. Nach dem Ende der «kontinentalen Etappe» sprechen sie mit kath.ch über Enttäuschungen, die notwendige Begrenzung bischöflicher Macht und warum der Schweizer Kirche keine Zeit mehr bleibt.

Annalena Müller

Die Abschlussberichte der sieben Kontinentalsynoden sind nun online. Was sind Ihrer Meinung nach die dringendsten Themen der globalen Kirche?

Helena Jeppesen*: Ich konnte noch nicht alle sieben Berichte lesen. Aber ich habe neben dem europäischen das asiatische, lateinamerikanische und das ozeanische Papier quergelesen. Und dort ist das Thema der Partizipation von nichtgeweihten Personen ähnlich gross wie in Europa.

«Die Partizipation der Frau ist allgemein ein grosses Thema. Selbst im Mittleren Osten.»

Tatjana Disteli
Gemeindeleiterin Dorothee Becker leitet die Kommunionfeier.
Gemeindeleiterin Dorothee Becker leitet die Kommunionfeier.

Tatjana Disteli**: Die Partizipation der Frau ist allgemein ein grosses Thema. Selbst im Mittleren Osten. Weitere Themen, die global eine grosse Rolle spielen, sind: Inklusion der Jugend und das «Recht» der Gläubigen auf Sakramente, auch wenn kein Priester vor Ort ist. Die Armen und die Familie sind auch immer wieder Thema…

Trotz aller Unterschiede gibt es also Themengebiete, die überall zentraler Bestandteil der Reformdiskussion sind?

Disteli: Genau. Das hat Erzbischof Costelloe gestern auf der Pressekonferenz ja auch gesagt: Dass in allen sieben kontinentalen Abschlussdokumenten die gleichen Themen im Zentrum stehen.

«Man will die Gegner des synodalen Prozesses nicht zu sehr reizen.»

Helena Jeppesen

Costelloe gehört der Vorbereitungskommission der Weltsynode im Oktober an. Auf der gestrigen Pressekonferenz hat er die Erwartungen gedämpft. Auf der Weltsynode würden keine Themen diskutiert. Waren Sie enttäuscht von der Aussage?

Jeppesen: Ja und nein. Ich war enttäuscht, dass auf der Pressekonferenz nicht viel Neues kam. Alles, was gestern gesagt wurde, wussten wir eigentlich schon. Was die Aussagen des Erzbischofs angeht, so muss man diese im Lichte des politischen Abwägens sehen. Man will die Gegner des «Synodalen Prozesses» nicht zu sehr reizen.

Bischöfe und Kardinäle in Rom, 2018
Bischöfe und Kardinäle in Rom, 2018

«Die Gegner des «Synodalen Prozesses» sind im Hintergrund durchaus aktiv.»

Helena Jeppesen

Irgendwann wird man sie aber reizen müssen. Sonst wird es zu keinen Reformen kommen...

Jeppesen: Die Gegner des «Synodalen Prozesses» sind im Hintergrund durchaus aktiv. Und sie werden sich solange gegen den Prozess sperren, wie es geht. Gerade deshalb ist es so wichtig, zuerst über synodale Kirche, ihre Machtstruktur und Entscheidungswege zu sprechen. Wir dürfen uns nicht in den einzelnen Themen – wie die Priesterweihe der Frau – verlieren. Sonst könnte der gesamte Prozess blockiert werden.

«Wir dürfen die Unterschiede zwischen den westlich-säkularen und anderen Regionen der Kirche nicht unterschätzen.»

Tatjana Disteli

Disteli: Und ehrlicherweise muss man auch sagen: Der Papst hat von Anfang an gesagt, dass es um Synodalität geht. Und damit um die Frage, wie wir eine synodale Kirche werden können. Wir dürfen die grossen Unterschiede zwischen den westlich-säkularen und anderen Regionen der Kirche nicht unterschätzen. Und ich glaube, dass man ernsthaft bemüht ist, alle mitzunehmen. Das bedeutet aber eben auch, dass wir in Europa noch etwas mehr Geduld brauchen.

Wieviel Geduld kann man von den Schweizer Katholiken und Katholikinnen erwarten? Schon auf der «Synode 72» wurde Frauenordinariat, Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten, Jugend und Familie, etc. diskutiert. Die Themen sind seit einem halben Jahrhundert die gleichen.

Jeppesen: Ja. Viele Themen sind seit langem auf dem Tisch und verlangen jetzt nach Entscheidungen.

«Themen an die regionalen Ebenen zu delegieren: das wäre der Schlüssel zu schnelleren Entscheidungen.»

Helena Jeppesen

Wie kann man dem gerecht werden?

Jeppesen: Es kann sein, dass die Weltsynode im Oktober entscheidet, einige der Reformthemen nicht in Rom, sondern an die regionalen Ebenen zu delegieren. Das wäre der Schlüssel zu schnelleren Entscheidungsfindungen. Und sie würde den unterschiedlichen Bedürfnissen in der Weltkirche Rechnung tragen.

Logo der Weltsynode bei der Europa-Etappe der Weltsynode am 7. Februar 2023 in Prag (Tschechien).
Logo der Weltsynode bei der Europa-Etappe der Weltsynode am 7. Februar 2023 in Prag (Tschechien).

Ein solcher Entscheid käme einer grundlegenden Reform der Kirche gleich. Die Kirche ist strukturell eine Monarchie. Die Macht liegt beim Papst. Die Bischöfe sind die örtlichen Vertreter seiner Macht. Ist der Vatikan bereit, sich selbst zu beschneiden und die Kirche zu dezentralisieren?

Jeppesen: Das habe ich gestern bei der Pressekonferenz durchaus so verstanden. Aber da bleibt natürlich viel Interpretationsspielraum. Ich denke aber, dass es im Oktober genau um diese Frage gehen wird.

Disteli: Das ist auch meine Hoffnung. Es würde vieles – auch in der Schweiz – ermöglichen. Und Entwicklungen in diese Richtung gibt es ja schon. Bischof Felix hat gestern gesagt, wir sollten weniger auf den Papst schauen. Und mehr auf unsere Kirche und unsere Lebensrealität. Und Costelloe hat es auf der Pressekonferenz ja auch gesagt: Lest und reflektiert die Dokumente. Kommt darüber ins Gespräch. Überlegt euch, wie ihr Synodalität in eurer Kirche leben könnt.

Felix Gmür, Tatjana Disteli, Helena Jeppesen-Spuhler
Felix Gmür, Tatjana Disteli, Helena Jeppesen-Spuhler

Lassen Sie mich «advocata diaboli» spielen: Was würde es für die Schweizer Kirche bedeuten, wenn auf der Weltsynode doch nur geredet wird? Wenn es keine Reformen – keine Dezentralisierung gibt. Wie viel Zeit bleibt der Kirche in Europa?

Jeppesen: Wir haben keine Zeit mehr.

«Unsere Zeit ist durch die anstehende Aufarbeitung der Missbrauchsfälle doppelt begrenzt.»

Tatjana Disteli

Disteli: Und ich glaube, unsere Zeit ist durch die anstehende Aufarbeitung der Missbrauchsfälle doppelt begrenzt. Wir müssen uns sehr gut überlegen, wie wir in der Schweiz vorwärtsgehen.

Was würden Sie vorschlagen?

Disteli: Wir müssen sehr gut kommunizieren. Über den synodalen Prozess. Und über den Veränderungswillen, der diese Reformbewegung kennzeichnet. Und wir sollten dies mit der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle verbinden.

Jeppesen: Wir müssen kommunizieren, dass ein Erneuerungsprozess im Gange ist. Aber auch, dass die Machtstrukturen innerhalb der Kirche ein systemischer Teil der Missbrauchsproblematik sind. Die internen Strukturen müssen überprüft und umgebaut werden.

Petersdom in Rom
Petersdom in Rom

Kommunikation ist das eine. Reformen das andere. Kann sich die Schweizer Kirche leisten, weiter auf Reformen zu warten?

Jeppesen: Nein. Können wir nicht.

Disteli: Nein. Keinesfalls.

«Wenn es zum Streit mit Rom kommt, dann muss halt gestritten werden.»

Helena Jeppesen

Jeppesen: Es braucht jetzt ernsthafte Schritte. Und wenn es zum Streit mit Rom kommt, dann muss halt gestritten werden. Es braucht dringend und schnell Reformen bei uns. Dafür müssen unsere Bischöfe in Rom sorgen. Die Kirche in der Schweiz verlangt danach.

Trauen sich die Bischöfe, es auf einen Konflikt ankommen zu lassen?

Disteli: Der Synodale Prozess gibt vor, alles in Einheit machen. Und das wollen auch die Bischöfe…

Jeppesen: Das glaube ich auch. Aber der synodale Prozess hilft den Bischöfen, für die Schweizer Kirche und ihre Anliegen einzustehen. Besonders, wenn sie unter römischen Druck geraten.

Sie haben eben die Notwendigkeit von Machteinschränkungen genannt. Gehört die Machtkonzentration zu den Problemen, an denen die Kirche krankt?

Jeppesen: Genau. Es ist ein Riesenproblem, dass es keine unabhängigen Kontrollinstrumente gibt, denen auch ein Bischof untersteht. Das sieht man ja gerade wieder im Erzbistum Freiburg. Es braucht dringend eine Gewaltenteilung in der katholischen Kirche.

Bischofsstab
Bischofsstab

«Checks and balances! Ansatzweise kennen wir das ja in den Schweizer Bistümern.»

Tatjana Disteli

Disteli: Checks and balances! Ansatzweise kennen wir das ja in den Schweizer Bistümern. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass die weltweite Kirche sich vielleicht am Modell der Schweiz orientieren wird.

Sie beziehen sich auf das duale System, das Aufgaben zwischen Kantonskirchen und Bischöfen aufteilt…

Jeppesen: …Ja. Aber das gibt es bei uns auch nur in drei Diözesen …

Disteli: Das Schweizer System ist sicher nicht perfekt. Auf beiden Seiten nicht. Aber wir sind dennoch deutlich weiter als die Weltkirche. Da sich in den Diözesen mit dualem System im besten Fall Pastoral und Staatskirchenrecht gegenseitig ergänzen und kontrollieren.

* Helena Jeppesen arbeitet beim Hilfswerk Fastenaktion. Sie ist zudem in der Allianz Gleichwürdig Katholisch und im Catholic Women’s Council aktiv.

** Tatjana Disteli ist Theologin und Generalsekretärin der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau.


Die Schweizer Delegation in Prag: Von links Helena Jeppesen, Tatjana Disteli und Bischof Felix Gmür. | © zVg
21. April 2023 | 17:46
Lesezeit: ca. 5 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!